Puezhütte – Sassongher (2665m) – Grödner Joch

Puezhütte – Sassongher (2665m) – Grödner Joch

07.07.2004

Die Amis müssen gestern eine übermenschliche Tour hinter sich gebracht haben, denn sie schlafen immer noch, als wir unsere Zimmer räumen und uns zu neuen Taten aufraffen. Die Puez-Spitzen (2913m) stehen als erstes auf unserer heutigen Wunschliste. Wir stiefeln den feuchten Südhang des Schwarze Schafe am PuezkofelPuezkofel hinauf und erreichen bald ein komfortables Aussichtsplätzchen oberhalb der Hütte. Hier gibt es wie vielerorts ein paar schwarze Schafe. Um den knubbeligen Gipfel des Kofel herum führt der teilweise recht enge Pfad, auf dem wir hier und da noch die Hagelernte von gestern bewundern dürfen. Der Blick auf die Puez-Spitzen bleibt uns verwährt, eine dicke Wolke hat es sich über dem Doppelgipfel bequem gemacht und scheint sich gar nicht mehr verziehen zu wollen. Im Gegenteil: vom Tal her zischen Nebelfetzen mit atemberaubendem Speed zu uns herauf.

Da wir heute noch eine lange Tour vor uns haben und wenig Zeit, um auf dem Gipfel schönes Wetter abzuwarten, beschließen wir den Abbruch der Besteigung und kehren zur Hütte zurück. Dort schnappen wir unser Gepäck und folgen dem Weg Nummer 5, der in südöstlicher Richtung über die Gherdenacia-Ebene führt, eine Einöde, die vom hässlichen Kegel des Col dala Sonea („Monte Bochum“) beherrscht wird.

Der eigenartige Härtling erinnert eher an eine aufgeschüttete Kohlenhalde als an einen rechtschaffenen Dolomitenberg.Sassongher von Norden Hinter dem Passo Gherdenacio treten wir einen verschneiten Hang hinauf und bemerken voller Ungeduld, dass wir immer noch ein gutes Stück vor uns haben. Ein langer, steiler Abstieg bringt uns zu einem Sattel, der unterhalb des Gipfels gelegen einen kanonischen Rastplatz darstellt. Hier zweigt auch der Weg hinunter nach Kolfuschg ab. Der Berg liegt seit einiger Zeit im Nebel, doch nachdem wir so weit gekommen sind, wollen wir auch die letzten Meter in Angriff nehmen.

Nach ein paar sandigen, mit Baumstämmen abgesicherten Metern beginnt der Einstieg in einen Klettersteig. Wir legen das obligatorische Kletterzeug an und stehen mit dieser Maßnahme Beweisfotoziemliche alleine da. Eine Gruppe US-Bürger stürmt „unten ohne“ an uns vorbei. Zurecht, denn der Kletterspaß ist bereits nach zwei Minuten beendet. An haarigen Abgründen vorbei führt der Weg auf eine Geröllrampe. Wir ärgern uns, die Stöcke am Einstieg zurückgelassen zu haben und treten uns auf den Gipfel hinauf.

Von der anfangs erhofften Aussicht ist nichts zu sehen – nur sporadisch gibt das Wolkenmeer hier und da einen Blick auf das 1000m tiefer gelegene Kolfuschg frei. Schade wegen des Wetters, denn dieser Berg hat trotz seiner mäßigen Höhe etwas Grandioses an sich. Eine von zwei etwas reiferen Damen aus dem Allgäu schießt unser Beweisfoto. Die Mitglieder einer italienischen Expedition erreichen nach und nach den Gipfel. Man küsst und beglückwünscht sich zu der erfolgreichen Besteigung mittels Händedruck. Dieses Ritual wirkt so professionell, dass Michael und ich beschließen, derlei auch ab dem nächsten Gipfel zu praktizieren – abgesehen vom Knutschen.

Der Abstieg führt wieder über den Nordwesthang. In einem kleinen Firnfeld am Wegesrand ist das Wort „BEER“ zusammen mit einem Pfeil in Richtung Tal eingraviert, dem wir gerne folgen. Vom Sattel bringt uns ein mühsamer Abstieg bis beinahe hinunter an die Baumgrenze. Leider sind wir hier Blick zurücknoch ein mächtiges Stück vom Grödner Joch entfernt. Jede lange Tour hat ihren Punkt, an der die Quälerei beginnt und man sich nichts sehnlicher wünscht, als an ihrem Ende zu sein. Eine Skipiste hinauf, durch ein Kiefernwäldchen.

Es beginnt immer wieder zu regnen. Am gegenüberlegenden Ende des Tals baut sich die gigantische Sella auf. Allmählich erreichen wir die Höhe des Val di Mezdi. Nur nicht denken. Immer einen Fuß vor den anderen setzen. Der Pisciadú-Klettersteig. Das Val Setus. Wirkungsstätten vergangener Jahre. Endlich das Grödner Joch. Das Auto ist noch da und hat den gestrigen Meteoritenschauer schadlos überstanden. Wir fahren noch heute die wenigen Kilometer hinüber nach Alta Badia, wo wir uns für die beiden letzten Tage in San Cassiano einquartieren wollen.

5. Tag: Tagestour: Peitlerkofel

© Stefan Maday 09.04.2005

Peitlerkofel 2875 m

Peitlerkofel 2875 m

08.07.2004

Der Peitlerkofel (2875m) stellt eine Art Osterweiterung der Aferer Geiseln dar. Allerdings steht er relativ frei in der Gegend herum, was ihn zu einem knackigen Kandidaten für eine eintägige Peitler vom Würzjoch aus gesehenGipfeltour macht. Der kürzeste und bequemste Anstieg erfolgt vom Würzjoch aus. Die Fahrt von San Cassiano hierhin hat uns locker flockig eine dreiviertel Stunde gekostet. Rechnet man das späte Frühstück in der Pension dazu, wundert es nicht, dass wir heute keinesfalls die ersten Gipfelstürmer sind. Auf dem Weg vom Hotel über seichte Wiesenwege überholen wir einige Gruppen Gleichgesinnter, die beeindruckende Silhouette des Peitler stets zur Linken vor dem wenig beeindruckenden Grau des verhangenen Himmels.

Nach einem Weilchen wird der Weg enger und windet sich um einen Geröllhang auf die letzten Ausläufer der Aferer Geiseln zu. An seinem tiefsten Punkt wendet sich der Pfad nach links und Aufstieg zum Peitlerjochoffenbart ein enges Flusstal, das hinauf zur Peitlerscharte führt. Wir erfrischen uns am sprudelnden kalten Wasser, als uns ein älterer Signore anspricht. Die Unterhaltung gestaltet sich schwierig, da wir kein Italienisch sprechen und er weder Deutsch noch Englisch.

Mit Händen und Füßen bringt er uns bei, dass er uns wohl am Sonntag („domingo“) in der Pala hat umherlaufen sehen. Da bestätigt sich die alte Theorie, die da sagt: die Welt ist klein und die alpine sowieso. Bis zum Gipfel seien es noch anderthalb Stunden. Wir lassen ihn ziehen, er ist einer von diesen zähen Gräten, die es stets schaffen, die in den Wanderführern abgedruckten Zeiten einzuhalten, weil sie niemals Pausen brauchen.

Schließlich erklimmen wir den wenig anspruchsvollen Pfad hinauf zur Scharte (2361m), wo eine Batterie von Holzbänken zur Nahrungsaufnahme einlädt. Der stramme, böige Wind lässt die Luft viel kälter erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Nach ausgiebiger Erholungspause sind wir gut durchgefroren. Das ändert sich schnell, als wir uns nach Norden wenden und beginnen, die grünen Wiesen hinaufzutreten. Ein sehr einfacher aber anstrengender Weg, der in Serpentinen auf ein Plateau hinaufführt. Hier oben hat sich die steife Brise mittlerweile in einen ausgewachsenen Sturm verwandelt.

Manchmal muss ich mein ganzes Gewicht gegen den Luftstrom stemmen, um voranzukommen. Zur Rechten erwartet uns der Einstieg in den Klettersteig, der zum Hauptgipfel führt. Wir beschließen, Auf dem kleinen Gipfelzunächst den Nebengipfel („Kleiner Peitler“, 2813m) anzugehen. Der ansonsten einfache Weg wird heute zu einer spannenden Angelegenheit, muss man doch fürchten, ein hinterhältiger Windstoß könne einen einfach aus den Socken hauen. Geduckt kämpfen wir uns die seichte Rampe hinauf, stets mit respektvollem Abstand zuBlick nach Süden: Puezspitzen, Piz Duleda, Geislerspitzen allem, was irgendwie nach Böschung riecht. Endlich oben! Ich verkrieche mich in eine kleine Mulde zwischen Gipfel und einer Schneerolle am Westrand. Lange halten wir es hier nicht aus, die Finger sind bald kobaltblau vor Kälte. Zurück am Einstieg zum Hauptgipfel beraten wir uns. Auf dem Klettersteig sind wir dem Orkan wahrscheinlich nicht so sehr ausgesetzt, doch werden wir uns anschließend auf dem freistehenden Gipfel überhaupt halten können? Die Diskussion nimmt ein jähes Ende, als uns eine ganz besonders fiese Böe wortwörtlich von den Beinen reißt. Wir kauern ängstlich am Boden, bis es nach zwanzig oder mehr Sekunden endlich vorbei ist und wir wieder aufstehen können.

Zehn Jahre meines Lebens habe ich in Schleswig-Holstein verbracht und der „Blanke Hans“ hat es nicht einmal geschafft, mich von den Füßen zu hauen. Da bestätigt sich schon wieder eine alte Theorie: nirgends ist das Klima garstiger als im Hochgebirge. Die Peitlerbesteigung ist somit storniert, wir kriechen vorsichtig zurück und erreichen glücklich die Aufstiegswiese, wo nur sporadisch ein strammes Lüftchen an das Inferno da oben erinnert. An der Peitlerscharte treffen wir auf eine andere Gruppe, die ihren Versuch ebenfalls abgebrochen hat. Man rechtfertigt sich gegenseitig seine Entscheidung. „Nö, das ging einfach nicht!“ „Ist besser so!“ „Ne ne, das wäre Wahnsinn gewesen!“ „Oh Gott, meine Frisur!“ Schade trotzdem. Auf dem Rückweg beginnt es zu regnen. In einer Trinkhalle kurz vor dem Würzjoch nehmen wir schon mal einen Kleinen auf den Schrecken. In jedem Fall war das ein heute ausgewachsenes Abenteuer – und dafür geht man morgens gerne aus dem Haus.

6. Tag: Tagestour: Heiligkreuzkofel (2908m)

© Stefan Maday 9.4.2005

Heiligkreuzkofel (2908m)

Heiligkreuzkofel (2908m)

09.07.2004

Erst beim Frühstück in unserer Pension in San Cassiano schaffen wir es endlich, uns für einen würdigen Endgegner zu entscheiden. KreuzkofelbahnDie Wahl fällt auf den Heiligkreuzkofel, jenes kleine Sahnehäubchen auf dem faszinierenden Ringwall des Kreuzkofelmassivs, auf dessen Besteigung wir im letzten Jahr wegen schlechten Wetters verzichten mussten. Leider sind die Frühstückszeiten in den meisten Pensionen recht spät, dazu müssen wir noch packen und uns über die Aufstiegsroute streiten. Ich bevorzuge die Klettersteig-Variante quer durch die Westwand, Michael den Schotterkar hinauf zur Medes-Scharte.

So ist es bereits halb elf, als wir mit freundlicher Unterstützung der Kreuzkofelbahn auf 2045m über NN am Hospiz stehen. Eingedenk der jetzt schon tief stehenden Wolken entscheiden wir uns für die längere „Idioten-Tour“ durch den Schottertrog. Angesichts der senkrechten MauerTreten treten treten… vor uns fällt es mir auch schwer zu glauben, dass dort irgendwo ein halbwegs regensicherer Weg hinaufführt.

Wir halten uns an den Weg Nummer 15, der an der großen Baustelle vorbei durch einen kargen Wald nach Süden führt. Konzentrisch zum Ringwall windet sich der Weg, bis wir uns nach etwa 40 Minuten an einer leicht zu übersehenden Abzweigung links halten. Nach insgesamt einer Stunde finden wir uns endlich am Fuße der gigantischen Geröllrampe, ohne eine einzigen Höhenmeter gut gemacht zu haben.

Etwa 550Hm liegen vor uns bis zum Pass. Der Schutthang verläuft mit jedem Meter steiler und der Schotter wird nach oben hin immer feiner und schlüpfriger. Auf der allerletzten Etappe verliert Am Kreuzkofelpass: Zehnerspitze voraussich der Weg vollständig – hier ist unkontrolliertes Krabbeln, Rutschen und Um-sich-Treten angesagt. Dieses Erlebnis hätte ich gerne gegen den Klettersteig eingetauscht.

Nach anderthalb Stunden Aufstiegszeit erreichen wir glücklich die Scharte (2591m) und wir dürfen zum ersten Mal einen Blick in das Innere des Kraters werfen. Auf dem Kamm in Richtung Norden reihen sich die Gipfel von Heiligkreuzkofel, Zehnerspitze und Neunerspitze eindrucksvoll auf. Der Boden ist grüner, als man von einem Mondkrater allgemein erwartet und bildet tatsächlich eine große Alp.

Der offizielle Weg führt nun in Richtung Nordosten zu dieser Alm hinunter. Das erscheint uns ein Auf zum Hlg-KKunnötiger Um- und Abweg. Wir folgen lieber einigen alten Markierungen und Trittspuren, die sich den Hang enlang ziehen, sich aber bald verlieren und nach einigen Wirrungen müssen wir schließlich doch ganz hinunter steigen. Neben Grasmatten machen sich löcherige Kalkplatten auf dem Boden breit. Die anscheinend bodenlosen Minidolinen erweisen sich als gefährliche Stolperfallen. Die Kreuzkofelwand von obenSchließlich erreichen wir wieder den Grat.

Ein Blick auf die Uhr mahnt uns zur Eile. Eine erste Hochrechnung ergibt, dass wir knapp dran sind, wenn wir die letzte Bahn ins Tal heute abend noch erwischen wollen – die, wie wir gelesen zu haben glauben, um 18 Uhr geht. Wir beschließen eine „Blitzbesteigung“ und machen von nun an „Speed“. An unbeschreiblichen Abgründen vorbei ächzen wir auf den Gipfel zu. 300Hm, zumeist über Schotter, technisch nicht im geringsten anspruchsvoll, doch die Pumpe leistet Schwerstarbeit.

Endlich oben! Wir erproben unsere neue Zeremonie: Shake Hands. Klappt auf Anhieb. Durchatmen. Die Aussicht genießen – soweit die Wolken es zulassen. Blick auf die Varella (3034m) – ein leichter Der Letzte wird der erste sein?und interessanter Dreitausender. Nebenan die Zehnerspitze (3023m) – nur einen kleinen Klettersteig entfernt. Für uns heute zu weit. Wir müssen den Abstieg in weniger als drei Stunden schaffen, andernfalls erwarten uns noch einmal knapp 700Hm als Zugabe. Die letzten Schokoriegel Zehnerspitze al ladoessen. Und wieder los.

Wir geben mächtig Gas, machen nur am Medes Pass eine kurze Pause, stolpern die Schotterrampe hinunter. Auf dem finalen Waldstück folgt ständig der Blick auf die Uhr – „Los, das können wir noch schaffen!“ Immer schneller, die Füße laufen von alleine, hüpfen über Steine und Wurzeln, bevor sie das Bewusstsein überhaupt wahrgenommen hat. Eine Art von wahnsinniger Trance. Werde ich jemals wieder anhalten können? Das Kloster ist in Sicht. Es beginnt zu hageln. Ich fingere meine Regenjacke aus dem Rucksack, Michael rennt an mir vorbei zur Bahnstation, als die Glocke des Hospiz sechs Uhr schlägt. Zu spät? Einmal gestoppt, kann ich plötzlich nicht mehr laufen.

Michael kommt zurück, meint, die letzte Bahn sei schon vor fünfzehn Minuten gefahren. Die ganze Rennerei vergebens. Zwei weitere Stunden Abstieg mit schmerzenden Knochen scheinen unausweichlich. Ein Jeep kommt vom Hospiz herunter. Ich halte den Daumen raus. Der Jeep hält an. Drei Lolitas sitzen drin. Uns kümmert es nicht, dass die Fahrerin noch viel zu jung für einen Führerschein aussieht. Sie nimmt uns mit nach Pedraces. Wie so oft waren unsere Mühen auch diesmal nicht umsonst.

© Stefan Maday 09.049.2005

Vigo di Fassa – Aufstieg zur Rotwandhütte

Vigo di Fassa – Aufstieg zur Rotwandhütte

20.07.2003

Um acht Uhr morgens stehen wir endlich an der Talstation der Gondelbahn von Vigo di Fassa, nachdem wir die ganze Nacht von Koblenz durchgefahren sind, ohne auch nur ein Sekündchen zu schlafen (das gilt zumindest für mich – und angeblich auch für meinen Fahrer Michael).

Nach nunmehr drei Jahren Abstinenz haben wir uns erneut für einen Besuch im Rosengarten entschieden, dessen Name immer noch schmerzliche Erinnerungen in mir weckt. Dieses Mal bringen wir jedoch ein gutes Stück mehr Erfahrung mit, ganz zu schweigen von unseren neuesten Errungenschaften in Sachen Equipment – den flotten Steinschlaghelmen, die uns – egal, ob auf der Birne sitzend oder am Rucksack baumelnd – das gewisse professionelle Etwas verleihen. Bleibt zu hoffen, dass uns die Tage ein paar ordentliche Kawenzmänner auf die Köpfe krachen, damit sich die Teile auch amortisieren.

Gegen Entrichtung von je 6 € Preisgeld befördert uns die Gondel innnerhalb weniger Minuten den 600 Meter hohen Grashang hinauf zur sonnenbeschienen Bergstation (1997m). Gleich zwei Wege führen zu unserem Ziel, der Rotwandhütte (Roda di Vael, 2280m). Wir geben der Nummer 541 den Vorzug. Der ist zwar länger als der Val di Fassa-Höhenweg 545, dafür verlässt er jedoch schnellstmöglich den Wald und führt über felsiges Terrain. Bereits nach einer halben Stunde mäßigen Anstieges sind unsere T-Shirts vollkommen durchgeschwitzt – ein Zustand, der sich als symptomatisch für diesen Urlaub erweisen soll. Offenbar sind wir mitten in den mediterranen Hochsommer hineingeplatzt.

Nachdem wir einen Blick auf das bekannte Vajolettal geworfen haben, schnaufen wir uns müdeBlick auf Rotwand den Pfad unterhalb des zweistöckigen Zigolade-Massivs entlang. Am Pass unterhalb des Mugoni erwartet uns der großartige Ausblick auf die senkrechte Ostflanke der Rotwand (2806m).
Ein Mann macht sich in unseren Augen verdächtig, als er mit seiner Videokamera reichlichBody Snatchers merkwürdige Blumen aufnimmt. Diese Pflanzen haben wir noch niemals in natura gesehen, sie erinnern uns jedoch an eine außerirdische Spezies aus dem anspruchsvollen Hollywood-Streifen „Die Körperfresser kommen“ mit dem unvergessenen Donald Sutherland in der Hauptrolle. Wir beschließen, in dieser Hinsicht wachsam zu sein und die bizarren Kreaturen im Auge zu behalten. Auf keinen Fall möchten wir eines Morgens als hirnlose Automaten erwachen, die nur noch die Erhaltung ihrer Art im Sinn haben.

Nach etwa drei Stunden Gehzeit (inkl. Frühstückspause) erreichen wir schließlich die Rotwandhütte nebst der Imbissbude genannt Pederiva-Hütte und sind einigermaßen verblüfft über die hektische Beriebsamkeit, die dort vorherrscht.
Auf den Terrassen und Wiesen räkeln sich mehr als hundert Menschen herum – zumeist Italiener – undoans… zwoa… bsoffa! genießen plappernd die Sonne. Wir trinken jeder ein Weissbier und sind im Nu hackenstramm. So betrunken war ich nicht mehr seit letztem Rosenmontag – am hellichten Tage wohlgemerkt. Wir torkeln zu einem netten Wiesenplätzchen herüber und versuchen, wenigstens ein Häppchen des verlorenen Nachtschlafes nachzuholen. Vergebens. Konzenrationsängste machen sich breit. Nur ein paar kleine Döserchen sind drin.

Als sich der Trubel am Nachmittag ein wenig gelegt hat, rappeln wir uns auf und gehen die Besteigung des Hausberges Ciampaz (2316m) an. Dank wackliger Beine gestaltet die sichRotwandhütte vom Gipfel des Ciampaz gar nicht unschwierig. Auf dem Gipfel überkommen mich Absturzhalluzinationen. Ich freue mich auf mein Bett. Das Abendessen ist schnell abgehakt: die Spaghetti con Fleischsoße kommen als Kinderration daher, ich kaue jeden Bissen 40x und äuge neidisch zu den vier Hannoveranern am Nachbartisch hinüber, die so umsichtig waren, die Würstchenplatte zu ordern.
Die anderen Hüttengäste verschwinden bereits ab 20 Uhr auf den Zimmern. Wir beide sind mit einem Male wieder verdächtig wach und gehen wie so oft als letzte.

1.Tag: Rotwand (2807m) – via Hirzelweg zur Rosengartenhütte

© Stefan Maday 05.09.2003

Rotwand (2807m) – via Hirzelweg zur Rosengartenhütte

Rotwand (2807m) – via Hirzelweg zur Rosengartenhütte

21.07.2003

Für meine seit langer Zeit erste Nacht in größerer Höhe habe ich leidlich geschlafen.Rotwand von Nordosten Glücklicherweise sind die berüchtigten Atem- und Verdauungsgeräusche ausgeblieben, die in Massenunterkünften sonst leider nur all zu prävalent sind. Das Wetter verspricht zunächst heiteren Sonnenschein, doch die hohe Luftfeuchtigkeit und das Radio der Kellnerin lassen abendliche Gewitter befürchten. Nach dem standardisierten Frühstück machen wir uns an das heutige Tagewerk. Wir wollen zunächst die Rotwand be- und anschließend die Ferrata Masaré durchsteigen.

Ein erträglicher Anstieg zum Vaiolonpass (2560m) beschert uns schließlichBlick vom Vailonpass auf Latemar neben einer schönen Aussicht auf den (oder das) Latemar auch den Beginn des Rotwand-Klettersteiges. Neben dem obligatorischen Klettergeschirr kommen selbstredend die schicken Helme zum Einsatz. Michael hat übrigens einen weißen und ich einen roten, damit man uns aus dem Weltall leichter auseinanderhalten kann.

Wer sich die Rotwand von Westen oder von Osten aus genauer betrachtet, mag kaum glauben,Auf dem Rotwand-KS: Blick auf die Tscheiner-Spitze (2810m) dass es einen Weg geben könne, der einen Menschen ohne großartige Schwierigkeiten und Existenzängste dort hinauf beförderte. Doch eben jenes leistet der Rotwand-KS, der sich – dort, wo es angebracht scheint – stets gut gesichert über den nördlichen Grat etwa 250 Hm hinaufwindet.

Wir haben mehr Glück als Roberto Garcéa, der im Jahre 1965 im zarten Alter von 18 Jahren zu Tode gekommen ist – wie eine Gedenktafel knapp unterhalb des Gipfels bezeugt – und erreichen freudig den Gipfel der Rotwand.

Der ist großzügig ausgelegt und bietet Platz für jedweden Ansturm – heute sind wir jedoch nur etwaAuf dem Dach der Rotwand (2806m) zu zehnt. Die Aussicht lässt mittlerweile zu wünschen übrig, dunstig ist es in der Ferne und über uns ziehen Wolken auf. Da ich neuerdings Nichtraucher bin, fällt auch die früher obligatorische Gipfelzigarette flach und alles was mir bleibt ist die Freude über die gelungenge Besteigung eines aufregenden Berges an sich.

Einstieg in Masaré-KlettersteigDer Abstieg über den Südhang erfolgt zunächst gemütlich in Serpentinen bis zu einem steilen Kar. Hier zweigt der Masaré-KS ab. Wenig vertrauenerweckend führen Stahlseile die glatte, senkrechte Wand entlang. Ich steige kurz ein. Trittstifte sollen die fehlenden natürlichen Vorsprünge ersetzen. Handgriffe sind rar. Das ist uns dann doch zu gruselig und wir wählen lieber den direkten Abstieg durch das Kar, der steil, anfangs gesichert, später durch Schotter zur Rotwandhütte hinabführt.

Da der Nachmittag noch recht jung ist, beschließen wir, heute noch zur Rosengartenhütte weiterzustiefeln. Von der wissen wir nämlich aus Erfahrung, dass sie eine warme Dusche und ein köstliches Wiener Schnitzel bereit hält. Wegen des hohen Regenrisikos wählen wir den Hirzelweg, der einfach zu begehen ist und der sich einmal um den südlichen Sporn des Rosengarten herumzieht.Federvieh Dort treffen wir auf ein pompöses Monument in Gestalt eines Greifvogels und eine lange Sitzbank, auf der einige depressive Senioren herumsitzen. Während Michael ein Foto von dem Flattermann schießt, muss ich mir die Kommentare der älteren Herren anhören, wie ungerecht es doch sei, dass ich noch so jung sei und dass ich diesen Umstand doch gar nicht zu schätzen wisse. Ich kann mir jedoch – Hand aufs Herz – schlimmere Martyrien vorstellen, als den lieben langen Tag in der Sonne herumzusitzen, ohne arbeiten zu müssen. Doch ist es dem Menschen inhärent, dass er niemals mit dem zufrieden ist, was er hat.

Mit der ersehnten Hütte kommt auch das schwarze Gewitter in Sicht, das sich offenbar im Norden über dem Schlern austobt. Wir drücken noch einmal mächtig auf die Tube, nehmen prustend den finalen Anstieg und erreichen die Hütte, die mindestens so viele Namen wie der Teufel hat (Rosengartenhütte, Kölner Hütte, Rif. Coronelle, Rif. Fronza), trockenen Fußes. Als die Sintflut endlich einsetzt, haben wir schon geduscht (2,30 €) und geschnitztelt (10,50 € mit Pommes). Lustigerweise haben wir wieder unser niedliches altes Turmzimmerchen von vor drei Jahren zugeteilt bekommen. Nur dieses Mal werde ich nicht vor Schmerzen schreien müssen, sollte ich heute nacht durch einen unwiderstehlichen Drang über die steile knatschige Holztreppe einen Stock tiefer getrieben werden.

2.Tag: Klettersteig am Santner Pass – Antermoia-Hütte

© Stefan Maday 05.09.2003

Klettersteig am Santner Pass – Antermoia-Hütte

Klettersteig am Santner Pass – Antermoia-Hütte

22.07.2003

Nach herrlichem Schlaf im Zweibettzimmer gönnen wir uns für 6€ ein(e) Colazione – das ist so etwas ähnliches wie Frühstück, nur nicht so lecker. Das Wetter ist nach dem gestrigen Regen wieder zu gewohnter Stabilität zurückgekehrt. Weit im Westen, jenseits des Eisacktals, prangen die weißen Hänge der fast 4000 Meter hinaufragenden Ortlergruppe. Dort hat dieser (vorläufige) Jahrhundertsommer bisher keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Leider nützt uns der Sonnenschein momentan noch nichts, denn bis zum Erreichen des Santner Passes werden wir uns im finsteren Schlagschatten der Rosengartenspitze (Cima Catinaccio, 2987m) und des ihr vorgelagerten Baumannkammes bewegen.

Kaum aus der Haustür, erwartet uns bereits der grauenhaft steile Aufstieg auf das nächsthöhere Felsband. Am frühen Morgen blubbert das Blut noch fürchterlich viskos durch die Adern und auf dem oberen Absatz angekommen sind wir ziemlich sicher, dass dies subjektiv bereits die schlimmste Anstrengung für den heutigen Tag gewesen sein muss. Der Weg wird bald zum engen Krabbelpfad. Wir legen unsere Klettersteigsets an – die Helme haben wir schon bei Verlassen der Hütte aufgestülpt. So absurd die Dinger auch aussehen mögen – beim Rumkrabbeln im Fels geben sie einem schon ein gewisses Gefühl von Sicherheit – auch wenn es letztlich nur zwei Millimeter Plaste sind, die das weiche Hirn vom harten Dolomit abschirmen sollen. Und nach wenigen Minuten Gewöhnungszeit spürt man sie überhaupt nicht mehr.

Drahtseil- oder ähnliche Sicherungen sind zunächst Fehlanzeige. Als wir diesen Weg vor drei Jahren in umgekehrter Richtung durchstiegen haben, sah alles anders aus. Nur wenige markante Stellen sind mir in ErinnerungSantner Pass Klettersteig geblieben wie z.B. das Rattenloch, durch das wir uns bäuchlings hindurchquetschen. Die beiden barhäuptigen Deutschen hinter uns gehen einfach drumherum. Diese Alternative war uns wohl entgangen. Wir tun so, als hätten wir da selbstverständlich auch hergehen können, ohne uns überall einzusauen und einzubeulen, aber letztlich lasse die Benutzung vereinfachender Abkürzungen doch auf keinen ausgeprägten Sportsgeist schließen. Das nimmt man uns nicht so ganz ab. Immerhin beneidet man uns standesgemäß um unsere Kopfbedeckungen.

So klettern wir einige enge Kamine hinauf und treffen irgendwann auf die Schneerinne von damals, die in diesem Sommer de facto nur noch eine Rinne ist. Einige gesicherte Kletterpassagen und immer mehr Gegenverkehr folgen, bis wir schließlich den Santner Pass (2741m) erreichen.

Der Ausblick rundherum auf Latemar, das Eisacktal und die Vajolettürme ist beinahe so beeindruckend wie vor drei Jahren. Damals standen jedoch noch nicht solche Menschenmassen um uns herum wie heute. Wir sind in diesem Jahr drei Wochen später dran als sonst, was sich auch temperaturlich deutlich auswirkt.

Nach kurzer Freu- und Atempause marschieren wir das kurze Stück unterhalb der Laurinswand (2813m) zur Gartlhütte (2621m) hinunter. Wir setzen uns in die sengende Sonne, beobachten, wie sich die vielen Seilschaften an den grandiosen Vajolettürmen gegenseitig auf die Füße treten und futtern dabei Kekse und Ekelsalami. In Richtung Nordosten thront über dem Vajolettal ein bemerkenswerter Gipfel, der nicht recht in das formative Dolomitenschema „Turm, Klotz oder Wand“ hineinpassen will und von dem später noch die Rede sein wird.

Der 400Hm-Abstieg ins Vajolettal verläuft über einen Krabbel-Stolper-Hang und zieht sich verkehrsbedingt ordentlich in die Länge, denn uns kommen drei oder vier italienische SchulklassenSodom und Gomorrah! entgegen. Multipliziert man die Worte „Ciao!“, „Salve!“, „Buon Giorno!“, „Grazie!“ und „Prego!“ mit einem Faktor hundert, erhält man in etwa eine Vorstellung, welche Prüfung das für uns bedeutet.

Wir sind beruhigt, dass sowohl das „Herrlicher Anblich“-Schild als auch die Vajoletthütte immer noch fest verankert in der Erden stehen. Letztere hat nun wirklich den Titel „Ballermann der Dolomiten“ verdient, tanzt hier doch der Bär: Menschenmassen campieren auf den angrenzenden Wiesen und auf der Terrasse lümmeln sich minderjährige Bikinigirls herum. Dass es hier nachts teilweise bis 23 Uhr rundgeht, davon können wir Zeugnis ablegen – skandalöse Zustände für eine Zufluchtstätte des ehrwürdigen Alpenvereins.

Dennoch wollen wir heute noch weiter und Neuland entdecken. Ich lasse meinen Michael auf der Antermoiahütte anrufen. Dort teilt man ihm mit, dass bis auf vier Schlafgelegenheiten alle belegt seien und eben diese vier dürften laut Vorschrift nicht reserviert werden, sondern würden nach einem beliebten Motto aus dem Sachsenspiegel vergeben, das da lautet: wer zuerst kommt…

Es ist also keineswegs sicher, dass wir bei unserer Ankunft ein Bett erhalten. Die Bedienmaus der Vajolethütte meint, man könne besagte Hütte innerhalb zweier Stunden erreichen, wenn man schnell sei. Wir kennen unsere Fähigkeiten recht genau und rechnen daher mit dreien. Dennoch wählen wir die Gefahr!

Der Senioren-Highway Nr.584 windet sich zur Grasleitenpasshütte (2600m) hinauf, die ich in einer früheren Reportage reißerisch als „luxuriösen Fahrradschuppen“ bezeichnet habe.Grasleitenpass mit Fahrradschuppen Kurz vor besagter Hütte verlassen wir den Pfad und schlagen uns in östlicher Richtung den steilen, schottrigen Kar zum Antermoiapass (2726m) hinauf. In der Südwand des monströsen Kesselkogel (Catinaccio di Antermoia, 3002m) erspähen wir eine kleine Höhle – mehr eine Nische – in Höhe des Pfades. Wer weiß, wozu die noch einmal nützlich sein mag…

Ein kluger Bekannter hat einmal gesagt: „Wo’t nuff geht, geht’s uch wieda runna“ und er hat noch immer recht behalten. In unserem Fall sind es aber nur gute 200HM „runna“ in das desolate Antermoiatal, wo hinter dem gleichnamigen See auch die zugehörige Hütte (2496m) gähnt. Mit zweieinhalb Stunden Gehzeit liegen wir exakt in der Mitte des Schätzungsintervalls.

Das aparte, aber etwas ruppige Hüttenfräulein stürzt sich augenblicklich in komplexe Berechnungen undLago Antermoia – im Hintergrund die Marmolada erlöst uns schließlich von den Qualen der Ungewissheit – man hat tatsächlich noch Platz für uns! In fließendem Italian-English erklärt sie uns die Hausordnung und zeigt uns die Quartiere: Dachboden, Vierermatratzen. Kuschelig. Bisher sind noch alle frei. Die anderen kommen gewiss noch.

Das nächste Mal lasse ich mir schon zu Hause einen Bart wachsen, bevor ich in die Dolos komme. Denn wenn ich auf mein Schnitzel schaue, muss ich annehmen, dass man mir schon wieder einen Kinderteller serviert hat. Dafür lande ich einen Riesencoup – mit tatkräftiger Unterstützung unserer Tischnachbarn schlage ich bei der Planung des morgigen Tages zu allererst eine Besteigung des Kesselkogel beim kritischen Michael heraus – ein fabulöser Dreitausenderspaß!

Als wir uns um zehn in die Kiste begeben, sind immer noch sechs Schlafplätze frei. Die anderen kommen gewiss noch. Wenn nicht, sind wir auch nicht traurig.

3.Tag: Cima Scalieret (2887m) – Abstieg nach Vigo di Fassa durch das Vajolettal

© Stefan Maday 05.09.2003