21.07.2003

Für meine seit langer Zeit erste Nacht in größerer Höhe habe ich leidlich geschlafen.Rotwand von Nordosten Glücklicherweise sind die berüchtigten Atem- und Verdauungsgeräusche ausgeblieben, die in Massenunterkünften sonst leider nur all zu prävalent sind. Das Wetter verspricht zunächst heiteren Sonnenschein, doch die hohe Luftfeuchtigkeit und das Radio der Kellnerin lassen abendliche Gewitter befürchten. Nach dem standardisierten Frühstück machen wir uns an das heutige Tagewerk. Wir wollen zunächst die Rotwand be- und anschließend die Ferrata Masaré durchsteigen.

Ein erträglicher Anstieg zum Vaiolonpass (2560m) beschert uns schließlichBlick vom Vailonpass auf Latemar neben einer schönen Aussicht auf den (oder das) Latemar auch den Beginn des Rotwand-Klettersteiges. Neben dem obligatorischen Klettergeschirr kommen selbstredend die schicken Helme zum Einsatz. Michael hat übrigens einen weißen und ich einen roten, damit man uns aus dem Weltall leichter auseinanderhalten kann.

Wer sich die Rotwand von Westen oder von Osten aus genauer betrachtet, mag kaum glauben,Auf dem Rotwand-KS: Blick auf die Tscheiner-Spitze (2810m) dass es einen Weg geben könne, der einen Menschen ohne großartige Schwierigkeiten und Existenzängste dort hinauf beförderte. Doch eben jenes leistet der Rotwand-KS, der sich – dort, wo es angebracht scheint – stets gut gesichert über den nördlichen Grat etwa 250 Hm hinaufwindet.

Wir haben mehr Glück als Roberto Garcéa, der im Jahre 1965 im zarten Alter von 18 Jahren zu Tode gekommen ist – wie eine Gedenktafel knapp unterhalb des Gipfels bezeugt – und erreichen freudig den Gipfel der Rotwand.

Der ist großzügig ausgelegt und bietet Platz für jedweden Ansturm – heute sind wir jedoch nur etwaAuf dem Dach der Rotwand (2806m) zu zehnt. Die Aussicht lässt mittlerweile zu wünschen übrig, dunstig ist es in der Ferne und über uns ziehen Wolken auf. Da ich neuerdings Nichtraucher bin, fällt auch die früher obligatorische Gipfelzigarette flach und alles was mir bleibt ist die Freude über die gelungenge Besteigung eines aufregenden Berges an sich.

Einstieg in Masaré-KlettersteigDer Abstieg über den Südhang erfolgt zunächst gemütlich in Serpentinen bis zu einem steilen Kar. Hier zweigt der Masaré-KS ab. Wenig vertrauenerweckend führen Stahlseile die glatte, senkrechte Wand entlang. Ich steige kurz ein. Trittstifte sollen die fehlenden natürlichen Vorsprünge ersetzen. Handgriffe sind rar. Das ist uns dann doch zu gruselig und wir wählen lieber den direkten Abstieg durch das Kar, der steil, anfangs gesichert, später durch Schotter zur Rotwandhütte hinabführt.

Da der Nachmittag noch recht jung ist, beschließen wir, heute noch zur Rosengartenhütte weiterzustiefeln. Von der wissen wir nämlich aus Erfahrung, dass sie eine warme Dusche und ein köstliches Wiener Schnitzel bereit hält. Wegen des hohen Regenrisikos wählen wir den Hirzelweg, der einfach zu begehen ist und der sich einmal um den südlichen Sporn des Rosengarten herumzieht.Federvieh Dort treffen wir auf ein pompöses Monument in Gestalt eines Greifvogels und eine lange Sitzbank, auf der einige depressive Senioren herumsitzen. Während Michael ein Foto von dem Flattermann schießt, muss ich mir die Kommentare der älteren Herren anhören, wie ungerecht es doch sei, dass ich noch so jung sei und dass ich diesen Umstand doch gar nicht zu schätzen wisse. Ich kann mir jedoch – Hand aufs Herz – schlimmere Martyrien vorstellen, als den lieben langen Tag in der Sonne herumzusitzen, ohne arbeiten zu müssen. Doch ist es dem Menschen inhärent, dass er niemals mit dem zufrieden ist, was er hat.

Mit der ersehnten Hütte kommt auch das schwarze Gewitter in Sicht, das sich offenbar im Norden über dem Schlern austobt. Wir drücken noch einmal mächtig auf die Tube, nehmen prustend den finalen Anstieg und erreichen die Hütte, die mindestens so viele Namen wie der Teufel hat (Rosengartenhütte, Kölner Hütte, Rif. Coronelle, Rif. Fronza), trockenen Fußes. Als die Sintflut endlich einsetzt, haben wir schon geduscht (2,30 €) und geschnitztelt (10,50 € mit Pommes). Lustigerweise haben wir wieder unser niedliches altes Turmzimmerchen von vor drei Jahren zugeteilt bekommen. Nur dieses Mal werde ich nicht vor Schmerzen schreien müssen, sollte ich heute nacht durch einen unwiderstehlichen Drang über die steile knatschige Holztreppe einen Stock tiefer getrieben werden.

2.Tag: Klettersteig am Santner Pass – Antermoia-Hütte

© Stefan Maday 05.09.2003