Alpbach Chronik 1999

Tagebuch eines Sommers in den Alpen

von Stefan Maday

Prolog

Im Sommer 1999 verbrachte ich zwei Monate in Alpbach im schönen Tiroler Unterland. Nicht aus purem Vergnügen, sondern um meinen Lebensunterhalt mit einem Job in der Tourismusbranche zu bestreiten.
Alpbach – Alpbachtal – Kitzbüheler Alpen – Unterland – Tirol – Österreich – Europa – Erde – Sonnensystem – Orion-Arm – Milchstraße – Lokale Gruppe – Virgo-Cluster etc. Klingt nicht besonders bedeutend, ist es auch nicht. Ein zweitausend Seelen-Dorf in einem kleinen Nebental des Inntals.
Ein idyllisch verpenntes Nest vor der beeindruckenden Kulisse der Alpen. Alle Häuser sehen gleich aus, selbst Neubauten werden auf Nostalgie getrimmt. Wirklich nichts, was das Auge des Betrachters irgendwie beleidigen könnte. Nicht einmal Müll liegt hier herum! Der Großstädter ist weiterhin verwirrt ob der sauberen Luft und der Ruhe sowie der Tatsache, daß sich hier jeder kennt und grüßt und duzt.
Alpbach ist eines dieser Fleckchen, das seinen Gästen die perfekte Erholung anbietet, sie müssen nur wollen. Doch was macht ein schwer arbeitender Legionär hier zwei Monate lang in seiner Freizeit?
Ach ja, die Berge! Die kannte ich bislang nur aus Everest-Reportagen und alten Trenker-Filmen („Wer ruft denn da?“, „I glaub da kemmt a Wetta!“). Da das Bergwandern nicht nur bei den Touristen Volkssport Nummer eins ist, konnte ich mich dem natürlich schlecht entziehen (ist doch besser als sich wund zu liegen).
Was anfangs zögerlich der Langeweile und Neugierde entsprang, sollte sich schließlich zu einer Leidenschaft entwickeln. Doch bis dahin war es ein im wahrsten Sinne des Wortes langer und steiniger Weg. Galt es doch, physische und vor allem psychische interne Schweinehunde aus dem Weg zu räumen.
Die vorliegenden Berichte schildern nicht nur meine Metamorphose zum „Naturburschen“, sondern enthalten auch viele Informationen, die in keinem Wanderführer abgedruckt sind. Jetzt, da ich sie schreibe, bezweifle ich eigentlich, daß ich sie jemals veröffentlichen werde. Wie das bei Tagebüchern so ist, enthalten sie viel Persönliches und sollen nur dem Schreibenden bei der Verdauung seiner Erlebnisse behilflich sein.
Falls ich dennoch eines Tages der Versuchung dieses Mediums Internet erliegen sollte und je ein Mensch auf die wahnwitzige Idee käme, meine gestammelten Werke zu lesen, wünsche ich ihm (diesem Menschen) schon jetzt gute Unterhaltung!

Köln, Oktober 1999

 

Bergtouren Alpbach 1999

Grundsätzlich gilt:

  • Alle hier aufgelisteten Touren sind ohne spezielle Kletterausrüstung zu bewältigen (von Rucksack und festem Schuhwerk einmal abgesehen), auch wenn hier und da einmal ein kurzer Klettersteig dabei ist.
  • Die Bewertung nach Schwierigkeit und Unterhaltungswert einer Tour erfolgt natürlich äußerst subjektiv, abhängig von Wetter, eigenem Unvermögen, Tagesform, Menstruationszyklus u.ä.
  • Die Gehzeiten verstehen sich inklusive kleiner Rauchpausen und gelten i.a. nur für den Aufstieg. Der Abstieg auf dem gleichen Weg geht meist etwas schneller vonstatten.
  • Achtung: in den Gipfelregionen findet sich im Hochsommer kein fließendes Wasser, also ausreichend H2O mitnehmen!.
Wiedersberger Horn (2127m)
Aufstiegs-Route: Talstation Hornbahn – Bergstation Hornboden – Östlicher Panoramaweg – Anstieg über den Südhang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 45min
Bemerkung: Zum Kennenlernen. Prima Aussicht auf das Alpbachtal.

01.08.1999 Wiedersberger Horn (2127m)

Ich bin zwar schon seit vier Tagen hier in Alpbach, doch heute hat es erstmalig einen Hauch von Wonnewetter. Bisher waren die Gipfel der Berge immer unter einem nebulösen Schleier verborgen. Erst jetzt realisiere ich, daß ich tatsächlich in den Alpen bin.
Als blutiger Anfänger in Sachen Berghoch entscheide ich mich für das Wiedersberger Horn, den Berg, unter dessen Nordhang ich wohne, so daß mir keinerlei Horizont vergönnt ist.
Mein erster Gipfel! Allerdings mit ordentlicher Schummelei, bin ich doch mit der Gondelbahn zur Bergstation auf ca. 1800m hinauf gefahren.
Die restlichen Meter bis zum Gipfel stellen für einen untrainierten Flachländer aber immer noch eine ganz schöne Tortur dar. Ein seichter Anstieg führt an einem Schilift vorbei und links über den Panoramaweg unterhalb des Gipfels. Dann wird es steiler.
Die Pumpe beginnt zu rasen, die Lunge pfeift und der Schweiß fließt in Strömen. Jede jemals gerauchte Zigarette wird zum Fluch! Besonders die letzten 100m über die Schotterhalde am Südhang haben es in sich. Blick auf das Horn von Süden aus Oben gibt es ein tolles Panorami mit Blick auf das Alpbachtal, die Gratlspitz und den Großen Galtenberg. Nach Süden hin erstreckt sich ein Grat über drei Kilometer bishin zur Sagtaler Spitze, aber dafür reichen Zeit und Kondition (noch) nicht. Besonders gut kenne ich mich in den Bergen noch nicht aus.
Mit Hilfe meiner Panoramakarte versuche ich, all den anderen unbekannten Gipfeln einen Namen zu verpassen. Da gibt es Spitzen, Köpfe und Jochs. Unterhalb des Galtenbergs liegt noch Schnee! Sieht alles sehr steil und unheimlich aus. Werde ich jemals dorthin gelangen, wenn alleine schon der Anblick dieses steinernen Monstrums ein mulmiges Gefühl in mir weckt?
Der Gipfel ist recht gut besucht, obschon es hier keine Pommesbude oder sonstige Attraktionen gibt. Außer dem Gipfelbuch vielleicht. Stolz vermerke ich meine Visite und blättere ein wenig in der Vergangenheit herum. Manche haben sich regelrecht Mühe gemacht, etwas Originelles zum Besten zu geben, andere waren sich offenbar selbst genug. Die wohl dämlichste Eintragung lautet: „Bine und Gery aus Deutschland (Koblenz)“. Du meine Güte! Die kenne ich auch noch…
Beim Abstieg über den Nordhang gerate ich an einen kurzen Klettersteig mit Stahlseilen. Eine unterhaltsame Einlage, das vollkommen abgewetzte Seil läßt auf fleißige Benutzung schließen. Wie wohl die vielen kleinen Kinder, die hier herumlaufen, da hoch und runter kommen?

Fazit: Das Wiedersberger Horn ist der Familienberg. Sonntags läßt man sich hier besser nicht blicken, da geht es zu wie vor dem Kölner Dom.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Schatzberg (1898m)
Aufstiegs-Route: Alpbach – Gasthof Roßmoos – Wurmeggalm – Anstieg über den Westhang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 2h 30min
Bemerkung: Anstrengend, aber einfach. Nicht gerade ein Erlebnis, das einen aus dem Anzug haut.

04.08.1999 Schatzberg (1898m)

Der erste rechtschaffen vom Tal aus erklommene Berg und gleichzeitig eine ziemliche Enttäuschung. Anstieg über die Straße von Alpbach zum Gasthof Roßmoos, danach Senioren-Highway hoch bis zur Wurmeggalm.
Bis hierhin war Sonnenschein mit gutem Schwitzen angesagt, doch der Himmel im Westen verheißt nichts Gutes. Der Anstieg über den moderigen Kuhacker zum Gipfel geht gehörig auf den Kreislauf, aber alpines Feeling mag dennoch nicht aufkommen. Wo sind die Felsen?
Auf dem Weg kommen mir Wanderführer Willi und seine (bzw. auch meine) Touris entgegen. Letztere machen einen sichtlich geschlauchten Eindruck, obwohl sie das Gröbste doch schon hinter sich haben. Schatzberg Gipfel Der Schatzberg gehört eher in den Westerwald als in die Alpen, selbst mir als Höhenschwindler hater kaum Aufregendes zu bieten.
Bis auf die Tatsache, daß vom Karwendel her ein düsteres Gewitter aufzieht, kaum daß ich oben bin. Plötzlich wird es kalt und windig. Ich fühle mich an meinen letzten Nordsee-Urlaub erinnert. Wacker eine Gipfelzigarette gewutzelt und das obligatorische Gipfelfoto geschossen. Dann schnell wieder runter, zur Abwechslung in die andere Richtung über die Schatzbergalm. Das Gewitter zieht knapp vorbei, trotzdem erreiche ich den Senioren-Highway patschnaß und bin nach insgesamt fünf Stunden wieder überglücklich in Alpbach.

Fazit: Der Schatzberg ist ein klassischer Langweiler. Gut als Konditionstraining für Einsteiger. Das Schlimmste, was einem zustoßen kann, ist Karies.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: —

06.08.1999 Tal der Schlangen

Eigentlich wollte ich heute die Sagtaler Spitze besteigen, aber daraus wird wohl nichts. Ich hänge am steilen Südhang, der Weg ist schlecht markiert und ich weiß weder vor noch zurück.
Dabei fing alles so gut an. Die Gondelbahn brachte mich zum Hornboden, von dort führen gleich zwei Panoramawege auf ein kleines Plateau an der Südseite des Wiedersberger Horns. Dort wurde ich Zeuge eines spektakulären Naturereignisses: der Orogenese. So nennen Geologen die Entstehung von Gebirgen.
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Moser Hoch-und Tiefbau entsteht hier gerade ein brandneuer Gipfel! So, oder so ähnlich, muß sich auch die Entstehung der Alpen vor 100 Millionen Jahren abgespielt haben. Damals hat es nur viel länger gedauert, denn die Dinosaurier kannten noch keinen Diesel. Moser baut einen Berg Vor meinem geistigen Auge manifestierte sich spontan ein Bild des fertigen Berges: unten sitzt ein kleiner Mann mit einem lustigen Hut in einem lustigen, kleinen Häuschen und verkauft Eintrittskarten zu ATS 50, via Rolltreppe oder Aufzug gelangt der Alpenfreak auf den Gipfel. Dort erwartet ihn eine herrliche Aussicht auf die große Infomatic- Werbeleinwand (eine Art multimediales Gipfelkreuz). Aus den Kilowattboxen der Pommesbude dröhnt das Kufsteinlied, den Duft von ranzigem Fett gibt es gratis dabei und alle Menschen sind Brüder respektive Schwestern.
Zurück in der Realität wurde mir klar, daß hier doch nur ein weiterer Lift für unsere Schifreunde errichtet wird. Schließlich gibt es am Wiedersberger Horn erst drei oder vier von der Sorte. Wer vom Tourismus lebt, muß auch mit dem Tourismus leben. Ein heikles Thema in den Alpen, über daß ich mich nicht weiter ereifern möchte. Letztlich tröstet das Sprichwort: einen geschundenen Berg kann nichts mehr entstellen.
Weiter ging es über den Kamm Richtung Süden, der relativ einfach zu begehen ist und trotzdem Laune macht. Irgendwann teilt sich der Grat, links liegt die Sagtaler Spitze und rechts eine kleine Hochebene, ca 2100m hoch. Dort liegt noch Schnee, es gibt einen putzigen Weiher und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben echte Schlangen gesehen. Die possierlichen Reptilien waren darüber noch erschrockener als ich selbst.
Aber jetzt hänge ich fest und verspüre zum ersten mal nackte Angst, sehr aufregend. Das ist nun der Nachteil, wenn man ganz alleine lostrottet, um eine fremde neue Welt zu erkunden. Man ist zwar vollkommen frei und unabhängig, doch niemand ist da, der einem die Gedanken stärkt. Bergsee unterhalb des Standkopfes Ein Hubschrauber fliegt über mich hinweg und landet in einem kleinen Hochtal in der Nähe. Als er wieder aufsteigt, hat er eine Kuh unten dranhängen, die sich vermutlich in einer ähnlich prekären Lage wie ich befunden hatte.
Regel 1: Aufi paßts schon irgendwie, doch runter schlottern dir die Knie. Man sieht nämlich genau, was einen so erwartet. Zudem muß man die Schwerkraft mäßigen, die einen gemäß dem Prinzip der kleinsten Wirkung unmittelbar ins Tal befördern möchte.
Natürlich bin ich irgendwann wieder runtergeklettert, was blieb mir ohne Zahnbürste und Schlafanzug anderes übrig. Kühe sind wahrscheinlich nicht intelligent genug, ihre Ängste zu überwinden. Oder sie sind sogar derart intelligent, daß sie es so zu deichseln verstehen, vom Hubschrauber abgeholt zu werden statt laufen zu müssen.
Der Abstieg war dann auch viel leichter, als ich dachte. Als ich schon wieder auf dem Kamm in Richtung Horn marschiere, kommt mir die Angsthasen- Show von vorhin doch reichlich albern vor.
Schon deshalb wird mir mein Versagen hier keine Ruhe mehr lassen, will sagen: ich komme wieder!!!

Fazit: Das war ja eher peinlich!

Gratlspitz (1894m)
Aufstiegs-Route: Alpbach – Bischofer Alm – Anstieg über den Grat von Westen
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 2h 45min
Bemerkung: Lohnenswerter Berg. Wundervolle Steilwände. Leichter Klettersteig westlich des Gipfels. Insgesamt führen gleich vier Wege auf den Gipfel entsprechend den vier Himmelsrichtungen. Besonders empfehlenswert ist eine Ost-West-Tour längs über den gesamten Grat.

09.08.1999 Gratlspitz (1894m)

Montag Mittag: die Sonne brennt, es ist heiß und knochentrocken. Kein Wölkchen am Himmel, was für den August hier ungewöhnlich ist.
Heute wage ich den Aufstieg auf die Gratlspitz, die mit ihren schroffen braunen Felswänden trotzig über Alpbach thront, als wolle sie mich herausfordern. Will sie auch.
Ich denke, ich werde es von Westen über den Kamm versuchen. Mal schauen, wie weit ich so komme. Ein beschwerlicher Anstieg bei dieser Hitze, auf halbem Weg zur Bischoferalm ist mein T-Shirt vollgesogen. Gratlspitz von Alpbach aus Die Alm hat Ruhetag! Ich fürchte, daß mir schon bald das Wasser ausgehen wird. Nirgendwo eine Quelle oder ein Brunnen, dieser Berg könnte auch in der Sahara stehen. Endlich runter vom Senioren-Highway und bereit für den Anstieg zum Gipfel.
Es geht ein quälend steiles Waldstück hoch, es wimmelt von Insekten, die in meinem Schweiß baden wollen. Dann felsiges Gelände, ein Klettersteig und endlich oben. Ernüchterung: zwischen mir und dem Gipfelkreuz liegen noch einige Höhen und Tiefen. Ich werde bestimmt noch eine Stunde brauchen. Dafür läuft es sich hier oben angenehmer, durch eine phantastische Landschaft, bedeckt mit niedrigen verkrüppelten Kiefersträuchern. Latschen durch Latschen.
Der Weg führt jetzt an nackten Steilwänden vorbei, mir wird plötzlich klar, daß ein kleiner Stolperer hier unangenehme Folgen haben kann. Dieser flüchtige Gedanke beginnt in meinem Kopf wie ein Tumor zu wuchern. Schritt für Schritt wächst meine Angst, ich kann mich kaum noch auf den Weg konzentrieren. Als es unversehens auch noch steil aufwärts geht, versagen meine Nerven, ich muß mich setzen.
Bewegungslos, an einen Strauch geklammert, überdenke ich meine Lage. Möglichst nicht nach unten schauen, sonst dreht sich mir der Magen um. Ich bin für diese Bergwelt nicht geschaffen! Ein Blick auf die Uhr, es bliebe genug Zeit zum Umkehren. Doch der Weg ist weit und meine Wasserflasche längst leer. Ich bin trocken wie ein Martini. Ein Blick nach Osten, hundert, zweihundert Meter entfernt, das Gipfelkreuz, daneben zwei Gestalten. So steil können die Grasalpen sein! Aber dort ist gar kein Weg mehr zu erkennen, nur noch steiler Fels. Eine Zigarette macht mich schlau. Regel 2: Der Gedanke an das, was Böses kommen mag, versaut dir nur den Tag. Die beiden Gestalten haben den Gipfel in meiner Richtung verlassen, ich kann sie zwar nicht sehen, höre aber bald ihre Stimmen. Ich versuche, einen coolen Eindruck zu machen und nicht wie ein Nichtschwimmer auf dem Dreimeterbrett zu wirken, als die beiden mich erreichen.
Ein älteres Ehepaar, es grüßt und er bemerkt in vorbildlichem Sächsisch: „Nu sinse bald da, nich wahr?“ Ich setze meinen Weg fort und bin ein paar Minuten später ohne Probleme auf dem Gipfel, erleichtert. Kurz nach mir kommt eine Tirolerin total fertig an, sie muß wohl hier hoch gejoggt sein. Ich meine „Schön, wenn man erst mal oben ist!“, darauf stöhnt sie nur „Wui! Wui!“.
Der Abstieg über den Hausberg ist nach dem Erlebten eher easy going, und nach anderthalb Stunden liege ich in den Armen einer eiskalten Dose Coke.
Regel 3: Hunger ist nichts. Durst ist alles. Hör auf deinen Durst! Die ganz große Kunst besteht sogar darin, genau das mitzunehmen, was man tatsächlich braucht. Nicht mehr, nicht weniger. Diese Aussage ist nicht trivial, ein analoges Problem existiert in der Raketentechnik.

Fazit: der „kürzeste“ der vier Alpbacher Hausberge, aber nicht ohne, so eine Art „kloaner Koaser“. Auf alle Fälle ein tolles Erlebnis.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Großer Galtenberg (2424m)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Greitalm – Farmkehralm – Anstieg über den seichten Nordwesthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 3h
Bemerkung: Die einfache Variante für den Koloss. Nicht sehr anspruchsvoll, aber weit. Bei gutem Wetter ist eine phänomenale Aussicht garantiert.

22.08.1999 Großer Galtenberg (2424m)

Endlich ist es soweit. Während sich ab heute die selbsternannte intellektuelle Elite im Rahmen des Europäischen Forums im Alpbacher Kongreßzentrum untereinander bejubelt, steht mir der Sinn eher nach einer Begegnung der physischen Art: heute soll der letzte der großen Vier vor mir in die Knie gehen.
In den vergangenen beiden Wochen bin ich bereits zweimal vergeblich gegen den Riesen angerannt, zunächst schwächelte meine Begleitung, dann hielt das Wetter nicht.
Heute bin ich alleine und der Gipfel ist ausnahmsweise einmal nicht wolkenverhangen (liegt vielleicht daran, daß Bundeskanzler Klima heute in Alpbach ist). Also keine Entschuldigungen, keine Ausreden. Alles außer einer erfolgreichen Besteigung wäre inakzeptabel. Man muß sich ein solches Ziel setzen. Ich bin ein neuer Stefan, auf der Gratlspitz habe ich einiges gelernt.
Aus künstlerischen Gründen werde ich zudem ab heute nur noch sw photographieren und natürlich weiterhin die Rechtschreibereform torpedieren.
Den Weg bis zur Gipfelregion kenne ich schon bestens. So parke ich mein Vehikel beim Leitner und gehe dann auch recht locker und flockig den Greiter Graben hoch an der Greitalm vorbei. Rechts über mir thronen die Sagtaler Spitzen wie Zähne in einem Drachenmaul, als ich dem Senioren-Highway zur Farmkehralm folge.
Kurz vor der Alm biege ich rechts ab Richtung Krinnjoch, halte mich aber links und marschiere an einem kleinen Gletscher vorbei und durch knietiefe Kuhscheiße den Hang hinauf, um schließlich wieder auf den Senioren-Highway zu treffen. Der führt direkt zum Hochleger der Alm.
Bis hierher war alles verdächtig einfach und gar nicht so anstrengend, offenbar bin ich jetzt nach drei Wochen in den Bergen schon ganz gut akklimatisiert. Knapp oberhalb der Hochalm teilt sich der Pfad, rechts führt der Weg über die Farmkehrpfanne in Richtung Kleiner Galtenberg. Das Schild mit der Aufschrift „Gratsteig, steil!“ überzeugt mich, den linken Weg einzuschlagen. Heute ist erst mal Ankommen angesagt.
So geht es einige Zeit relativ gemütlich bergauf, bei etwa 2000m zweigt links ein Pfad über den Kamm direkt nach Inneralpbach ab, eine Alternative für den Abstieg. Bis hierher war ich beim letzten Versuch gekommen, dann holte mich der nasse, kalte Nebel ein.
Die letzten 400m verlaufen relativ human, in vielen Serpentinen schlängelt sich der Pfad allmählich auf das Gipfelkreuz zu. Gras und Humusboden werden immer mehr durch Geröll und Schiefersplitter abgelöst. Nach insgesamt knapp drei Stunden stehe ich plötzlich auf dem Gipfel, ein klein wenig enttäuscht, weil es doch ein bißchen zu einfach war. 2424m hoher Wäschetrockner Außer mir ist niemand hier oben, da kann ich mich ungeniert breit machen und mein Shirt zum Trocknen ans Gipfelkreuz hängen. Die Aussicht ist beeindruckend, auch wenn die Fernsicht durch Dunst ziemlich eingeschränkt ist. Im Süden erkennt man immerhin andeutungsweise die schneebedeckten Gipfel der Hohen Tauern, eingehüllt in dichte Wolken. Ich ärgere mich, mein Fernglas nicht mit nach Tirol gebracht zu haben. Ein Rundumblick verrät, daß es in der näheren Umgebung wirklich keinen höheren Berg gibt als den Galti. Alle anderen wie das Wiedersberger Horn, die Gratlspitz und selbst das Rofanmassiv wirken zwergig von hier oben. Dennoch ist der Galtenberg nicht die höchste Erhebung der Kitzbüheler Alpen, wie manchmal behauptet wird. Diese Auszeichnung darf sich das Kreuzjoch (2558m) bei Gerlos an den Torso pinnen.
Ich suche im Gipfelbuch nach einer Eintragung von Hildegard, die vor zwei Wochen hier oben gewesen sein wollte, finde aber nichts. Hat sie mir einen Bären aufgebunden? Dafür belehrt mich eine andere Eintragung, daß der Galtenberg aus Wildschönauer Schiefer besteht. Wenn wir schon beim Klugscheißen sind: hier oben herrscht nur etwa drei Viertel des normalen Luftdrucks auf Meeresniveau und da die Atmosphäre bei einem solchen gewitterträchtigen Wetter wenigstens adiabatisch geschichtet ist, dürfte die Temperatur schätzungsweise 15 Grad unter der in Alpbach liegen. Wohl besser, ich ziehe mein T-Shirt wieder an!
Nach Süden hin verläuft ein bedrohlich schmaler Grat, der schließlich steil in Richtung auf den Kleinen Galtenberg abfällt. Das muß der andere Weg zum Gipfel sein und ich bin froh, daß ich ihn nicht gegangen bin. Den spare ich mir für später auf, wenn ich groß bin und der Föhn föhnt.
Nach genossenem Gipfelglück (Ei und Zigarette) geht es den gleichen Weg wieder zurück, es ist schon spät, ich habe es eilig, mein Wiener Schnitzel wartet.
Beim Abstieg treffe ich tatsächlich auf einen jungen Wanderer, der noch später unterwegs ist als ich. Er freut sich, als er von mir erfährt, daß er der letzte und einzige auf dem Gipfel sein wird. Noch jemand, der die Einsamkeit der Berge schätzt.
Nach genau sechs Stunden sitze ich wieder im Auto.

Fazit: das „Alpbacher Matterhorn“ ist nicht so schlimm wie sein Ruf, zumindest nicht beim Anstieg über den Touristenpfad. Aber schia is doch.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Sagtaler Spitze (2241m)
Aufstiegs-Route: Talstation Hornbahn – Bergstation Hornboden – Östlicher Panoramaweg – Kamm in Richtung Süden – Anstieg über den Osthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 1h 15min
Bemerkung: Lockere Kammwanderung. Lohnenswert. Strategisch günstig gelegen als Ausgangspunkt für Wanderungen über den Gamssteig oder zum Hamberg. Vorsicht vor dem steilen Nordhang!

25.08.1999 Sagtaler Spitze (2241m)

Heute bin ich bereit für den zweiten Angriff auf die Sagtaler Spitze. Der Weg dorthin ist bereits Routine, von der Bergstation der Gondelbahn bis zum Fuß des Berges benötige ich nur noch ein gutes Stündchen. Nun heißt es, einen anständigen Pfad nach oben zu finden, meine Wanderkarte gibt in der Beziehung leider nichts her.
Als ich dort so rauchend und den Weg ausbaldowernd auf einem Felsbrocken herumsitze, überholt mich ein junges Paar, offensichtlich Deutsche. Sie grüßen mich und reißen einen Antiraucher-Witz. Schließlich marschieren sie schnurstracks über den Osthang den Berg hinauf. Diesen Pfad hatte ich beim ersten Mal total übersehen, wohl schon deshalb, weil er gefährlich nah an der nördlichen Steilwand vorbeiführt. Sagtaler Spitze „Wat mut, dat mut“, denke ich mir und folge nach ein paar Minuten. Es geht anfangs sehr steil über eine Schotterpiste voran, links gähnt der Abgrund. Nur nicht ausrutschen, sonst lande ich unten im Greiter Graben und muß mit dem Bus nach Hause fahren. Schließlich wird der Weg etwas angenehmer und nach kaum zehn Minuten ist auch schon alles vorbei, ich stehe auf dem Gipfel.
Dort sitzen die beiden Gesundheitsapostel und genehmigen sich einen Enzian! Ich mache ein Foto von ihnen fürs Familienalbum und qualme mir eine. Hier ist es richtig gemütlich, ich bewahre aber einen respektvollen Abstand zum Nordhang.
Die Aussicht ist hervorragend, im Südwesten sieht man merkwürdige Berge, die in flache, langgezogene Nebelbänke eingehüllt sind. Das müssen wohl Gletscher sein, Schnee und Wolken sind auf diese Entfernung kaum voneinander zu unterscheiden.
Als ich mich hier oben ein wenig genauer umschaue, bemerke ich, daß gleich drei Wege hier herauf führen: der, den ich heute gegangen bin, der, den ich letztes Mal versucht habe und ein weiterer schlängelt sich von Osten her über die Gipfel, die von unten wie Drachenzähne aussehen, wenn sie auch ein wenig krumm und faulig erscheinen. Offenbar ist das der berüchtigte Gamssteig, der im Wanderjournal des Alpbacher Tourismusverbandes folgendermaßen angepriesen wird: „…für unsere besonders durchtrainierten und vor allem schwindelfreien Gäste!“ Klingt faszinierend und abstoßend zugleich.
Da heute irgendwie kein guter Tag zum Sterben ist, beschließe ich, den ursprünglichen Weg wieder herunterzuklettern und mich noch ein wenig im Tal der Schlangen umzusehen. Dort entdecke ich einen Pfad, der zum Kamm in Richtung Zillertal hinaufführt. Auch der existiert laut meiner Wanderkarte nicht, ich werde mein Geld zurückverlangen. Oben angekommen sehe ich von weitem den Hamberg, der wie ein Leuchtturm über dem Zillertal thront.
„Du bist der nächste“, denke ich, aber nicht heute, ich will noch die letzte Gondel gen Kolberhof-Schnitzel erwischen.

Fazit: Ich schließe mich ausnahmsweise den einschlägigen Wanderführern an, die da einhellig schreiben: „eine leichte, lohnende Wanderung“.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Joel-Spitze (1964m)
Aufstiegs-Route: Alpbach – Gasthof Roßmoos – Pechalm – Schatzberg – Hahnkopf – Gernsattel – Grasinger Jöchl – Anstieg über den Nordhang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 4h 30min
Bemerkung: Einfache Tour mit Mittelgebirgscharakter, es geht hauptsächlich über matschige Wiesen. Muß man nicht unbedingt gemacht haben.

27.08.1999 Joel-Spitze (1964m)

Ein Blick aus dem Fenster verrät mir sofort: heute ist Freitag, mein freier Tag. Das Wetter ist so was von „schiach“, es gießt in Strömen. Das Radio verspricht Besserung, da sei nachmittags sogar Sonne drin. Als der Regen tatsächlich nachläßt, mache ich mich auf zum Schatzberg. Vom Gipfel aus will ich über den Kamm nach Süden bis auf den Lämpersberg, ein ordentliches Stückchen.
Nach gut zwei Stunden bin ich zum zweiten Mal auf dem Schatzberg, das Wetter ist noch schlimmer als vor drei Wochen, man sieht kaum die Hand vor Augen. Ich genieße gerade mein Mittagessen (Ei und Zigarette), da bekomme ich Besuch von einem einsamen Niedersachsen. Er ist seiner Busreisegruppe entflohen und wollte, statt in den Dolomiten rumzugurken, lieber mal einen Berg leibhaftig besteigen. Wir führen eine angeregte Unterhaltung über die Prinzessin von Schaumburg-Lippe und ihre ständigen Eskapaden. Leider muß ich mich schließlich verabschieden, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.
Nachdem es die ganze Nacht geschüttet hat, ist der Weg in einem üblen Zustand. Beim Abstieg vom Schatzberg in Richtung Gernsattel rutsche ich aus und lande mit meinem Hintern im Matsch. Müßig, darüber nachzudenken, ob das jetzt Erde oder Kuhscheiße ist, weil das eine jeweils das andere hervorbringt. In diesem Stil geht es weiter, allmählich jedoch geht der Schlamm in ein richtiges Moor über und ich muß über die ausgelegten Holzplanken balancieren.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich am Fuß der Joel-Spitze stehe. Auf dem Gipfel steht eine Art Pyramide. Joga auf der Joel-Spitze In wenigen Minuten bin ich oben und die Pyramide erweist sich als steinernes Denkmal. Ein Metallschild klärt mich auf, daß ein gewisser Herr
Joel hier vor nunmehr 90 Jahren den Lawinentod starb.
Ich möchte wetten, daß es sich um eine Schlammlawine gehandelt hat. Ich mache mich wieder auf den matschigen Weg. Als nächstes liegt der Saupanzen (1957m) auf dem Weg. Ich lasse ihn aus, der Name gefällt mir nicht, und gehe drum herum.
Endlich kommt der Lämpi in Sicht, das heißt nur der untere Teil, der nicht in Nebel gehüllt ist. Das mit dem Wetter wird wohl nichts mehr heute. Es gibt viele Gründe, warum immer mehr Hörer zu Antenne Tirol wechseln, der Wetterbericht gehört sicher nicht dazu. Nomen est Omen? Ein Bergbauer, der auf der Suche nach seinen Kühen ist, äußert sich skeptisch gegenüber meinem Vorhaben. Das Wetter würde nicht besser und es sei noch ein weiter, anstrengender Weg bis oben hin. Ich nehme das als Herausforderung und versuche den Aufstieg, bis zur Dämmerung sind noch fast drei Stunden Zeit.
Der Anstieg erweist sich schnell als steil und rutschig, nach gerade mal hundert Höhenmetern gebe ich auf. Müßige Plackerei, wenn man überhaupt nichts sieht. Regel 4: Fragst du den Bauern nach dem Wetter, sagt er „Spar dir das Gekletter!“ Der Rückweg ist die reinste Odyssee: über die Feldalm zur Lueger Alm und runter nach Inneralpbach. Von dort aus über den oberen Höhenweg nach Alpbach, der sich dank müder Beine nochmals wie ein Kondom in die Länge zieht. Zu Hause angekommen wird es gerade dunkel.

Fazit: wie soll bei so einem Wetter irgend etwas Spaß machen?

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: —

Lämpersberg (2202m)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Kiesweg durch Lueger Graben bis auf Höhe Mareitalm – Weg A29 zur Jagdhütte – Feldalm – Anstieg über Nordwesthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 2h 45min
Bemerkung: Relativ einfache und dennoch klasse Tour. Kurzzeitig sehr steiler Anstieg. Grandioser Ausblick auf die Wildschönau. Auf dem Gipel ist immer was los, hier tummeln sich Ziegen und Schafe.

31.08.1999 Lämpersberg (2202m)

Da bin ich wieder und sitze zwischen den Kühen am Nordhang des Lämpersberges, ungefähr an der Stelle, an der ich vor vier Tagen aufgegeben habe. Heute ist prima Wetter, die Sonne brennt und ich habe genügend Zeit. Hier wimmelt es von Wahnsinnigen! Diesmal bin ich von Inneralpbach losgegangen, durch den Lueger Graben. Ein Schild weist den Wanderer (ganz dezent) darauf hin, daß hier gerne rumgeballert wird. Seitdem bemühe ich mich, im Rahmen meiner Möglichkeiten, nach außen hin wie ein menschliches Wesen aufzutreten.
Nach einer Weile zweigt links der Pfad zur Jagdhütte ab und führt weiter durch den Wald bis zur Feldalm. Nun liegt der Gipfel keine 300m mehr über mir, wie weit wirklich entfernt, kann ich nicht sagen. Die Erfahrung hat mich jedoch gelehrt: Höhenmeter sind Hundemeter (Regel 5). Es ist ein sehr steiler und anstrengender Anstieg, bis der Pfad wieder auf einen Kamm mündet. Von hier aus kann ich endlich das Gipfelkreuz sehen, aber auch den pechschwarzen Himmel über der Wildschönau im Osten. Es verstößt zwar gegen alle Regeln der Meteorologie, aber das Unwetter scheint tatsächlich zu mir herüberzuziehen.
Doch vorläufig bin ich noch guter Dinge. Es läuft sich jetzt schön gemütlich vorbei an kleinen Weihern und Hügelgräbern, zur Linken geht es abrupt in ein kleines Tal mit zwei Bergseen hinunter, „Kreuzlacke“ und „Schwarze Lacke“, laut Wanderkarte.
Der Gipfel ist plötzlich kaum noch zu erkennen, Nebelschwaden wabern von Nordosten über den Grat. Das war es dann wohl! Gedanken schießen mir durch den Kopf: soll ich da überhaupt noch hoch? Bin ich ein Regengott? Vielleicht bezahlt mich dann im nächsten Jahr jemand dafür, daß ich nicht nach Tirol komme. So kurz vor dem Ziel will ich die Sache auch zu Ende bringen, bald zweigt rechts ein Pfad zum Kleinen Beil ab, der Hauptweg wendet sich nach Osten und steigt wieder steiler an. Die letzten 50m schaffe ich auch noch und stehe alsbald im kalten Nebel, der in Fetzen von einer steifen Brise über den Kamm gefegt wird.
Eigentlich wollte ich es mir hier oben so richtig bequem machen. Schönes Wetter, Leute! Die Sonne genießen und einen Brief schreiben. So bringe ich mein obligatorisches Gipfelglück (Ei, Zigarette, Foto) im Akkord hinter mich, tue dem Gipfelbuch meinen Frust kund und steige wieder ab, immer in der Hoffnung, daß es in den nächsten zwei Stunden wenigstens trocken bleibt. Beim Abstieg treffe ich auf ein Rudel Ziegen (oder Gemsen?), die sofort Reißaus nehmen, noch bevor ich „Huah“ rufen kann. Erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit und Geschicklichkeit diese Tiere mit ihren knorrig wirkenden Stelzen selbst steile Felsen hoch- und runterrennen. Dafür können sie augenfällig nicht mit Messer und Gabel essen, geschweige denn ein WC benutzen.
Mehr gibt es nicht zu berichten, außer daß in Alpbach bei meiner Rückkehr wieder die Sonne scheint.

Fazit: ein sympathischer Berg, hat aber wohl ein kleines Klimaproblem.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Hamberg (2095m)
Aufstiegs-Route: Talstation Hornbahn – Bergstation Hornboden – Östlicher Panoramaweg – Kamm in Richtung Süden – Standkopf (2228m) – Grat in Richtung Zillertal – Anstieg über Nordosthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 3h
Bemerkung: Prima Gratwanderung. Schwindelfreiheit ist angesagt, denn hinter dem Standkopf ist der Pfad teilweise ziemlich eng. Anstieg zum Gipfel über mannshohes Geröll. Riesenaussicht auf das Zillertal.

05.09.1999 Hamberg (2095m)

Sonntagswetter. Ich schaffe es, noch kurz vor der Mittagspause eine Gondel nach oben zu erwischen. Es wimmelt nur so von Leuten. Es ist September, die Nachsaison hat begonnen, jetzt kommen die Wanderer in Scharen. Ich treffe zwei meiner Gäste. Aufgeregt berichten sie mir, sie hätten auf dem Panoramaweg ums Wiedersberger Horn ein leibhaftiges Murmeltier erspäht!
Auf meinem Weg zum Hamberg komme ich dort unweigerlich vorbei, kann aber beim besten Willen kein Murmeltier entdecken. Ich weiß auch gar nicht, wie ein Murmeltier aussieht. Vielleicht hat es sich nur schnell ein paar Touristen geschnappt und ist wieder auf Monate in seinen Bau verschwunden.
Das Wiedersberger Horn gleicht heuer einem Ameisenhaufen, auf dem Gipfel scheint es zuzugehen wie in einer Uni-Mensa am Schnitzeltag. Wenigstens läuft man sonntags nicht Gefahr, auf 2000m Höhe vom Bagger plattgewalzt zu werden (wie romantisch). Mein Weg führt mich über den einsameren Grat Richtung Süden, den ich inzwischen wohl schon ein halbes Dutzend mal gegangen bin.
Kurz vor der Sagtaler Spitze zweigt rechts ein Weg ab, an der Kreuzung steht ein Schild mit der Aufschrift „Hamberg“. Das ist der Weg durch das Hochtal. Ich fühle mich heute aber richtig zum Bäume ausreißen und beschließe, die Schlangen Schlangen sein zu lassen und hinter der Sagtaler Spitze direkt auf den Grat Richtung Hamberg zu steigen. Dort geht es ziemlich steil hoch und der Pfad ist äußerst eng. Ich nehme all meinen Mut zusammen und lande letztlich auf einem Gipfel, der fast genauso hoch ist wie die Sagtaler Spitze (2228m) und laut meiner Karte Standkopf heißt (manche nennen auch die Sagtaler Spitze so).
Oben vernehme ich Musik, sie scheint aus dem Zillertal zu kommen. Die Akkustik in den Bergen ist schon phänomenal. Manchmal hört man Stimmen, die sich so laut und deutlich anhören, als kämen sie aus dem nächsten Gebüsch. Man sucht in der Nähe nach der Geräuschquelle, findet sie aber nicht. Auch die Richtung läßt sich nicht so recht bestimmen. Schließlich entdeckt man winzige Schemen, die mehrere hundert Meter entfernt sind. Ich denke, daß zum einen die vielfache Reflexion an Felswänden (mit Resonanzeffekten) und zum anderen der sehr geringe allgemeine Lärmpegel für diese Effekte verantwortlich ist.
Der Hamberg ist bereits in Sicht, und da er tiefer liegt als der Standkopf, ist der restliche Weg sozusagen ein Netto- Abstieg. Erst klettern - dann Gipfel Es geht aber abwechselnd bergauf und bergab, wobei der Pfad allmählich immer breiter wird, so daß ich einen Zahn zulegen kann. Die Musik hat inzwischen aufgehört und ich traue meinen Augen kaum: vor mir pilgert eine riesige Menschenschlange den Hamberg herunter.
Darunter auch Leute mit Köfferchen und Blasinstrumenten: die Band. Offenbar habe ich hier ganz knapp ein alpines Happening verpaßt, eine Hundertschaft von Pilgerern macht sich gerade an den Abstieg ins Zillertal. Ein kurioses Schauspiel.
Ungefähr zwanzig Minuten dauert die Prozession, dann ist der Weg zum Gipfel endlich frei. Über mannshohe Felsbrocken geht es die letzten Meter nochmals steil bergauf, gar nicht so ungefährlich. Oben kann man dann bei der tollen Aussicht relaxen, das untere Zillertal sieht von hier genauso aus wie eine Modelleisenbahnlandschaft mit Häuschen, Sträßchen, einem Flüßchen, einem Sägewerk und natürlich der Zillertaler Eisenbahn. Echt schnuckelig! Zillertal Die rechte Beschaulichkeit mag aber dennoch nicht aufkommen, denn der Gipfel ist immer noch stark frequentiert. Die Einheimischen sind bereits wieder auf dem Weg zu ihren Fernsehern, aber eine Menge französischer und deutscher Touristen sind geblieben und spielen „Gletscherraten“ mit Landkarte und Feldstecher. Kaum, daß ich in Ruhe herumjausen könnte. Leider ist die Zeit auch schon wieder fortgeschritten und weil ich die letzte Gondel heimwärts noch erwischen möchte, mache ich mich bald wieder auf.
Der Abstieg bedeutet für mich, der in keinem Falle mit den Zillertaler Schürzenjägern Bekanntschaft machen möchte, zunächst einen anstrengenden Aufstieg. Den Standkopf spare ich mir diesmal, stattdessen geht es durch mein kleines Lieblingstal, wo der Schnee, der Anfang August noch hier und dort lag, inzwischen getaut ist.
So ein warmer und feuchter Sommer wie heuer ist jedes Gletschers Tod. Neulich hörte ich eine Meldung im Radio, nach der irgendwo in den Tuxer Alpen eine seit mehr als 10 Jahren vermißte Leiche gefunden wurde. Offenbar hatte das Eis den Körper erstmals wieder freigegeben. Im Zuge der globalen Erwärmung werden die Paläontologen noch viel Freude an den vielen Ötzis und Tuxis haben, die die Gletscher in den nächsten Jahren ausspucken werden.
Was würden die Archäologen wohl über mich sagen, wenn sie mich nach 5000 Jahren im Eis fänden? Sie würden viele Fragen stellen, aber keine Antworten erhalten. Warum war er unterernährt? Mit ein paar Eiern und Butterbroten kann man seinen Kalorienverbrauch beim Wandern kaum decken. Woher diese schlechten Zähne? Zuviel Coke in meiner Jugend. Was wollte er da oben? Wenn ich das wüßte, wahrscheinlich war mir unten langweilig.

Fazit: der Hamberg ist ein prima Aussichtsberg, aber er weiß es auch.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Großer Beil (2309m)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Lueger Graben bis Steinbergalm – Steinberger Joch – Sonnjoch (2287m) – Grat gen Norden über den Gressenstein (2216m) – Anstieg Südwesthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 5h
Bemerkung: Mein persönlicher Favorit. Herrliche Gratwanderung über drei Gipfel. Sehr weit, anspruchsvoll und anstrengend. Muß man einfach gemacht haben!

10.09.1999 Übers Sonnjoch (2287m) zum Großen Beil (2309m)

Es ist Freitag und da scheint doch tatsächlich mal die Sonne! Voller Optimismus habe ich mir gestern Abend bereits eine Lage 10-Minuten-Eier gekocht, denn heute steht eine richtig große Tour an. Wenn alles glattgeht, sollte ich heuer gleich drei Zweitausendzweihunderter (2200er) auf einen Streich besteigen.
Um Punkt zehn Uhr stehe ich am Tollwutschild im Lueger Graben auf etwa 1000m Seehöhe. Als erstes peile ich das Sonnjoch an, den Ursprungsort des Alpbaches. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg durch den Graben. Aber ein angenehmer, es ist noch kühl und die Kuh-Avenue steigt nur ganz allmählich an. Miss Alpbach 1999 So komme ich sukzessive an vielen Bergen vorbei, die ich in den letzten Wochen besucht habe, zu meiner Linken liegen die Joel-Spitze und der Lämpersberg, rechts über mir erhebt sich der gewaltige Gipfel des Galtenbergs. Von hinten wirkt er ziemlich schroff und bedrohlich, kein Wunder also, daß von Osten kein offizieller Wanderweg zum Gipfel hinaufführt.
Hinter dem Galti kommt rechts der Torkopf (2116m), eine Art Nebengipfel, der aussieht wie ein steingewordener Pudding. Den verputze ich auch noch bei Gelegenheit, doch heute habe ich Größeres vor. Nach anderthalb Stunden Lustwandelei erreiche ich die Steinbergalm. Ohne es richtig zu merken, habe ich schon ungefähr 700 Höhenmeter zurückgelegt. Doch hier ist im wahrsten Sinne des Wortes „Ende Gelände“. Vor mir eine Wand, rechts der zerklüftete Steinberg (2358m) und links das Sonnjoch. Hier ist das Alpbachtal also endgültig zu Ende!
An der Alm gehe ich links den Trampelpfad zum Steinberger Joch hinauf. Das ist kein Gipfel, sondern der tiefste Einschnitt in der südlichen Wand, immerhin noch 1911m über NN. Hier mußten die Alpbacher in früheren Zeiten drübermarschieren, wenn sie mit ihren Spezis im Nachbartal mal so richtig einen heben wollten.
Gut angeschwitzt erreiche ich das Joch und brauche erstmal eine rechtschaffene Brunchpause zu Füßen des Bergsteigerdenkmals. Denkmal am Steinberger Joch Aus manchen Inschriften werde ich nicht ganz schlau, es scheint sich aber alles um tote Bergsteiger zu drehen. Herr Joel ist nicht aufgeführt, schließlich hat er seinen eigenen Gipfel. Nicht weit entfernt steht die weltberühmte Otto-Leixl-Hütte, von der kein Mensch weiß, wozu diese wohl gut sein soll. Otto scheint ein berühmter Kraxler gewesen zu sein. Ob man mir auch ein Denkmal errichten würde, sollte es mich hier oben einmal erwischen? Immerhin bin ich doch scho a hoiber Tiroler, wenn es auch mit dem Andreas Hofer-Song noch net so ganz hi haut. Ich freue mich noch ein wenig, daß man hier so herrlich sitzen und qualmen kann, danach mache ich mich aufi.
Über den matschigen Westhang geht es hinauf zum Sonnjoch, irgendwo hier muß der Alpbach entspringen. Der Anstieg ist relativ einfach. Oben angekommen, muß ich das Gipfelkreuz erst einmal suchen. Eine Wolke hat sich über den Gipfel gelegt, es ist mit einem Male eiskalt und ich kann kaum mehr als fünf Meter weit sehen. Ich habe ein deja vu, das ist mir doch schon mal passiert! Warum ausgerechnet auf dem „Sonnjoch“?
Meine Beine laufen schon bald blau an und ich verspüre Bewegungsdrang. Ich suche den Weg zum Großen Beil und komme an zwei Gestalten vorbei, die gemütlich im Gras rumsitzen. Ganz schön abgebrüht. Ich erreiche das Ende der Nebelsuppe und siehe da: vor mir glitzert der Beil (nicht: das Beil) eindrucksvoll mit seiner scharfen Schneide in der Septembersonne. Doch zwischen mich und das Sonnenbad hat Lithos noch einen messerscharfen Grat gesetzt, den Aufwand an Zeit, Schweiß und Adrenalin vermag ich gar nicht abzuschätzen.
Also los! Einen Grat wie diesen gehe ich heute zum ersten Mal, er ist erschreckend schmal und führt immer wieder steil auf und ab. Am Nordhang des Sonnjochs ist es noch ziemlich feucht und rutschig. Es liegt immer noch Schnee, in tiefen kleinen Senken unter pechschwarzen Felswänden. Schaurig schön.
Schüchtern bewege ich mich anfangs nur ganz langsam vorwärts, nach einer Weile traue ich mir etwas mehr zu und irgendwann, die Zeit wird zur Illusion, erreiche ich den Gressenstein (2216m). Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob dieser Gipfel sein eigenes Kreuz verdient hat, eigentlich ist er nur einer von mehreren Spitzen auf dem Weg zum Großen Beil.
Vom Beil her kommen drei Ameisen gemächlich auf mich zu, das Sonnjoch hinter mir liegt immer noch in der Wolke. Ich gehe weiter, zunächst bergab, dann über einen weiteren namenlosen Gipfel, dann geht es wieder bergab. Ich lasse die Ameisen vorbei und mache mich an den letzten Aufstieg zum Großen Beil.
Die Sonne brennt inzwischen gnadenlos, es geht so steil bergauf, daß ich schon nach wenigen Minuten total erledigt bin. Sicher sehr zum Amüsement der Ameisen, die inzwischen auf dem Gressenstein campieren, bleibe ich alle paar Meter keuchend und japsend stehen und gebe vor, die Aussicht zu genießen.
Allmählich verbreitert sich der Grat, der Pfad ist zwischen den großen Schieferbrocken manchmal kaum noch zu erkennen. Nur ab und zu sehe ich auf dieser Geröllhalde eine Farbmarkierung. Aber ich weiß ja, wo ich hin will. Und da lande ich schließlich auch. Auf dem Beil So happy bin ich, daß ich mir, während mein Puls genüßlich abklingt, gar ein Gedicht fürs Gipfelbuch überlege. Das da lautet? Leicht nachzulesen! Prima Aussicht, nur der Galti direkt gegenüber ist noch ein Stückerl höher. Als ich das nördliche Ende des Gipfels inspiziere, packt mich ein böses Schwindelgefühl ob des dort gähnenden Abgrundes. Die Wand scheint unter mir mehrere hundert Meter quasi senkrecht abzufallen. Und dennoch gibt es dort irgendeinen Weg über das sogenannte Beilschartl zum Kleinen Beil und weiter zum Lämpersberg, natürlich nur für Irre (im Wanderführer „Geübte“ genannt).
Ein Blick auf die Uhr mahnt mich, daß ich alsbald eine Strategie für meine Rückkehr ausknobeln sollte. Irgendwie komme ich immer zu spät zu den Parties. Wie gerne würde ich noch den Gamskarkopf im Osten mitnehmen, aber wenn ich tatsächlich wieder bis zum Sonnjoch zurücklatschen muß, bin ich jetzt schon spät dran. Meine Wanderkarte, auf die ich mich noch niemals verlassen konnte, zeigt eine mögliche Abkürzung auf: von dem Sattel kurz vor dem Gressenstein zweigt angeblich ein Pfad steil nach unten ab.
Meine Assistentin, Miss Selfie Timer, schießt noch fix ein Heldenfoto von mir, dann mache ich mich schweren Herzens wieder auf den Weg. Der Abstieg geht leicht und locker von den Füßen, bis zur besagten hypothetischen Kreuzung geht es fast nur bergab. Dort angelangt, suche ich verzweifelt nach menschlichen Trittspuren, die mich ins Tal geleiten. Vergebens! Unter mir ein Kar mit Gressensteins persönlicher Schutthalde.
Nun ist guter Rat teuer! Die Piste ist nicht so steil, daß man sie nicht irgendwie heruntertrampeln könnte. Aber sollte ich in einer Sackgasse landen, will ich hier nicht wieder hoch hecheln müssen. Andererseits ist es noch furchtbar weit bis zum Sonnjoch (obwohl ich schon gerne wüßte, ob die beiden Typen inzwischen erfroren sind) und ich käme ganz am Ende des Tals herunter.
Also doch runter auf der Suche nach neuen Wegen zum Glück! Ich trete mir meinen eigenen Weg durch loses Geröll und unangenehm kratziges Heidekraut. Das ist aufregend, weil ökologisch natürlich total unkorrekt, obwohl ich bei meinem Kampfgewicht von gut 60 kg keiner Kuh Konkurrenz machen kann. Nach einer Weile treffe ich auf eindeutige Spuren von Kühen (bzw. das, was Kühe gerne hinten rausjagen). Da ich mittlerweile ein Experte im Lesen von Kuhexkrementen bin, erreiche ich auch bald mein Ziel: den Bettelsteig. Wenn das bisher wirklich ein Wanderweg war, dann ist er seit der Trennung der Beatles nicht mehr benutzt worden.
Der Bettelsteig erstreckt sich hoch über dem Graben von der Steinbergalm bis zur Feldalm, ich brauche ihm nur nach Norden zu folgen und an irgendeiner Alm abzusteigen. Unterhalb des Kamms ist es so richtig heiß und ich bin froh, als ich einen kleinen Katarakt entdecke, an dem ich Hygiene betreiben und meine leere Wasserpulle auffüllen kann.
Meinen Füßen zuliebe wechsle ich bei der Stadlkehralm auf den Senioren-Highway, von dort geht es in vielen Serpentinen in den Graben hinunter. Die letzten beiden Kilometer brauche ich nicht mehr zu laufen, ein Motorradfahrer nimmt mich mit. Er rast wie eine gesengte Sau, offenbar ist das seine Lieblingsrennstrecke. So erreiche ich kurz nach sechs doch ziemlich erleichtert das Auto, tief beeindruckt und total kaputt von gut acht Stunden Alpenspaß.

Fazit: Eine phantastische Tour mit allem, was das Herz begehrt, vor allem Abenteuer. Den Großen Beil muß man einfach lieben (egal, wessen Geschlechts er nun ist)

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Großer Galtenberg (Gratsteig)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Greitalm – Farmkehralm – Farmkehrpfanne – Kleiner Galtenberg (2318m) – Anstieg über den steilen Gratsteig von Süden
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 4h
Bemerkung: Spannendere und schönere Variante. Extrem anstrengend. Die letzten Meter über den Grat sind nichts für schwache Nerven! In jedem Fall ein fantastisches Erlebnis, daß man nicht so schnell vergißt.

12.09.1999 Vom Kleinen Galtenberg (2318m) zum großen Bruder

Seit zwei Tagen bläst nunmehr der Föhn, inzwischen ist keine Wolke mehr am Himmel zu sehen. Obwohl mir die Tour zum Großen Beil noch gewaltig in den Knochen steckt, ich leide bisweilen unter arthritischen Symptomen an den Kniegelenken, höre ich den Ruf der Berge und folge ihm. Alles andere wäre bei einem solchen Wetter auch reine Zeitverschwendung.
Heute ist der Kleine Galtenberg an der Reihe. Das Vorspiel ist bestens bekannt und nur mehr ein Sonntagsspaziergang. Nach gut anderthalb Stunden stehe ich am Scheideweg über dem Hochleger der Farmkehralm. Diesmal wähle ich den Pfad, der nach rechts abzweigt und nur mäßig ansteigend auf ein Plateau unterhalb des Galtenbergmassivs führt, die sogenannte Farmkehrpfanne. Ein angemessener Name, denn hier weht nicht mal ein laues Lüftchen und die Sonne brät mich wie ein Spiegelei.
Abkühlung verspricht nur ein kleiner Gletscher. Den habe ich damals schon vom Wiedersberger Horn aus gesehen, bei meiner allerersten Besteigung eines Berges. Der Weg ist hier sehr schlecht zu erkennen, ich irre einige Male herum, bis ich ihn wiederfinde. Zwei Engländer kommen mir entgegen, sie müssen gerade vom Galtenberg gestiegen sein. Als sie an mir vorbeikommen, wedelt einer der beiden mit seinem Handrücken, verzieht das Gesicht und entlockt seinen gespreizten Lippen ein dumpfes Stöhnen. I have a pretty good idea, was er mir damit sagen will. Doch ich lasse mich nicht einschüchtern.
Der Weg führt mich genau unter die steile Wand, die oben den Sattel zwischen beiden Galtenbergen bildet. Ich hatte so etwas geahnt und mich von weitem schon gefragt: wie soll man da denn hochkommen? Aber ich sehe den Trampelpfad, der sich steil in Serpentinen nach oben windet. Er ist äußerst schmal, gerade so, daß man beide Füße nebeneinander stellen kann. Schon nach wenigen Metern beginnt mir der Schweiß zu strömen und die Pumpe zu rasen. Von meinem T-Shirt habe ich mich längst getrennt (hängt zum Trocknen am Rucksack).
Auf halber Höhe verläßt mich die Kondition, ich komme nur noch im Schneckentempo voran. Alle paar Meter bleibe ich vorsichtig stehen, hänge mich in die Wand und japse wie ein Fisch nach Sauerstoff. Diese verdammte Raucherei!
Eines weiß ich schon sicher: diesen Weg werde ich nachher nicht wieder runterstiefeln, da würden mir die Kniescheiben zerplatzen. So geht es noch eine Weile in Etappen hinauf, ich schaue nur auf meine Füße, höchstens mal nach oben, ungern nach unten. „Never look back, walk tall, act fine!“ Herr Bowie kennt sich offenbar aus.
Endlich oben angelangt, unterbreitet sich mir eine phantastische Landschaft, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der Kamm ist in der Mitte aufgeplatzt wie eine Wunde, in der Mulde liegen Felsbrocken und Schnee so weiß wie Muskelfleisch. Das Ganze hier hätte ich gerne als Gartenanlage.
Zu meiner Rechten der Kleine Galtenberg, nur noch wenige Meter über mir. Er ist von einem Mantel aus Fels umgeben, hier kann ich endlich mal meine Armee trainieren, die sonst nur nutzlos in der Gegend baumeln. An Felsvorsprüngen und kleinen Grasbüscheln ziehe ich mich langsam hoch, jetzt zeigt sich auch, was die Schuhe taugen. Oben erwartet mich eine kleine Überraschung: ein Twin Peak, beide Gipfel gleich hoch und mit einer Blumenwiese obendrauf, ganz herzallerliebst.
Ich mache es mir auf dem hinteren im Gras bequem und genieße die Aussicht. Der Tristenkopf scheint zum Greifen nah. Vor einigen Tagen habe ich vergeblich einen Weg dort hinauf gesucht, wenn ich jetzt ein guter Weitspringer wäre…Auf dem großen Bruder prügeln sich die Gipfelstürmer um die freien Aussichtsplätze, wie das an Sonntagen so üblich ist. Das ist der Vorteil, wenn man die Underdogs unter den Gipfeln besteigt: man hat zwar weder ein schniekes Gipfelkreuz noch Bänkchen und Tischchen, aber dafür seine Ruhe.
Nach einem kleinen Schlümmerchen fühle ich mich wieder fit. Der Große Galtenberg hat sich inzwischen geleert und ich bin neugierig, was es mit dem berüchtigten Gratsteig auf sich hat. Vorsichtig hangele ich mich wieder hinunter und marschiere an der klaffenden Wunde vorbei nach Norden, meiner Bestimmung entgegen.
Der Puls zieht sofort wieder an, als ich den steilen Hang in Angriff nehme. Eine barbarische Schinderei! Vor wenigen Wochen noch hätte ich jeden, der solche Strapazen freiwillig auf sich nimmt, in die Masochisten -Schublade gesteckt. Letzten Endes alles eine Frage der Motivation.
Wer denkt, das wars dann, der hat den Schotten von heute Mittag vergessen. Ich bin doch fast schon auf Höhe des Gipfelkreuzes, da nimmt das Unheil folgende Gestalt an: der Grat verjüngt sich auf wenige Zentimeter, links geht es steil hinunter zur Farmkehrpfanne, rechts noch steiler in die tiefe, düstere Unendlichkeit. Natürlich ist der Weg alles andere als eben und ich fürchte, schon der Wind könnte mich herunterblasen, wenn ich dort einen Fuß draufsetzte. Klar, was der Waliser gemeint hat, etwas wie „I just escaped the cutter’s scythe!“
Eine kurze Bedenkzeit scheint mir angemessen. Diese Berge scheinen mich immerfort prüfen zu wollen. Den ganzen steilen Weg wieder zurück? Bitte nicht. Nur ein paar lausige Meter bis zum Gipfel, von dort aus könnte ich den Touristenpfad hinuntergleiten. Balsam für die alten Knochen! Aber welch böse Falle vor mir lauert! Doch hat nicht Shakespeare seinen Julius Cäsar sinngemäß sagen lassen: „Der Feigling stirbt tausend Tode, der Held aber nur einen.“? Bin ich nicht schon oft genug gestorben?
Ich begebe mich in die Hocke, um meinen Schwerpunkt zu erniedrigen, so fühle ich mich nicht ganz schutzlos. Alles wäre einfacher, wenn hinter mir jemand mit Führungsqualität und einer geladenen Schrotflinte stehen würde. Unkraut vergeht nicht! Mit der Grazie einer Ballerina, der man zwei Holzbeine verpaßt hat, schlängele ich mich irgendwie über die wenigen Meter drüber. Hoffentlich hat das keiner gesehen! Schon stehe ich auf dem Gipfel, meine Euphorie ist grenzenlos, ich tanze und schreie herum vor purer Glückseligkeit. Wow!!!
Das reinste Heroin, und alles für umsonst! Die unerträgliche Selbstverständlichkeit des Seins wurde für einen kurzen Augenblick in Frage gestellt! Als ich nach einer halben Stunde wieder talwärts ziehe, wird mir auf dem Rückweg nicht langweilig, denn ich habe einiges an Eindrücken zu verarbeiten.
Nach diesem Erlebnis werde ich die Welt mit etwas anderen Augen betrachten, immerhin habe ich einen furchtbaren Drachen besiegt.

Fazit: Einfach nur „alpengeil“!

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Gamssteig
Route: Talstation Hornbahn – Bergstation Hornboden – Östlicher Panoramaweg – Kamm in Richtung Süden – Sagtaler Spitze (2241m) – Tapenkopf (2261m) – Krinnjoch – Greitalm – Inneralpbach
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für gesamte Tour: 5h
Bemerkung: Die abenteuerlichste Tour geht über drei Gipfel. Äußerst anspruchsvoll. Sehr enger Pfad, einige kurze Klettersteige. Konzentration ist hier noch wichtiger als Kondition. Nur bei absolut trockenem Wetter zu empfehlen! Immer genau auf den Weg achten und die Nordseite der Spitzen meiden!

15.09.1999 Über den Gamssteig zum Krinnjoch

Schon wieder Kaiserwetter! Gerade gut genug für die vielleicht anspruchsvollste Tour meiner Karriere: einmal quer über die Sagtaler Spitzen. Da ich meine Kräfte noch brauchen werde, bringe ich mich mit der Wiedersberger Hornbahn auf Höhe. Von der Bergstation marschiere ich eine gute Stunde gen Süden, dann stehe ich auf dem Gipfel der Sagtaler Spitze.
Dort findet gerade eine konspirative Sitzung statt, an die zwanzig Wanderer haben sich auf dem engen Gipfel zusammengequetscht. Mit Mühe finde ich noch ein Plätzchen, übersät mit kleinen braunen Kügelchen. Die Frage lautet nicht, was das ist, sondern von wem das ist.
Lange möchte ich mich hier auch gar nicht aufhalten, rauchend wage ich einen Blick nach Osten. Dort verläuft mein Weg über den Grat, verliert sich aber bald im zerklüfteten Gelände. Der steile Bursche mit dem Kreuz obendrauf muß der Tapenkopf sein. Ein leichter Schauer läuft mir den Rücken herunter. Dahinter, von hier nicht zu sehen, sollte der Gamskopf liegen. Da habe ich mir was vorgenommen!
Ein jüngeres Quartett, drei Buben und eine Dame, wagt den Vorstoß über den Gamssteig. Vorsichtig stiefelt es den schmalen Kamm herunter, nach einer Minute ist es außer Sichtweite.
Ich raffe mich auf und gehe hinterher, so fühle ich mich nicht ganz allein in dieser fremdartigen Welt. Der Pfad ist nicht so schlecht, wie ich dachte, nach kurzem Abstieg verläuft er etwas unterhalb des Grates, auf der Sonnenseite. Sehr schmal zwar, aber dafür habe ich links eine Wand, das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Im Falle eines Stolperers habe ich eine reelle Chance, wenn ich mich rechtzeitig gegen den Hang werfen kann. Außerdem passiert mir sowas nicht.
Obwohl ich recht bedächtigt voranschreite — ich muß mich einfach immerfort auf jede kleine Unebenheit des Pfades konzentrieren — habe ich mein Bergführer-Quartett nach wenigen Minuten eingeholt. Es steht in einer Felsnische und sieht ziemlich unschlüssig aus. „Tolle Tour, was?“ bemerke ich happy, es nickt halbherzig. Ich lasse das Quartett hinter mir, von nun an bin ich auf mich allein gestellt, wie so oft.
Hier und da windet sich der Pfad um einen großen Felsklotz herum, eine haarige Sache, ich benötige beide Hände, um mich irgendwo festzukrallen und schürfe mir die Haut von den Beinen.
Endlich geht es steil aufwärts, und nach einer halben Stunde stehe ich auf dem Tapenkopf. Von hier aus ist zum ersten Mal der Gamskopf zu sehen, er wird mit 2205m angegeben, ebenso wie der Tapenkopf. Allerdings liegt der Gamskopf ganz offensichtlich um einiges niedriger. Wer hat eigentlich diese Berge vermessen und diese Karten angefertigt?
Es scheint, daß der Tapenkopf nicht allzu oft besucht wird, das Gipfelbuch ist bereits seit sechs Jahren in Gebrauch und nicht einmal halbvoll. Vor sechs Jahren habe ich noch Schallplatten gekauft!
Ich esse eine Kleinigkeit und rauche ein Zigarettchen. Mein Tabak geht zur Neige, das reicht noch für maximal zwei Dunstmorcheln. Eine für den Gamskopf, eine für den Abstieg vom Krinnjoch und dann muß ich stark sein. Unwahrscheinlich, daß ich hier oben einen Kiosk finde. Der könnte aber jeden Preis verlangen!
Ich schaue kurz, was das Quartett macht, es wird in Kürze hier sein. Ich habe keine Lust, zu warten. Ich bin total gespannt, wie es jetzt weitergeht. Zunächst einmal ein senkrechter Abstieg über einen Klettersteig, d.h. Stahlseil und Trittklammern. Da kann nichts passieren, außer, daß die Handflächen schwielig werden.
Bis hierhin hat mich der Gamssteig vor keinerlei wirkliche Probleme gestellt, doch nun ändert sich sein Charakter. Der Pfad, der bisher unterhalb der Felsspitzen verlaufen ist, führt nun immer öfter direkt über den Grat und macht mich mit dem steilen und schattigen Nordhang bekannt. An solchen Stellen ist äußerste Konzentration angesagt, jeder Schritt will sorgfältig gesetzt sein. Nach einem „Game over!“ gibt es in der rauhen Realität des Gebirges keine Option „Gespeichertes Spiel laden“. Hier gibt es weder Netz noch doppelten Boden, keine Sicherheit und erst recht keine Dividende. Bungee-Jumping ist keine Heldentat, wenn man realisiert, daß nichts schiefgehen kann.
Letztlich macht dieser Umstand, neben der faszinierenden Optik der Landschaft, auch den Reiz des Bergwanderns aus. Spazieren geht man besser im Stadtpark. Ich denke, nach meiner Galtenberg-Tour habe ich das letzte Residuum an Höhenangst eingebüßt, seitdem strotze ich nur so vor Selbstvertrauen, habe mir aber eine gewisse Ehrfurcht vor den Bergen bewahrt. Die Höhenangst, von Douglas Adams besser als Bodenangst bezeichnet, denn letztlich ist es der Boden, auf dem man schmerzlich aufschlägt, wirkt lähmend und genußhemmend, während der Respekt mich hier oben am Leben hält. Ich bin jetzt ein „Geübter“.
Ich lasse mir Zeit und genieße das Gehen und die zwei oder drei Klettersteige, die noch folgen. So brauche ich ungefähr doppelt so lange wie für den ersten Abschnitt, dann zweigt links ein Trampelpfad zum Gamskopf ab. Gamskopf Gipfelkreuz Oben gönne ich mir meine vorletzte und schaue mich in der Gegend um. Im Nordosten der Galtenberg, auf dem ich bald jeden Stein kenne, vor mir der Tristenkopf und dahinter die Hohen Tauern, zum Greifen nah und doch für mich zu fern.
Das Quartett ist nirgends zu erkennen, wahrscheinlich vergnügt es sich gerade auf einem der vielen Klettersteige. Ich mache ein kleines fünf-Minuten-Heiachen in der Sonne.
Als ich aufwache, sehe ich die vier als kleine Silhouetten auf einem der Zwischengipfel. Ich bin beruhigt, denn ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, einen Hubschrauber zu rufen. Ausnahmsweise gibt es hier oben sogar Handy-Empfang. Auf den allermeisten Bergen war das bisher nicht der Fall und die 140 hätte mir nicht helfen können.
Der Abstieg zum Krinnjoch (1990m) hat es nochmal so richtig in sich. Erst geht es relativ sanft einen schmalen Grat hinunter, dann steil einen zweihundert Meter hohen Abhang. Der Pfad ist sehr stark ausgetreten und rutschig, bei Regen zahlt hier keine Versicherung.
Das Krinnjoch ist der tiefste Einschnitt zwischen Gamskopf und Tristenkopf. Von hier aus gelangt man wahlweise nach Inneralpbach oder in den Märzengrund. Nur ersteres kommt für mich in Frage, nur ein Volltrottel würde zu dieser Uhrzeit noch ins falsche Tal hinabsteigen und ein Vermögen für eine Fahrgelegenheit hinblättern.
Unterhalb des Jochs liegt ein idyllisch gelegener Rastplatz, ausgestattet mit Sitzbank und Viehtränke sowie Blick auf den Gamskopf. Eine angemessene Lokalität für meine zwangsweise letzte Pause, die ich in vollen Zügen auskoste. Dabei sehe ich zum letzten mal das Quartett wieder, wie es den Abstieg zum Joch wagt.
Ein relativ leicht zu gehender Pfad führt in den Greiter Graben, nach anderthalb Stunden stehe ich in Inneralpbach an der Bushaltestelle, ohne Rauchwerk, aber gesund.

Fazit: eine legendäre Tour, muß man gemacht haben!

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Kleiner Beil (2196m)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Kiesweg durch Lueger Graben bis auf Höhe Mareitalm – Weg A29 zur Jagdhütte – Feldalm – Lämpersberg (2202m) – Anstieg über den Grat von Norden
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 3h 15min
Bemerkung: An sich kein sehr bemerkenswerter Gipfel, doch der Grat zwischen Lämpersberg und dem Kleinen Beil hat es in sich.

22.09.1999 Über den Lämpersberg zum Kleinen Beil (2196m)

Mittwoch Mittag, wieder ein Tag im Paradies. Solch einen September hat es in Mitteleuropa wahrscheinlich noch niemals vorher gegeben. Da kann gar nichts schiefgehen, wenn ich gleich zum dritten Male den Lämpersberg hochstürmen werde.
Ich nehme den bewährten Weg durch den Lueger Graben, der Senioren- Highway bringt mich bis zur Jagdhütte. Durch ein steiles Waldstück geht es auf das Plateau unter dem Lämpersberg auf 1800m Höhe. Kurz vor der Feldalm pausiere ich in der „Kuhle“, einer meiner absoluten Lieblingsstellen. Hier hat sich ein Bach mehrere Meter tief in den Berghang gegraben. Das Wasser kann man bedenkenlos trinken. Tue ich auch, denn mein Mitgebrachtes brauche ich für die trockenen Gipfelregionen.
Die Feldalm ist inzwischen verwaist, die Kühe sind bereits dem allgemeinen Abtrieb zum Opfer gefallen und demnächst an der Fleischtheke erhältlich. Ich werde mir andere Gesprächspartner suchen müssen.
Am Nordwesthang des Lämpersberges kommen mir einige Wanderer entgegen. Ich haue mich erst mal in die Sonne und lasse sie alle passieren. Eine Frau beklagt sich bei mir, der Weg sei furchtbar steil und sie hätte sich kaum herunter getraut bei ihrer Höhenangst. Kommt mir bekannt vor und ist doch schon so lange her.
Auf dem Kamm angelangt, kann der Puls sich beruhigen und der Schweiß trocknen. Heute genieße ich hier zum ersten Mal eine astreine Aussicht. Die gesamte Wildschönau liegt zu meinen Füßen. Die haben zwar den gleichnamigen Schiefer erfunden, aber die Berge vom Alpbachtal geklaut. Da gibt es eine Gratlspitze für Arme und ganz viele Schatzberge (Gott bewahre!). Kleiner Beil vom Lämpi aus Kurz vor dem Gipfel beschließe ich, erst einen kleinen Abstecher nach Süden zu machen. Dort funkelt der Kleine Beil vor mir in der Sonne, wie weiland sein großer Bruder, als ich in der Waschküche vom Sonnjoch stand.
Ein schmaler Grat trennt den Kleinen Beil vom Lämpi. Die tiefste Stelle des Sattels liegt an die hundert Meter unter den beiden Gipfeln. Oh, welche Verschwendung von potentieller Energie, besonders bei diesem Wetter!
Also geht es zunächst steil bergab, der Weg ist teilweise schwer zu finden, da nur sporadisch markiert. Dort, wo der Hauptweg direkt über den nackten Grat führt, haben vorsichtigere Zeitgenossen alternative Pfade ein paar Meter unterhalb ausgetreten. So muß man sein Schicksal nicht unbedingt jedesmal herausfordern. Ich denke an einer Abzweigung gar nicht lange nach, sondern entscheide immer spontan nach gusto (bzw. gutso).
So erreiche ich nach einigen Anstrengungen den Gipfel des Kleinen Beils. Für die 800m Luftlinie habe ich gute 20 Minuten benötigt, das macht im Schnitt knapp 2.5 km pro Stunde bei einem geschätzten Verbrauch von einem Glas Alpenvollmilch.
Da hier oben kein Gipfelkreuz ansteht, setze ich mich auf den Felsbrocken, der alle anderen um Zentimeter überragt und bin dadurch Mitglied im exklusiven Club der Bezwinger des Kleinen Beils.
Als solchem offenbart sich mir gratis ein phänomenales föhngestütztes Panorami. Großglockner und Großvenediger nach Süden hin, im Osten erhebt sich eindrucksvoll die harte Silhouette des Großen Rettenstein (2362m), neben dem Galtenberg einer der wenigen markanten Gipfel der Kitzbühler Alpen.
Nach Süden setzt sich der Pfad fort, dort lockt der Grat über den Seekopf (2187m) und das Beilschartl zum Großen Beil. Prinzipiell kann man also vom Schatzberg bis zum Sonnjoch in einer Tour durchlatschen. Das sind 10 km, die einem vorkommen müssen wie 50.
Den Großen Bruder muß ich mir heute leider schenken, dafür ist die Zeit zu knapp. Ich werde erst einmal zurück auf den Lämpersberg klettern. Unterwegs begegnet mir eine Herde Schafe. Sie rennen munter über den Grat vor mir davon, als ich mich keuchend und trampelnd nähere.
Auf dem Gipfel des Lämpersberges treffe ich sie wieder. Diesmal werde ich diplomatischer vorgehen. Langsam schleiche ich mich auf die quasistatische Tour an sie heran. Sie sehen mich zwar, betrachten mich aber nicht als Bedrohung. Vielmehr bleiben sie cool stehen und fressen weiter. Auch das Surren des Auslösers entlockt ihnen kein müdes Lächeln, sie lassen sich geduldig wie Kühe fotografieren.
Nach einer Weile stehe ich mitten unter ihnen. Sie ignorieren mich nicht weiter, sondern werden neugierig auf mich. Mäh Einige kommen auf mich zu. Jetzt wird mir etwas mulmig zumute. Für solcherlei Vertraulichkeiten bin ich ungern zu haben. Was, wenn plötzlich eine Panik ausbricht? Der Gipfel ist nicht sonderlich breit. Die amok laufenden Pullover könnten mich bei ihrer Flucht mal eben ins Tal runter kicken. Ich erreiche die Sitzbank, lasse mich nieder zum Essen und Piefen. Die Schafe haben allmählich das Interesse an mir verloren (was mache ich nur immer falsch?) und dackeln langsam wieder talwärts. Nur ein einziges Schaf, mit pechschwarzem Kopf, ich halte es für den Boss der Truppe, liegt vor meinen Füßen rum und kaut genüßlich an einem Grashalm. Wir tauschen einige Wandertips aus und prahlen mit unseren Damengeschichten, dann muß auch der Boss weiter.
Ich mache mich ebenfalls bald auf die Socken. Um Langeweile vorzubeugen, steige ich diesmal über den Nordosthang ab. Ein Grat führt hinab bis zum Steinernen Mandl, von dort geht es steil runter auf das Plateau mit den beiden Bergseen, Kreuzlacke und Schwarze Lacke, die sich von Nahem als schmuddelige Tümpel erweisen. Hier scheint niemals die Sonne, der Weg ist matschig und eklig. Schließlich geht es sogar wieder bergauf, nervtötend, wenn man mental schon auf Abstieg programmiert ist.
Einmal um den Lämpersberg herum marschiert, lande ich wieder auf dem Sattel zum Saupanzen. Runter über die Feldalm, Almsteig, Sternbodenalm, bla bla bla. Gesamtzeit, von Inneralpbach aus: 7h

Fazit: nette Tour, der Abstecher zum Beil bringt Nervenkitzel, der zu den Seen Mückenstiche

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

24.09.1999 Übers Krinnjoch zur Sagtalerspitze

„Da war er doch neulich erst!“, wird der aufmerksame Leser einwenden. Gewiß, doch wegen des großen Erfolges geht es diesmal mit umgekehrtem Vorzeichen und ohne Gondelbahn- Schmufix, sondern rechtschaffen vom Tal aus („from scratch“).
Das Wetter paßt wie immer in diesen Tagen, und mit üppigen Vorräten ausgestattet, düse ich durch den Greiter Graben. Hinter der Greitalm sitzt ein bärtiges Orakel auf einem umgelegten Baumstamm und prophezeit mir, daß ich bei meinem Tempo nicht weit kommen werde. Darauf entgegne ich, daß ich im Schneckentempo erst recht nicht weit käme.
Noch vor der Farmkehralm zweigt rechts der Pfad zum Krinnjoch ab und ich gewinne endlich an Höhe. Ein Trecker kurvt neben mir herum und versprüht Gülle. Der entsetzliche Gestank motiviert mich, den Hang möglichst schnell zu erklimmen. Ein schöner Weg, kein Baum in der Nähe.
Mal ehrlich: so ein Wald verlangt dem Wanderer viel ab und spendet ihm doch nichts außer ein wenig Schatten. Feuchtigkeit, Wurzeln als fiese Stolperfallen, Myriaden von Insekten und das Fehlen jeglicher Aussicht ließen mich schon auf vielen Touren die Baumgrenze herbeisehnen. Es geht doch nichts über nackten Fels.
Den Tristenkopf immer zur Linken, geht es über ein Schotterfeld und schließlich nochmals steil aufwärts zum Joch. Da ich gut in der Zeit liege, kann ich mich oben noch ein wenig umsehen. Blick auf den Tristenkopf vom Krinnjoch aus Vielleicht gelingt es mir heute, einen Weg auf den Tristenkopf zu finden. Nach Osten führt ein kaum zu erkennender Trampelpfad am Zaun entlang in Richtung Gipfel. Ich folge ihm, doch der Pfad verliert sich bald im dichten Heidekraut. Nach ein paar quälenden Metern gebe ich mein Vorhaben auf. Ein Weitergehen scheint sinnlos, ich würde sowieso nur unter einer Steilwand landen. Aber irgendwie muß es gehen, immerhin besitzt der Bursche ein Gipfelkreuz! Allerdings kennt die Karte keinen Weg hinauf und in den einschlägigen Wanderführern wird der Berg nicht einmal erwähnt. Dieses Rätsel werde ich wohl nicht mehr lösen können. Bevor ich den ganzen Tag mit der Suche nach einem Phantom verschwende, lasse ich Plan A wieder in Aktion treten: die Besteigung des Gamskopfes und die nachfolgende Achterbahntour über den Gamssteig.
Zunächst geht es den steilen Hang hinauf, eine regelrechte Tortur, gefolgt vom nur noch langsam ansteigenden, aber teilweise sehr engen Grat. Auf dem Gipfel des Gamskopfes sieht es genauso aus wie noch vor einer Woche, nur daß heute keine Menschenseele zu sehen ist.
Nach Westen zieht sich die Kette von kleinen Gipfeln bishin zur Sagtaler Spitze. Alle werden durch den Tapenkopf locker überragt, obwohl der, laut Karte, nur einen Meter höher liegt als mein derzeitiger Standpunkt. Wenn das der Platin-Iridium-Stab in Sevres wüßte (das Urvieh unter den Metern)!
Mittlerweile vermag ich Höhenunterschiede einigermaßen abzuschätzen. Der Tapi scheint mir ein typischer 2261er zu sein. Blöde Karte! Blick vom Gamskopf auf den Tapenkopf Der Weg dorthin erweckt in mir keinerlei Erinnerung an meine frühere Begehung, aus anderer Richtung sieht alles vollkommen anders aus. Hier und da beschleicht mich gar das merkwürdige Gefühl, daß dieser Pfad nur für eine einzige Richtung „entworfen“ wurde, und zwar die zum Krinnjoch hin. Von meiner Warte aus sind Farbmarkierungen schwer auszumachen und manchmal bleibe ich unschlüssig stehen, weil ich nicht gleich überblicken kann, wo es denn nun weitergeht. Kurz vor dem Tapenkopf geschieht mir dann auch ein unangenehmes Mißgeschick. Vor mir türmt sich unversehens eine mehrere Meter hohe Felswand auf. Nach links läßt sie sich nicht umgehen, dort geht es steil abwärts und keinerlei Fußspuren sind zu erkennen. Rechtsherum führen einige Trampelspuren.
Ich folge diesen mit äußerster Vorsicht und einem mulmigen Gefühl: ich kann mich nicht erinnern, daß mich der Weg damals an irgendeiner Stelle über den Nordhang geführt haben soll. Ich betrete einen schmalen, etwa drei Meter langen Sims. Unter mir geht es wenigstens hundert Meter steil in die dunkle Tiefe. Ich drücke mich an die Felswand, meine Hände klammern sich an Felsvorsprünge. Der Sims ist teilweise mit Gras bewachsen und während ich mich langsam vorantaste, bemerke ich: das Gras ist naß. Meine Schuhe finden kaum Halt (koan Grip, wie es im Jargon heißt). Sonnenabgewandte Hänge sind im Herbst trotz Sonnenschein gerne naß oder gefroren. Eine gemeine Wandererfalle.
Adrenalin schießt durch meinen Körper. Ich realisiere, daß dieses Unterfangen lebensgefährlich ist. Wieder diese unkontrollierten Gedanken! Wie es wohl ist, auszurutschen und herunter zu stürzen? So nahe wie jetzt war ich noch nie dran! Also schnell zurück! Augen zu und durch! Nein, keine Panik! Das muß langsam gehen. Noch vorsichtiger als eben hangele ich mich wieder um den Felsen herum bis zum Ausgangspunkt. Ich merke, wie mein Herz fast schmerzhaft hämmert, doch nicht vor Anstrengung.
Ich inspiziere nochmals die Felswand, die mich in die Irre geleitet hat, und entdecke Trittklammern aus Stahl. Ein Klettersteig! Den hatte ich total übersehen, wahrscheinlich war ich zu sehr auf meine eigenen Füße fixiert.
Das hätte ganz schön ins Auge gehen können. Beinahe hätte das Orakel recht behalten. Zwei Fragen bleiben offen: welcher Irre hat die Spuren auf dem Sims hinterlassen (wenn das überhaupt ein Mensch war) und wo ist er gelandet?
Der Klettersteig markiert bereits den Anstieg zum Tapenkopf. Nach kurzer Pause geht es weiter zur Sagtaler Spitze, über den weitaus harmloseren der beiden Teilabschnitte.
Meine dritte Besteigung der Sagtaler Spitze und endlich bin ich mal alleine oben. Ich genieße die letzten Sonnenstrahlen beim Anblick der Zillertaler Alpen. Allen voran der Große Löffler oder „The Great Spooner“, wie ihn die Australier nennen.
Da erblicke ich den ersten Menschen seit gut drei Stunden. Ein junger Spund läuft unten an der Spitze vorbei und entert den Gamssteig. In atemberaubenden Tempo joggt er über den Pfad. Ich sehe auf die Uhr. Nach nicht einmal einer Viertelstunde steht er auf dem Tapenkopf und läßt einen freudigen Jodler raus. So etwas gibt es also wirklich!
Jetzt heißt es Abschied nehmen und einen geeigneten Rückweg finden, denn meine kleine Abgasschleuder steht noch in Inneralpbach. Ich steige über den altbekannten Osthang ab und wende mich nach Norden auf das Wiedersberger Horn zu. Bald geht rechts ein Pfad ab, der mich runter in den Greiter Graben bringt. Meine Wanderkarte kennt diesen Weg wiederum nicht, mittlerweile habe ich mehr Wege selbst eingezeichnet als Wege abgedruckt sind.
Nach insgesamt sechsdreiviertel Stunden habe ich den Kampf gegen die Dämmerung mal wieder knapp gewonnen.

Fazit: anstrengender als die Hintour und nicht jeder Weg führt zum Ziel

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Torkopf (2116m)
Aufstiegs-Route: Inneralpbach – Lueger Graben bis Steinbergalm – Schotterstraße A14 bis Steinberger Grube – Anstieg über Südwesthang
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad:
Zeit für den Aufstieg: 3h
Bemerkung: Für diejenigen, die sonst schon alles bestiegen haben und den Galtenberg auch einmal von hinten sehen wollen. Für den Abstieg bietet sich der Trampelpfad in Richtung Mareitkopf an.

29.09.1999 Torkopf (2116m)

Der Torkopf ist ein ziemlich unbedeutender Nebengipfel des Steinbergmassivs und das bescheidene Ziel meiner unwiderruflich letzten Bergwanderung in dieser Saison.
Die große Herausforderung besteht wahrscheinlich nur darin, einen passablen Pfad hinauf zu finden. Ein solcher existiert jedoch nicht, wenn ich meiner Wanderkarte Glauben schenke (was ich nicht tue).
Der Weg führt mich in jedem Fall erst einmal durch den Lueger Graben. Dort zeigt sich bald der Torkopf zur Rechten, von der Form her sollte er eigentlich Spargelkopf oder Peter Enis-Kopf heißen. Von Norden her ist kein Staat zu machen, hier schreckt die quasi senkrechte Felswand ab.
Es ist sicherlich kein Zufall, daß es fast immer die Nordhänge der Berge sind, die so schroff und bedrohlich ausfallen. Muß irgendwas mit dem Mechanismus der Erosion zu tun haben.
Die einzig praktikable Stelle für eine Besteigung scheint mir der Südhang zu sein. Also weiter latschen bis zur Steinberger Alm, wo der Graben abrupt endet. Auch hier ist keine Kuh mehr zu sehen. In Reith fand am Wochenende das große Abtriebsspektakel statt. Erinnert den Rheinländer verdächtig an Karneval, nur daß die Kühe verkleidet sind. In Alpbach läuft der Almabtrieb vollkommen unkoordiniert ab, da muß man zu dieser Zeit immer damit rechnen, hinter der nächsten Kurve eine Kuh auf die Motorhaube zu bekommen.
Das Wetter verschlechtert sich allmählich, die Sonne kommt kaum noch durch den dichten Altostratus zum Vorschein, früher oder später wird es wohl regnen. Kühl ist es schon, ein Hauch von Herbst liegt endlich in der Luft. Kein Insekt, das mich nervt und auch das einstmals satte Grün der Grashänge ist in den letzten Tagen immer mehr einem leidenden Braun gewichen. Das alljährliche große Sterben hat schon begonnen, morgen werde ich Alpbach verlassen wie eine Ratte das sinkende Schiff.
Hinter der Alm schlängelt sich ein Senioren-Highway nach Nordwesten den Hang hinauf auf den Torkopf zu. Auf der anderen Talseite mache ich einige Gestalten aus, die sich, offensichtlich vom Großen Beil kommend, auf den Gressenstein zu bewegen. Da war ich schon.
Die Gehe ist nicht besonders anstrengend und bei dem frischen Wetter triefe ich ausnahmsweise einmal nicht vor Schweiß. Nach mehreren Schlenkern endet der Highway auf einem gut zweitausend Meter hohen Sattel. Eine beeindruckende Szenerie eröffnet sich mir. Blick auf Lämpi und die Beile Umsäumt von den schroffen Hängen des Steinbergs entdecke ich hier in der sogenannten Steinberger Grube einen malerischen Bergsee. Von der Felsklippe oberhalb habe ich einen bombastischen Ausblick nach Osten auf den Lämpi, die beiden Beile und das Sonnjoch. Was geschähe wohl, wenn ich von hier oben aus in den See spränge? Würde ich unter Wasser an den Felsen zerschellen oder mein Herz durch den Kälteschock aussetzen? Für einen Nichtschwimmer wie mich sind das natürlich rein akademische Fragen. Morbide Gedanken, die sich in den einsamen Bergen immer wieder entwickeln.
Ich wende mich wieder meinem Vorhaben zu und suche einen Weg auf den Torkopf, der nun zum Greifen nahe ist. Ein Trampelpfad gen Westen führt an einer Wellblechhütte vorbei und später an einer Ruine. Sieht irgendwie militärisch aus, als hätten die Nazis hier früher an geheimen Waffen herumgebastelt. Gewohnt hat hier bestimmt keiner freiwillig.
Ich gehe den Südhang des Torkopfes ab, in der Hoffnung, menschliche Spuren zu entdecken. Der Hang ist nicht übermäßig steil, aber stark mit Heidekraut bewachsen, so daß man nur schwer vorwärts kommt. Immer wieder falle ich auf eine anfängliche Lücke in der Vegetation herein, um dann genervt wieder umzukehren, weil ich in dem folgenden Dickicht nicht weiterkomme, herumstolpere und mir die mühsam in der Gebirgssonne gebräunten Beine verschramme. Das Gipfelkreuz Schließlich werde ich doch noch fündig. Ganz am Ende der Grube führen Trampelspuren von Südwesten aus auf den Gipfel. Die paar fünfzig Meter sind schnell überwunden und der geräumige Gipfel erwartet mich.
Es gibt hier zwar kein Gipfelkreuz mit Journal und Stempel, dafür aber eine Vermessungssonde und ein improvisiertes Totem, bestehend aus einem Holzpflock mit an geklebtem Kronkorken(!), befestigt durch einen Steinhaufen. Irgendwie nett und unbürokratisch.
Ich begehe wahrscheinlich kein Sakrileg, wenn ich meinen Kugelschreiber zücke und (als erster) meinen Namen auf dem Pflock verewige: „Stefan 29.9.99“. Ich habe ja schon einige Gipfelbücher vollgekritzelt, doch hier, auf diesem völlig verlassenen Berg geht es mir zum ersten mal richtig nahe. Dies war heute mein letzter Tag in den Bergen, einer Welt, die ich zunächst ignoriert, dann gefürchtet und endlich lieben gelernt habe.
Morgen um diese Zeit bin ich nach beinahe zehn Wochen wieder Flachländer, mit allen Konsequenzen. Lärm, Streß, U-Bahn fahren, Kultur, Regenzeit und Weihnachten. Harte Anforderungen an mein Adaptionsvermögen.
Passend zu meinen Herbstdepressionen haben mir die Berge noch ein kleines Abschiedsgeschenk bereitet. Die Tauern, die mich auf vielen meiner Touren begleitet haben und mir stets als Ikonen der alpinen Unveränderlichkeit erschienen, zeigen sich mir heuer in merkwürdig verwandelter Gestalt. Schnee Während mir der prasselnde Regen in der vergangenen Nacht den Schlaf versüßt hat, muß es wohl weiter im Süden, auf den Dreitausendern, fleißig geschneit haben.
Neuschnee, noch strahlend weiß und unschuldig wie ein Neugeborenes und das Ende jeglichen Sterbens. Nicht so ein halbes Jahr altes, angerußtes Cocktaileis, wie es hier noch teilweise herumliegt. In Kürze wird der Winter auch in den Alpbacher Bergen Einzug halten, nur werde ich das nicht mehr erleben. Wahrscheinlich ganz gut so, dann wimmelt es schon bald vor Schi-Heinis, die in schockfarbenen Plastikanzügen vollgedröhnt die Pisten runterdonnern und diese herbe Naturschönheit hier bestimmt nicht so zu würdigen wissen wie ich.
Ich bin allmählich durchgefroren, wird Zeit für den Abstieg. Zurück nehme ich den Weg aus der Grube, der ohne viel Höhenverlust erst unter dem unbezwingbaren Steinberg, später unterhalb des Galtenbergs verläuft. Der Pfad ist teilweise sehr eng und führt über einige glitschige Furten. Routine. Als ich die Mareitalm erreiche, kommt tatsächlich die Sonne wieder zum Vorschein. Ich bin schon ein toller Meteorologe!
Nach insgesamt fünf Stunden bin ich wieder daheim und beginne mit dem Packen.

Fazit: a sentimental journey

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 

Fotos Alpbach 1999

Alpenkitsch

Hier in den Alpen ist die Welt noch in Ordnung. Eine vollkommen intakte Naturlandschaft, freilaufende Eier und 3-Liter-Autos versetzen den Smog-geplagten Besucher in Verzückung. Mut zur Langsamkeit, die totale Entspannung. Die majestätische Stille der Berge wird nur hie und da durch den Schrei eines brünftigen Adlers zerissen. Wer das alles glaubt, leidet unter Realitätsverlust oder hat allzu viele Heimatfilme konsumiert.
Trotzdem scheint dieser Ort nur wenig von der realen Welt zu ahnen.

 


Furies am Wiedersberger Horn
mit Ausblick auf den Großen Beil.
Vorführwagen
bei Hechenblaikners
in Reith.
Wer es eilig hat,
geht besser zu Fuß.

 

Die Berge I

 

Die beiden Galtis (2424 und 2318m) Der Große Galtenberg,
der „Everest vom Alp-
bachtal“ (2424m), und
sein kleiner Brudi
(2318m), vom Fuße
der Sagtaler Spitze
aus aufgenommen.
Das Wiedersberger Horn
(2127m) vom gleichen
Standpunkt aus. Rechts
dahinter die Gratlspitz
(1894m), deren Steil-
wände direkt über
Alpbach thronen.
Wiedersberger Horn (2127m)
Sagtaler Spitze (2241m) Die Sagtaler Spitze
(2241m) am Südende
des Greiter Grabens.
Von hier aus startet
der Gamssteig nach
Osten, eine der
atemberaubendsten
Wanderstrecken rund
ums Alpbachtal.

 

Die Berge II

 

Tristenkopf (2203m) Hamberg (2095m) Oben: Der Hamberg (2095m), Zillertaler
Leuchtturm.
Links: Der unbesteigbare (?) Tristenkopf
(2203m), vom Krinnjoch aus fotografiert.
Lämpersberg (2202m) Blick am Nordhang des
Großen Galtenberges
vorbei auf den Lämpers-
berg (2202m), berüchtigt
ob seines garstigen
Klimas und der rasenden
Pullover.
Der kleine Beil (2196m),
wie man ihn vom Lämpi
aus sieht. Der Grat
in Richtung Süden führt
schließlich auf den
Großen Beil (2318m),
einen von den ganz
Guten.
Kleiner und Großer Beil
Tapenkopf Blick vom Gamskopf
auf den Tapenkopf
(2261m). Gemeint ist
der Berg mit dem
Kreuz oben drauf und
nicht dieser blonde
Grinsemann.
Erreichbar über den
schmalen und mit
vielen Klettersteigen
gespickten Gamssteig.

Rofan

Schon von Alpbach aus sieht man sie bei gutem Wetter jenseits des Inntales steil aufragen, die Gipfel des Rofan-Gebirges. Als Teil der Nördlichen Kalkalpen unterscheiden sie sich ganz wesentlich von den rundlichen, oft busenförmigen Grasbergen rund ums Alpbachtal.
Hier erwartet den Wanderer echtes hochalpines Feeling, derart krass hatte ich mir die Alpen füher stets vorgestellt. Leider sind einige der Gipfel des Rofan daher auch ohne Ausrüstung zum Klettern völlig unzugänglich, während die begehbaren teilweise einen enormen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Hinzu kommt, daß das Wetter hier durchweg fieser als im Alpbachtal zu sein scheint.
Kleiner Tip noch: wer vom Achensee statt vom Inntal aus ins Rofan startet, spart sich etwa 400 Höhenmeter. Ganz faule Genossen fahren von Kramsach aus mit der Sonnwendjoch-Bahn.

 


Anspruchsvolles Ambiente für
Calciumcarbonat-Fetischisten.
Mehr noch als anderswo gilt hier:
der Weg ist das Ziel!
Wind und Wetter haben
hier oben in mühsamer
Kleinarbeit bombastische
geologische Formationen
aus dem Kalk gemeißelt.

Ein Boulevard windet sich hinauf zum
Steinernen Tor.
Zum Hochiss (2299m) kurz vorher
links einordnen.

 

 

Über den Wolken

Da ist die Freiheit angeblich grenzenlos. Stimmt sogar, denn die wenigsten Leute kommen bei Dreckswetter auf die Idee, daß die Nebelsuppe, die so bleiernd und nässend im Tal herumhängt, irgendwo eine obere Grenze haben könnte.

 

Kühe beim Tuscheln
und Kichern.
„Nächste Woche kommt
schon wieder dieser
Besamungstechniker!“
„Der mit den kalten
Händen?“
„Ja genau!“
„Hihi!“
Bei so einem Orkan holt
sich die See, was der
See gehört!
Nicht mal Stoertebeker
würde sich bei so nem
Schietwedder da draußen
rumtreiben.
Typische Szenerie aus
einem dieser alten B-
Movies mit Bela Lugosi.
Hinten im Nebel lauert
irgendwo das Schloß
des Grafen D.

Glossar

Alpbach:
Die Perle des Alpbachtals. Etwa 2000 Einwohner und ebensoviele Kühe. Zwei(!) Sparmärkte, ein Tabakladen, internationales Publikum. Dank eherner Bauvorschriften sehen alle Häuser irgendwie gleich aus, sogar die Tanke am Ortsrand ist im Bauernstil gehalten.
Nachtleben: quasi inexistent. Ungläubige mögen das Waschküchl oder das Weinstadl antesten.
Prominentester (Wahl-)Alpbacher ist der große Quantenmechaniker Erwin Schrödinger, der mittlerweile aber auf dem Friedhof mitten im Dorf residiert. Das Schicksal seiner Katze bleibt weiterhin ungewiß.
Auf etwa 1000m Seehöhe gelegen, stellt Alpbach den perfekten Ausgangspunkt für Bergwanderungen dar. Mehr als ein Dutzend Zweitausender liegen in Schlagweite und warten auf ihre Erstürmung.

Baumgrenze:
Liegt im Alpbachtal bei etwa 1800 Metern. Oberhalb gibt es, klimatisch bedingt, nur noch Gras und niedriges Gestrüpp. Klima und Vegetation erinnern dann stark an die Nordseeküste. Wichtige Schallmauer auf dem Weg zu den Gipfeln der Zweitausender, darüber eröffnet sich eine ungeahnte Aussicht.

Föhn:
Spezielle Wetterlage, bei der sich feuchte Luft aus dem Süden über dem Hauptkamm abregnet. Dabei wird Kondensationswärme frei, so daß die Luft schließlich warm und knochentrocken in den Nordalpen ankommt.
Produziert meist sonniges Wetter mit prima Fernsicht und frischem Wind, bei manchen Wetterleidern aber auch Kopfpein.
Offenbar weiß niemand so genau, wann der Föhn kommt und vor allem, wie lange er anhält. Optisches Highlight sind die typischen Föhnwolken am ansonsten blauen Himmel (Altocumulus lenticularis).

Gipfelglück:
Entzieht sich jeglicher Definition. Muß man selbst nach suchen, bedeutet für jeden etwas anderes. Im Gegensatz zum anschließenden Talglück, welches für die meisten aus Dusche und Wiener Schnitzel mit Pommes bestehen dürfte (ich empfehle das Wi-Schnipo beim Kolberhof für 110öS, schöne Grüße an Gerda)

Grip:
Wichtig sowohl für Schumacher als auch für Schuhmacher. Ohne sicheren Halt rutscht man leicht ab und geht unter Umständen tot.

Großer Galtenberg:
Mit 2424m der höchste Gipfel im Bezirk Kufstein und wegen der phantastischen Aussicht eine regionale Berühmtheit.
Es gibt einen leichten, nur mäßig steilen Wanderweg nach oben, so daß auch Alpenrookies auf ihre Kosten kommen, sofern sie sich nicht durch den gewaltigen Höhenunterschied von 1400m zwischen Tal und Gipfel abschrecken lassen.
In diesem Sommer hat der Alpbacher Tourismusverband jeden Donnerstag eine geführte Wanderung auf den Galti angeboten, die Nachfrage war aber äußerst schwach.
Die Wagemutigen probieren es über den sogenannten Gratsteig, eine anstrengende und gefährliche Variante.

Hubschrauber:
Kommt einen retten, wenn man die 140 gewählt hat. Kommt einen hämen, wenn man zuviel getrunken hat. Macht flap flap…

Jause:
Imbiß, Picknick, Pausensnack, Schmackofatz etc. Es gibt viele bewirtschaftete Almen, die sich Jausenstationen nennen und dem Wanderer Nahrung gegen Währung zur Verfügung stellen. Am stilvollsten kommen aber selbst mitgeschleppte Eier und Bütterken, während man auf einem Felsen sitzend die Füße über dem Abgrund baumeln läßt.

Kar:
Sesselförmige Einbuchtung am Berghang, seitlich begrenzt durch Felswände. Fällt oben an der Lehne steil ab, verläuft auf der Sitzfläche nahezu eben. Glazialer Herkunft, auch heute noch sammelt sich dort der meiste Schnee (genau da, wo sich beim Sessel der Dreck sammelt).

Kitzbüheler Alpen:
Teil der nördlichen Grauwackenzone, werden ob ihrer vegetations- freundlichen Rundungen auch Grasalpen genannt. Bestehen aus sogenanntem Wildschönauer Schiefer, einem schwach metamorphen Gestein, das sich aus Tiefseeablagerungen des Urmeeres Tethys gebildet hat. Begrenzt im Norden durch die Nördlichen Kalkalpen (Rofan, Koaser), im Süden durch die Keesalpen (Tauern).

Klettersteig:
Besonders steile Anstiege über nackten Fels sind oft durch Stahlseile und/oder Stahlstiegen gesichert. Rund ums Alpbachtal gibt es sie auf der Gratlspitz, dem Wiedersberger Horn und besonders entlang des Gamssteiges. Sind i.a. nur wenige Meter hoch und leicht zu bewältigen. Sie dienen nur zum Klettern, auf den engen Gratpassagen sucht man vergeblich nach Halt.

Kongreßzentrum:
Erst in diesem Jahr eröffnet und Alpbachs ganzer Stolz. Na ja, eigentlich der ganze Stolz der Leute, die damit direkt zu tun haben. Die meisten Alpbacher Gäste finden das Gebäude ausgesprochen häßlich. Es beherbergt nebenbei das Büro des Tourismusverbandes.

Senioren-Highway:
Erschließungsstraße, befahrbarer Weg, der zu den Hochalmen führt. Dementsprechend nur mäßig steil, alle paar Meter lockt eine Sitzbank. Für Spaziergänger halt.

Wanderführer:
Einerseits Willi, Sepp und Co. vom Alpbacher Tourismusverband, andererseits die Heftchen mit Wandertips, die manchen Karten beiliegen.
Letztere sind meist etwas kurz angebunden, aber dafür gibt es meine Reiseberichte!

Wanderkarte:
Käuflich zu erwerbendes Rätselwerk. Berge und Straßen sind bereits eingezeichnet, die meisten interessanten Wege muß man selbst ergänzen.

Wetterbericht:
In den Alpen ungenau bis unzuverlässig. Jedes Tal und jeder Berg hat sein eigenes Mikroklima. Gibt aber zumindest eine grobe Tendenz an und wer kann sich schon zweihundert Bauernregeln merken?

© Stefan Maday 5.10.2001