20.07.2003

Um acht Uhr morgens stehen wir endlich an der Talstation der Gondelbahn von Vigo di Fassa, nachdem wir die ganze Nacht von Koblenz durchgefahren sind, ohne auch nur ein Sekündchen zu schlafen (das gilt zumindest für mich – und angeblich auch für meinen Fahrer Michael).

Nach nunmehr drei Jahren Abstinenz haben wir uns erneut für einen Besuch im Rosengarten entschieden, dessen Name immer noch schmerzliche Erinnerungen in mir weckt. Dieses Mal bringen wir jedoch ein gutes Stück mehr Erfahrung mit, ganz zu schweigen von unseren neuesten Errungenschaften in Sachen Equipment – den flotten Steinschlaghelmen, die uns – egal, ob auf der Birne sitzend oder am Rucksack baumelnd – das gewisse professionelle Etwas verleihen. Bleibt zu hoffen, dass uns die Tage ein paar ordentliche Kawenzmänner auf die Köpfe krachen, damit sich die Teile auch amortisieren.

Gegen Entrichtung von je 6 € Preisgeld befördert uns die Gondel innnerhalb weniger Minuten den 600 Meter hohen Grashang hinauf zur sonnenbeschienen Bergstation (1997m). Gleich zwei Wege führen zu unserem Ziel, der Rotwandhütte (Roda di Vael, 2280m). Wir geben der Nummer 541 den Vorzug. Der ist zwar länger als der Val di Fassa-Höhenweg 545, dafür verlässt er jedoch schnellstmöglich den Wald und führt über felsiges Terrain. Bereits nach einer halben Stunde mäßigen Anstieges sind unsere T-Shirts vollkommen durchgeschwitzt – ein Zustand, der sich als symptomatisch für diesen Urlaub erweisen soll. Offenbar sind wir mitten in den mediterranen Hochsommer hineingeplatzt.

Nachdem wir einen Blick auf das bekannte Vajolettal geworfen haben, schnaufen wir uns müdeBlick auf Rotwand den Pfad unterhalb des zweistöckigen Zigolade-Massivs entlang. Am Pass unterhalb des Mugoni erwartet uns der großartige Ausblick auf die senkrechte Ostflanke der Rotwand (2806m).
Ein Mann macht sich in unseren Augen verdächtig, als er mit seiner Videokamera reichlichBody Snatchers merkwürdige Blumen aufnimmt. Diese Pflanzen haben wir noch niemals in natura gesehen, sie erinnern uns jedoch an eine außerirdische Spezies aus dem anspruchsvollen Hollywood-Streifen „Die Körperfresser kommen“ mit dem unvergessenen Donald Sutherland in der Hauptrolle. Wir beschließen, in dieser Hinsicht wachsam zu sein und die bizarren Kreaturen im Auge zu behalten. Auf keinen Fall möchten wir eines Morgens als hirnlose Automaten erwachen, die nur noch die Erhaltung ihrer Art im Sinn haben.

Nach etwa drei Stunden Gehzeit (inkl. Frühstückspause) erreichen wir schließlich die Rotwandhütte nebst der Imbissbude genannt Pederiva-Hütte und sind einigermaßen verblüfft über die hektische Beriebsamkeit, die dort vorherrscht.
Auf den Terrassen und Wiesen räkeln sich mehr als hundert Menschen herum – zumeist Italiener – undoans… zwoa… bsoffa! genießen plappernd die Sonne. Wir trinken jeder ein Weissbier und sind im Nu hackenstramm. So betrunken war ich nicht mehr seit letztem Rosenmontag – am hellichten Tage wohlgemerkt. Wir torkeln zu einem netten Wiesenplätzchen herüber und versuchen, wenigstens ein Häppchen des verlorenen Nachtschlafes nachzuholen. Vergebens. Konzenrationsängste machen sich breit. Nur ein paar kleine Döserchen sind drin.

Als sich der Trubel am Nachmittag ein wenig gelegt hat, rappeln wir uns auf und gehen die Besteigung des Hausberges Ciampaz (2316m) an. Dank wackliger Beine gestaltet die sichRotwandhütte vom Gipfel des Ciampaz gar nicht unschwierig. Auf dem Gipfel überkommen mich Absturzhalluzinationen. Ich freue mich auf mein Bett. Das Abendessen ist schnell abgehakt: die Spaghetti con Fleischsoße kommen als Kinderration daher, ich kaue jeden Bissen 40x und äuge neidisch zu den vier Hannoveranern am Nachbartisch hinüber, die so umsichtig waren, die Würstchenplatte zu ordern.
Die anderen Hüttengäste verschwinden bereits ab 20 Uhr auf den Zimmern. Wir beide sind mit einem Male wieder verdächtig wach und gehen wie so oft als letzte.

1.Tag: Rotwand (2807m) – via Hirzelweg zur Rosengartenhütte

© Stefan Maday 05.09.2003