Der Südtirol Report 2009

Dolomiten und Zillertaler Alpen

von Stevie – Mika war natürlich auch mit

Tag 1: Besteigung der Hohen Munde im Wetterstein

Gipfel: Hohe Munde (Ostgipfel, 2592m)
Ausgangspunkt: Obern, Leutasch
Herausforderungen: Feuchtes Terrain, Firnschnee auf engem Grat zum Westgipfel
Höhendifferenz: 1400m
Gesamtdauer: 9h

Besteigung der Hohen Munde im Wetterstein

Dies ist nun unser neunter gemeinsamer Sommerurlaub in den Alpen. Nach zwei fantastischen Durchgängen in der Schweiz heißt es dieses Jahr wieder: wir fahren gen Italien. Die ursprüngliche Planung sah zunächst eine Woche Leiter-&Drahtseilurlaub in der Brenta vor, danach die Besteigung eines dicken Dreitausenders im Val di Sol. Kulminationspunkt sollte eine 2-3 Tage dauernde Tour auf den Hochfeiler, die Ikone der Zillertaler Alpen, darstellen. Aus Gründen, die sich unserem Einfluss entziehen, sind wir nun allerdings gezwungen, unsere Segel mehrere Wochen früher als geplant zu setzen und so sehen wir uns noch viel Altschnee in den Alpen entgegen. Die Berge der Brenta erschienen auf den Webcams nach wie vor reichlich eingeschneit – keine reizvolle Vorstellung für eine Gegend, in der man sich praktisch keinen Meter bewegen kann, ohne dass man an Drahtseilen hängen oder schmale Simse traversieren müsste.

Ergo haben wir kurzfristig beschlossen, die Brenta noch eine Woche lang abtauen zu lassen und erst einmal unsere guten, alten Dolomiten heimzusuchen – Die Hohe Munde vom Inntal bei Telfs dort, wo alles begann. Wieviele interessante Gipfelziele haben wir früher aus den verschiedensten Motiven auslassen müssen und uns jeweils mit der Aussicht getröstet, dass wir dort eines Tages wieder auf der Matte stehen würden. Ähnlich erging es uns mit der Hohen Munde: oft haben wir diesen kecken Doppelgipfel auf unserem Weg von Garmisch ins Inntal passiert und kamen zu dem Schluss, dass die Munde doch ein gutes Objekt zum Ein- oder Auslaufen wäre.
Und so stehen wir heute gegen viertel nach acht in aller Herrgottsfrühe vor unserer Pension in Leutasch-Obern und blicken frohen Mutes auf die Stelle, wo gestern abend noch die Hohe Munde prangte. Jetzt tummeln sich dort nur Wolken und es regenet Bindfäden. Nichtsdestotrotz sind wir entschlossen, die Besteigung zu wagen. Unsere Wirtin hat daraufhin kundgetan, dass sie schon einmal provisorisch die Bergrettung alarmieren wolle. Das soll uns recht sein, so sparen wir uns vielleicht den langen Abstieg und müssen dennoch nichts für den Hubschrauber berappen.

Ein kleiner ‚Hatscher‘ (die ortsübliche Bezeichung für einen Fußmarsch) an der Straße entlang bringt uns in wenigen Minuten zum ‚Haus Sabine‘, wo unser Weg nach rechts abzweigt. Ein Wegweiser suggeriert eine Gehzeit von 1 3/4 Stunden zur Rauth-Hütte hinauf. Wir kommen auf dem breiten Kiesweg recht schnell voran, schon deshalb, weil der unablässige Regen wenig Anreiz zum Pausieren bietet. Hitec-Equipment wie Goretex-Gamaschen, wasserabweisende Hose undTrübe Aussicht von der Rauth-Hütte auf die Hohe Munde hyperventilierende Regenjacke lässt den gröbsten Regen abprallen. So erreichen wir besagte Hütte schon nach etwa einer Stunde. Der Gentleman, der das Schild im Tal konzipierte, musste etwas fußlahm gewesen sein.
Im Inneren der Hütte drücken sich einige verwunderte Gesichter die Nasen platt ob des Anblicks zweier nasser Tropfe. Wir verkünden, dass wir trotz momentan widrig aussehender Umstände eine Besteigung durchzuführen gedenken, da sich das Wetter im Laufe des Tages sicherlich stabilisieren werde. Am ersten Urlaubstag kommt man halt noch mit einer gewissen optimistischen Grundeinstellung daher. Und sollte die Sache dennoch ein Reinfall werden, dann sind wir so oder so morgen in Italien, wo bekanntlich immer die Sonne scheint. Wir bewegen uns also auf die Ostflanke der Munde zu. Noch immer im Wald, da wir erst 1600m hoch sind. Das bedeutet, dass wir noch stramme 1000m Anstieg vor uns haben.

Der deutliche Kiesweg weicht bald einem Trampelpfad. Der Baumwuchs wird spärlicher, Latschen treten an seine Stelle. Die Pfade sind feucht, aber nicht zu tief und matschig. Offenbar hat es in den letzten Wochen nicht nur pausenlos geregnet. Der Regen scheint nun tatsächlich nachzulassen. Über Wurzeln und Fels Der possierliche Schrofenlurchkraxeln wir eine längere Rinne hinauf und landen letztlich auf dem Ostkamm. Hier und da bietet sich vereinzelt ein Tiefblick auf das Inntal mit der Stadt Telfs. Der Pfad führt nun weiter über Schrofen, immer wieder ist leichte Handarbeit angezeigt. Wir entdecken viele kleine Eidechsen, die auf den Felsen eine Dusche zu nehmen scheinen. Sie schauen nicht unbedingt kuschelig aus, schwarz und glänzend, eher wie Kackwürste Auf dem Dreckhangmit Schwanz und Beinen. Da Mika sein Dinosaurierbestimmungsbuch zuhause vergessen hat, taufen wir diese Spezies auf den Namen ‚Schrofenlurch‘.
Etwa zwei Dutzend Schrofenlurche später landen wir an einer Umleitung. Offenbar ist der Normalweg steinschlaggefährdet. Wir folgen dem Ausweichpfad nach Norden. Schnell wird klar, dass er über einen rutschigen Dreckhang führt. Nicht angenehm bei diesem Wetter. Mehrere Ewigkeiten schleimiger Glitscherei später treffen wir wiederum auf den ursprünglichen Schrofenpfad. Der Regen hat aufgehört, doch die Sicht ist nach wie vor ziemlich bescheiden. Schließlich finden wir uns auf einem felsigen Absatz wieder und zu unserer Erleichterung erspähen wir die monströsen Lawinenverbauungen unterhalb des Ostgipfels. Ein kurzer Schneehatscher und wir stehen am Kreuz, das nicht unbedingt den höchsten Punkt markiert. Eine klobiger Antennenmast komplettiert die Hässlichkeit des Gipfels.

Vier Stunden für 1400Hm am ersten Urlaubstag sind eine recht ordentliche Leistung. Wegen der geringen absoluten Meereshöhe von nur gut 2500m werden sich Auf dem Verbindungsgrat - hinten der Ostgipfelmeine Akklimatisierungskopfschmerzen heute sicherlich in Grenzen halten. Fazit: trotz des schäbigen Der Hauptgipfel zieht auf!Wetters eine prima Einlauftour! Wir fühlen uns fit genug, um die Traverse zum Westgipfel zu wagen. Ein steiler Abstieg über Schotter nach Nordwesten, dann ein schmaler werdender Grat. Die Tiefblicke, besonders nach links hinunter in das Inntal, werden eindringlicher. Dies ist plötzlich ein vollkommen anderer Berg. Die Wolken ziehen immer einmal wieder kurz auf und enthüllen den Blick auf den Westgipfel. Der Grat ist schneebedeckt. Wir ziehen Steigeisen auf. Schließlich erreichen wir das Ende unserer Zuversicht. Der Grat verjüngt sich zusehends, der Schnee darauf macht keinen sehr verlässlichen Eindruck.Neuschnee und Altschnee scheinen irgendwie nicht miteinander verschmolzen zu sein. Ohne Seilsicherung dünkt uns dieses Vorhaben zu heikel. Wäre doch zu dumm, gleich am ersten Urlaubstag eine Kiste nach Hause zu buchen.

So machen wir kehrt, mit dem guten Gefühl, immerhin einen Gipfel erreicht und einiges für unsere Fitness getan zu haben. Der Abstieg verläufg recht unspektakulär, nun zwangsläufig auf dem Hinweg. Der Dreckhang geht sich wie erwartet im Abstieg noch unangenehmer, Schrofen und die Rinne dagegen sind schon ein wenig abgetrocknet. Auf der Hütte sitzt man mittlerweile draußen und der eine oder andere Hüttenbesucher bereut nun vielleicht insgeheim, dass er den Tag anders als wir mit Herumsitzen und Biertrinken vergeudet hat. Denn für das Biertrinken haben wir nun auch noch reichlich Zeit…

Fazit: ist im Text versteckt

 


Tag 2: Besteigung der Cirspitzen am Grödner Joch

Gipfel: Cir V (2520m), Gran Cir (2592m)
Ausgangspunkt: Grödner Joch
Herausforderungen: Cir V: Via Ferrata (mittelschwer)
Höhendifferenz: 650m
Gesamtdauer: 4h50m

 

Besteigung der Cirspitzen am Grödner Joch

Gut ausgeschlafen und befrühstückt treten wir die Weiterreise von Leutasch an. Durch das Inntal und über den Brennerpass gelangen wir in das uns wohlbekannte Grödner Tal. Viele Erinneringen werden wach, als wir uns von Wolkenstein kommend die Tornanti der Dolomitenstraße zum Grödner Joch mit Radlern und Motorradfahrern die Wette hinauf quälen. Rechts die gigantische Wand der Sella, im Rücken die schlanke Silhouette des Langkofel. Rechte Winkel bestimmen die Szenerie – wir sind wieder in den Dolomiten!
Es ist bereits kurz vor Mittag, als wir in den Parkplatz am Pass rollen. Eine geschäftstüchtige Dame wirft sich uns sogleich entgegen und erläutert uns die Parkplatztarifstruktur. Wahlweise 1,00 Euro pro angefangener Stunde oder 4,00 für den Rest des Tages. Zur Bezahlung im Voraus. Wir entscheiden uns für zweite Option und glauben uns zu erinnern, dass das Parken bei unserem letzten Besuch am Grödner Joch im Jahre 2004 noch gratis war.

Da vorauszusehen war, dass wir erst zu später Stunde in den Dolomiten eintrudeln würden, hatten wir bereits gestern abend eine Kurztour für den heutigen Tag ausgesucht. Gegenüber der Sella im Süden prangen im Norden die weniger hohen aber nicht viel weniger eindrucksvollen Cirspitzen. Die Große Cirspitze Cir V ist der Gipfel ganz linkshatten wir bereits 2004 auf unserem Weg in die Pues Hochebene ‚mitgenommen‘, heute soll die Westliche Cirspitze oder ‚Cir V‘ an unseren Besuch glauben. Wir versuchen auszuknobeln, welche der vielen Spitzchen westlich des Hauptgipfels nun die Nummer V sein könnte. Vom Parkplatz aus schwer zu sagen. Wir vertrauen also auf das Klettersteigbuch von Eugen Hüsler und wandern erst einmal in Richtung der Seilbahnstation Dantercéppies. Von dort soll laut Eugen ein Weg ausgeschildert sein und im Gegensatz zu anderen Bergtourenautoren hat uns der gute Eugen noch nie enttäuscht. Eine Schulklasse mit wenigstens 30-40 Mitgliedern macht sich ebenfalls mit Schutzhelmen bewehrt auf in Richtung Cirspitzen. Wir hoffen inständig, dass die lieben Racker es auf die Große Cirspitze abgesehen haben!

Das Wetter könnte im Vergleich zum österreicherischen gestern nicht verschiedener sein. Es ist deutlicher wärmer und der Himmel zeigt große blaue Flecken. Der ungesicherte Einsteig in den KlettersteigEin Hauch von Italien eben. Nach wenigen Minuten haben wir die besagte Bahnstation über einen breiten Kiesweg erreicht. Und tatsächtlich weist ein Schild auf unseren Gipfel hin. Ein kleiner Pfad windet sich über einen Grasrücken hinauf in die Felsenzone. Zwei US-Amerikanerinnen sprechen uns an. Sie haben die Helme bemerkt, die an unseren Säcken baumeln und fragen uns über Techniken und Ausrüstung Vie Ferrate betreffend aus. Sie wollten die Cir V auch gerne probieren, allerdings erst morgen. Heute wird wohl erstmal sondiert und geschaut, wie viele Leute heil wieder unten ankommen.
Wir ziehen unsere bewährten Helme auf. Anfangs steigen wir in leichter Kletterei ungesichert eine Rinne hinauf. Alles recht gut mit roten Farbtupfern Exponierte Passage mit Sella im Hintergrundmarkiert. Eine kurze Leiter bedeutet den Anfang in die gesicherte Passage. Als wir wie jedes Jahr am ersten Klettersteigtag unsere Ausrüstung mit ungeschickten Handgriffen anlegen, überholt uns eine Familie mit zwei jungen Kindern. So schwer kann die Angelegenheit dann wohl nicht sein, denken wir. Der blöde Gurt scheint jedes Jahr enger zu sitzen, sicherlich durch die lange Lagerung bedingt. Meine Klick-Karabiner hängen nicht mehr am Seil, ich hatte sie im letzten Jahr für unsere Gletschertour zum Breithorn im Wallis abgenommen. Zum Glück fällt mir wieder ein, wie man einen Achter knüpft. Ich mache mir eine Gedankennotiz: in Zukunft das Equipment vor dem Urlaub überprüfen…

Die Kletterei erscheint uns technisch nicht besonders schwierig, einige Aufschwünge sind allerdings schon ziemlich ausgesetzt und wir sind dankbar für die gute Drahtseilunterstützung. An einer Ecke überholen wir die Familie, offenbar haben sie kalte Füße bekommen und schicken sich an, umzukehren. Viel zu Luftige Passage vor der Kulisse der Sella Nordwandschnell finde ich mich schließlich auf einem flachen Absatz unterhalb der Gipfelzinne wieder. Eine gute Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten. Nach wenigen Schritten geleitet eine weitere Sicherung durch eine Rinne steil zum Gipfel. Dieser ist so winzig, dass wir beiden kaum gleichzeitig darauf zu sitzen vermögen. Das halbwüchsige Metallkreuz dient mehr zum Festhalten als zu einer weithin Blick über Seiser Alm auf den Schlernsichtbaren Verzierung. Die Aussicht ist berauschend, wir sehen das oberstere Stockwerk der Sella, die Cima PIsciadu und auf der Großen Cirspitze windet sich eine Schlange von 30-40 Schülern dem Gipfel entgegen. Das Beste ist: wir haben fünf Minuten weniger benötigt als der große Eugen Hüsler! Mika in seiner Euphorie schlägt sogleich vor, die Große Cirspitze gleich auch noch einmal mitzunehmen. Wir initiieren den Abstieg, der durch das Schotterkar zwischen Cir IV und V führt. Im oberen Bereich befinden sich noch einige Sicherungen, weiter unten werden die Schrofen von rutschigem Schotter abgelöst und wir sind froh, dass es bislang trocken geblieben ist.

Eine kurze Traverse am Hang geleitet uns zum nächsten Schotterkar neben der Großen Cirspitze. Der Aufstieg ist weniger dramatisch, wir verzichten auf unsere KS-Gurte, denn die wenigen Sicherungen sind den Diskomfort nicht wert. Wer schon einmal versucht hat, sich mit angelegtem Sitzgurt zu erleichtern, Absatz an der Großen Cirspitze: Mika posiert vor dem Langkofelweiß was ich meine. Von der Schulklasse ist nichts mehr zu sehen. In leichter aber zu dieser späten Stunde und in ungewohnter Höhenluft anstrengender Kraxelei erreichen wir endlich den Gipfel. Eine Wiederbesteigung nach fünf Jahren Abwesenheit. Unser Cir V Gipfel wirkt nun winzig und unbedeutend. Einzig bemerkenswert scheint die Spur von 30-40 Ameisen, die sich am Klettersteig versuchen. Anscheinend hat unsere Schulklasse die umgekehrte Reihenfolge für die Besteigung gewählt. Offenbar haben wir heute alles richtig gemacht, zumal von Norden her eine dicke Schauerwand auf uns zu marschiert. Wir beeilen uns mit dem Rückstieg. Es tröpfelt immer wieder leicht, doch die Felsen bleiben noch griffig. Erst unten auf den abgetretenen Fliesen wird es schlüpfriger. Hier kommt uns ein Mann mit drei Kindern entgegen, die sich die gesicherte Passage mit Gurten hochhangeln. Kaum zu glauben, aber in einem Tuch um den Bauch befördert unser produktiver Familienvater auch noch einen Säugling. Hoffen wir nur, dass er nicht stolpert.

Am Auto angekommen beginnt es, nachhaltiger zu regnen. Aus unserer Minitour auf die Cir V ist nun doch fast eine Fünf-Stunden-Tour geworden. Wir rollen hinunter nach St.Christina, um uns ein Basislager für die nächsten Touren im Grödner Tal zu suchen.

Fazit: Spektakuläre Minitour für zwischendurch

Tag 3: Sass Rigais Traverse

Gipfel: Sass Rigais (3025m)
Ausgangspunkt: Bergstation Col Raiser Bahn, St.Christina
Herausforderungen: Via Ferrata (mittelschwer)
Höhendifferenz: 950m
Gesamtdauer: 7h50m

Sass Rigais Traverse

Für unsere Verhältnisse relativ früh starten wir in unser nächstes Abenteuer. Um acht Uhr haben wir bereits gefrühstückt und machen uns auf zur Col Raiser Bahnstation. Wir wollen den Sass Rigais besteigen, den Hauptgipfel der Geislergruppe. Er stand schon lange in unserer ‚open items‘-Liste der Dolomitenberge, vereint die Tour doch die Überquerung eines attraktiven Dreitausender-Gipfels mit dem Nervenkitzel einer langen Via Ferrata. Sowohl im An- als auch im Abstieg sind Eisen in den Fels gehauen. Unser literarischer Klettersteigführer Eugen Hüsler schlägt die Süd-Ost-Überschreitung vor. Die Wirtsleute in der Pension Geier in St.Christina, einem recht familiären Etablissement, in dem wir die Nacht verbracht haben, empfehlen uns die entgegengesetzte Route: Aufstieg von Osten durch das Wasserrinnental, da der Klettersteig auf dieser Seite anspruchsvoller sei als der auf der Südflanke. Die Einheimischen kennen sich für gewöhnlich aus. So machen wir es also.

Wie bei unserer allerersten Dolomitentour vor ziemlich genau 9 Jahren beginnen wir unser Unterfangen mit einer Fotosession Noch hängt morgendlich Gewölk über der Geisler Spitzenvon der Plattform der Col Raiser Hütte (2102m ü.NN). Langkofel, Stelviazinnen und natürlich die Geisler Spitzen posieren willig im matten Morgenlicht. Ausgerechnet unser Tagesziel liegt noch in Wolken. Wir nehmen zunächst den Weg nach Nordwesten in Richtung Seceda. Ein Abstieg zur Regensburger Hütte scheint uns der Mühe am Morgen nicht wert. Schließlich halten wir uns aber rechts, dem Schild ‚Sass Rigais‘ folgend. Ein gemütlicher Morgenbummel führt über grüne Wiesen unterhalb der Fermedatürme und einiger interessanter Felsformationen bis zum schotterübersääten Mittagskar. Eine merkwürdige Gruppe überholt uns und hält auf die Mittagsscharte zu. Vier Personen, drei Männer – mit langen Seilen bewaffnet – und eine Frau, die kaum Schritt zu halten vermag und wenig zuversichtlich dreinschaut. Was die wohl vorhaben?

Unser Weg führt uns noch einige Minuten weiter nach Osten und dann hinauf in das Wasserrinnental, ein Schotterkar, wie wir Mika im Wasserrinnental vor dem Langkofeles in den Dolomiten nun schon zu Dutzenden durchquert haben. Solche Schuttpisten bilden nun einmal die Schwachpunkte der sonst kaum zugänglichen Türme und Zinnen in dieser außergewöhnlichen Gebirgsregion. Der Weg zum Talkopf erweist sich als steiler und anstrengender als von unten vermutet und wir gewinnen endlich an Höhe. Nach gut zwei Stunden Gehzeit haben wir den Einstieg in den östlichen Klettersteig erreicht. Eine schmale Schuttbrücke führt unterhalb der eindrucksvollen Furcheta in die felsige Ostwand des Sass Rigais hinein – Zeit für eine regenerative Pause und das Anlegen der Gurte.

Eine Wolke hüllt uns ein und drückt die Stimmung. Im Zwielicht wirkt der Fels vor uns bedrohlich. Wir dehnen die Pause mächtig in die Länge, in der Auf künstlichen Tritten die senkrechte Wand hinaufHoffnung auf ein positives Signal von irgendwo. Vergebens. Ich raffe mich schließlich auf. Der Steig ist laut Führer lediglich mittelschwer und es wird schon noch eine Weile trocken bleiben. Der Fels ist griffig und bald schon taucht das erste Stahlseil auf. Schnell wird klar, dass nicht der komplette Anstieg gesichert ist, sondern Eine Lücke im Fels wird übersprungenlediglich die exponierteren Passagen. Tritte und Griffe sind jedoch im Überfluss vorhanden. Wir spagaten uns über eine Rinne und überqueren ungesichert ein schmales aber nicht unheikles Schneefeld. Einige Trittklammern helfen über einen senkrechten Aufschwung hinweg. Nach der Erfahrung vom Leukerbader Klettersteig in der Schweiz im letzten Jahr, wo mir mit zunehmender Zeit Schultern und Arme lahm wurden, habe ich im Vorfeld dieses Urlaubs ein wenig meine Armkraft und vor allem meine Klettertechnik verbessert. Ich bemühe mich wo immer möglich, ‚frei‘ zu klettern und mich nicht mit Hilfe des Stahlseils hochzuhieven. Das schont die Kraftreserven ungemein, kann man doch viel mehr mit den Beinen arbeiten. Wahrscheinlich werde ich morgen noch nicht einmal mit einem Muskelkater erwachen.

Nach 40 Minuten Kletterei beruhigt sich der Gradient. Ein Absatz und plötzlich nur noch ein paar Krabbelfelsen an einem Hast Du gut gemacht, MikaFirnfeld vorbei und wir stehen auf dem Gipfel. Und da stellt es sich ein, das Gefühl, einen wirklich großartigen Berg bestiegen zu haben. Wir sind wieder einmal allein, nur ein paar bunte Fähnchen und hungrige Dohlen stören das perfekte Idyll. Der Gipfel ist inzwischen frei von Wolken und gewährt eine fantastische Rundumsicht: der Doppelgipfel der Furcheta nebenan, der Peitlerkofel neben den Aferer Geislern, die Seiser Alm mit Schlern, der Rosengarten, die Langkofelgruppe, Sella und und und.
Eine gute halbe Stunde verbringen wir auf unserem Dreitausender, bis uns bewusst wird, dass uns noch ein langer und Die Furcheta gleich vis a vis mit ihrer markanten Gipfelfurcheanstrengender Abstieg bevorsteht. Auf dem engen Gipfelgrat schleichen wir uns zum südlichen Ende, wo uns wieder Stahlseile erwarten. Die Kletterei ist nicht so luftig wie beim Anstieg, jedoch langwierig und die Sonne brennt nun erbarmungslos auf unsere Helme hinab. Wir begegnen einer anderen Gruppe, die im Aufstieg begriffen ist. Ansonsten ist es heute ziemlich einsam gewesen, was sicherlich auch der Tatsache geschuldet ist, dass die diesjährige Saison kaum begonnen hat. Die Sicherungen werden allmählich sporadischer, das Gelände schrofiger. Vor jedem kleinen Steilstück muss man sich entscheiden, ob man Bauch oder Hintern voraus hinunterkraxelt.

Als wir endlich grüneres Gelände erreicht haben, gönnen wir uns eine größere Pause. Wir lassen unser Geschirr angelegt, denn ein Blick auf die Karte verrät, dass uns noch immer Eisenmeter bevorstehen. Und so kommt es auch, wir durchklettern eine kleine, enge Schlucht, bis wir schließlich im Mittagskar landen. Von rechts trifft uns der Pfad, der von der Mittagsscharte herunterführt. Nach einer Weile Schottertretens landen wir auf dem Almenbummelpfad von heute morgen. Wir lassen die Regensburger Hütte auch diesmal aus, denn wir wollen sichergehen, dass wir die letzte Bahn nach St.Christina nicht versäumen. Dies müssten wir mit zusätzlichen 600 Höhenmetern Abstieg teuer bezahlen. Nach knapp acht Stunden werfen wir uns in die kleine Kabine, mit dem berauschenden Gefühl, heute bereits einen der absoluten Höhepunkte dieses Urlaubs erlebt zu haben. Zudem hat das Wetter gehalten, so dass wir mit der Gesamtsituation rundum zufrieden sind.

Fazit: Eine Tour mit wow!-Faktor und bei schönem Wetter uneingeschränkt empfehlenswert

Tag 4: Besteigung des Plattkofel

Gipfel: Plattkofel (2956m)
Ausgangspunkt: Bergstation Col Raiser Bahn, St.Christina
Herausforderungen: Umweg wegen verschneitem KS
Höhendifferenz: 1500m (Aufstieg)
Gesamtdauer: 11h

Besteigung des Plattkofel

Die Langkofelgruppe. Sie thront wie keine zweite über dem Grödner Tal. So oft gesehen. Nie drin gewesen. Das wollen wir heute ändern. Während der Langkofel höchstpersönlich, mit 3181m einer der höchsten Gipfel in den Dolomiten, im günstigsten Fall mit Kletterei der Schwierigkeitsstufe III erreichbar ist, führen gleich zwei markierte Wege auf den westlich angelagerten Plattkofel – von Osten durch das Plattkofelkar und über den Oscar-Schuster-Klettersteig, von Westen über die Plattkofelhütte die breite Platte hinauf, die diesem Berg seinen Namen aufgedrückt hat. Bei einer Überquerung drängt sich logischerweise der Aufstieg über die Via Ferrata auf.

Der Wetterbericht schaut laut Videotext recht ermutigend aus, Aperture a fine periodo, heißt es. Ich möchte diese Worte gerne als „Eröffnung hin Lang- und Plattkofel (rechts) von oberhalb von St.Christina gesehenzu einer Schönwetterperiode“ übersetzen. Tatsächlich kommen aber auch andere Bedeutungen in Frage, z.B. „Loch am Ende des Abschnitts“ o.ä. Gedankennotiz: beim nächsten Mal ein italienisches Wörterbuch mitnehmen. Unsere Wirtsleute sind in dieser Beziehung nicht weniger orakelhaft. Das Wetter sei diese Saison schon sehr launisch und man müsse mit allem rechnen. Zumindest entkräften sie unsere Befurchtungen, der Klettersteig könne um diese Zeit noch eingeschneit sein. Am Anfang sei oft ein kleines Schneefeld zu überwinden, das sei aber nicht tragisch. Statt vom Sellajoch über die Langkofelscharte zu starten, empfehlen sie uns, dies von der Monte Pana Seilbahnstation oberhalb St.Christinas zu tun. Die Einheimischen kennen sich für gewöhnlich aus. So machen wir es also.

Eine steile Steigstraße bringt uns zur Bahnstation und nach kurzer Gondelei stehen wir abmarschbereit auf 2025m. Wir schreiben 9 Uhr morgens und registrieren, dass die finale Talfahrt für 18 Uhr angesetzt ist. Viel Zeit also. Der Weg ist nicht zu verfehlen, er ist Teil des gut ausgebauten Rundpfades um den Langkofelhütte und PlattkofelkarLangkofel und tourt gemütlich rechts um den nördlichsten Ausläufer herum bis zur Einfahrt in das Plattkofelkar. Nach etwa 75 Minuten erreichen wir die Langkofelhütte über eine gut definierte Schotterrampe. Von beinahe sämtlichen Seiten sind wir von unüberwindlich dreinblickenden Wänden und Türmen umgeben. Wir genehmigen uns eine Limonade und fragen den Hüttenwirt nach den Verhältnissen in der Ferrata. Die Seile seien frei, man brauche keine Eisausrüstung. Das trifft sich gut, denn die unserige liegt im Kofferaum von Michaels Wagen.
Auf der Hütte herrscht einiger Rummel, doch sind wir beiden die einzigen, die in Richtung Norden in das verschneite Kar aufbrechen. Dies wird schnell immer steiler und wir retten uns von einem aperen Schotterfleck auf den nächsten. Alles relativ weglos hier oben. Zu spät bemerken wir, dass wir irgendwo die Abzweigung nach rechts verpasst haben, denn dort, in mehr als hundert Metern Entfernung prangt ein roter Fleck am Fels. Wir traversieren einige steile Schneefelder und bereuen schnell, dass wir Steigeisen und Pickel nicht dabei haben. Schließlich befinden wir uns kurz unter dem Einstieg. Der Schnee wird hier so steil, dass uns mulmig wird. Ein Ausrutscher könnte fatale Folgen haben, indem er uns mit hoher Geschwindigkeit auf das untere Schotterfeld katapultierte. Keine angenehme Option. Zudem dräut über dem Einstieg ein neuerliches Schneefeld. Mein Gefühl sagt mir, dass wir umkehren sollten, solange wir uns einen solchen Schritt noch zutrauen. Weiter oben könnte es dazu zu spät sein. Wer weiß, wie es in den dunklen Rinnen aussieht…

Auch für einen erfahrenen Alpinisten ist es oft nicht einfach, Gefahren objektiv einzuschätzen. Zumal, wenn wichtige Informationen fehlen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir im Angesicht einer schwierigen Situation den Rückzug antreten. Ärgerlich wird es, wenn einem im Nachhinein im Komfort einer warmen Gaststube plötzlich Zweifel an der Richtigkeit einer solchen Entscheidung kommen. Mit unserem Rückzieher an der Hohen Munde im Hinterkopf beschließen wir, uns die Sache heute nicht zu leicht zu machen. Wir wollen nicht ohne Gipfelerfolg wieder talwärts trotten. Zwar kehren wir hier, weniger als 500 Meter unterhalb des Gipfels, wieder um, aber nur, um ihn über die rückseitige Rampe zu besteigen. Um das ganze spannender zu machen, beschließen wir die „Besteigung um jeden Preis“ (BujP) – koste es, was es wolle.

Beim Abstieg zur Langkofelhütte treffen wir zwei weitere potenzielle Interessenten am OS-Klettersteig. Wir klären sie über die Situation auf und sie machen dankbar wieder kehrt. Uns dämmert bald, was wir uns mit unserer BujP eingebrockt haben. Um den Berg herum - im Hintergrund der Rosengarten Der Pfad purzelt hinab auf weniger als 2000m Seehöhe. Scharen von Touristen kommen uns in der brutzelnden Mittagssonne entgegen. Der Weg zieht sich schier endlos um den Berg herum. Von unten sah das längst nicht so weit aus. Das Schlimmste: die aktuelle Hochrechnung ergibt, dass wir die Talfahrt von der Monte Seura abhaken können. Vor 21 Uhr werden wir bestimmt nicht wieder in unserer Pension sein.
Mika beginnt, sich verdächtig wortkarg zu geben. Muss anscheinend mit seinen Kräften haushalten. Nach vielen Kehren und allmählich ansteigend erreichen Der lange Aufstieg zum Gipfelwir schließlich die auf 2300m gelegene Plattkofelhütte. Wir gestehen uns die erste längere Pause nach mehreren Stunden zu. Wasser und Knabbereien werden knapp. Fast 700Hm Quälerei stehen uns immer noch bevor. Die Rampe ist nicht so glatt, wie vermutet, sondern macht einen recht verwitterten Eindruck. Wir raffen uns auf. Ein Grashang. Schotter. Schneefelder. Schrofen. Einige im Abstieg begriffene Wanderer begegnen uns. Hinter uns ist niemand mehr. Kein Wunder, um die Uhrzeit. Um viertel nach vier – nach mehr als sieben Stunden Anlauf – stehen wir endlich pochenden Herzens mutterseelenallein am Gipfelkreuz. Gratulazzione. Wir versuchen, unseren Aufenthalt angemessen zu genießen. War es die Mühe wirklich wert oder sind wirHier steigt man aus dem Oskar einer fixen Idee nachgelaufen? Aber ist es nicht genau das, worum es beim Bergsteigen geht? Dass man sich hin und wieder Ziele außerhalb seiner Komfortzone setzt und an solchen Erfolgen wächst?Gipfelglück mit Apfelstück Die Aussicht ist jedenfalls gut, das trockene Wetter hat gehalten. Wir schauen in den Kessel hinunter zur Langkofelhütte. Der Klettersteig mündet nur wenige Meter südlich des Gipfels. Die Aufstiegsrinne ist vollkommen von Schnee blockiert, Hier ist dieses Jahr noch niemand hochgekommen. Wir fühlen uns bestätigt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Der Gipfelgrat sieht interessant aus, nördlich und südlich befinden sich weitere, ähnlich hohe Gipfel. Für unnötige Ausflüge fehlen uns heute jedoch Zeit und Nerven. Wir beschließen den Abstieg. Vor unserem Abendessen sind noch mehr als 1300Hm zu meistern.

Wieder an der Plattkofelhütte haben wir davon bereits die Hälfte absolviert. Die Knie schmerzen schon. Wir gönnen uns eine letzte Stärkung und brechen auf. Mika hat auf der Karte einen günstigeren Abstiegsweg gefunden. Da wir nicht mit der Bahn hinunterfahren werden, können wir auf die Kapriolen des Rundweges verzichten und einen Bogen über die Zällinger Hütte drehen. Der Kiesweg dort ist befahrbar, vielleicht nimmt uns ein Kfz mit zur Talstation. Doch dem ist nicht so. Auf der landschaftlich schönen, aber für uns qualvollen Strecke, treffen wir lediglich auf einige Mountainbiker, die bergab an uns vorbeibrettern. Die Knie knirschen und die Schuhsohlen haben sich längst in Seide verwandelt, als wir uns nach mehr als drei Stunden endlich dem Ziel auf Sicht nähern. Da steht der Wagen, ich habe beinahe Angst, überhaupt nicht mehr anhalten zu können, so sehr habe ich mich in eine Art Stumpfsinn hineingelaufen. Elf Stunden, das war wohl unsere härteste Tour bis dato. Morgen wird ausgeschlafen. Keine große Expedition, nur ein wenig in der Sonne faulenzen. Mit durchgestreckten Knien…

Fazit: Frag niemanden nach den Bedingungen am Berg, der nicht selbst kürzlich oben gewesen ist. Wer Angst vor Schnee hat, sollte Pickel und Eisen nicht im Auto lassen!

 

Tag 5: Historische Route auf den Col di Lana

Gipfel: Piz Ciampai (2292m), Monte Sief (2424m), Col di Lana (2462m)
Ausgangspunkt: Valparola Pass
Herausforderungen:
Höhendifferenz: 450m
Gesamtdauer: 7h

Historische Route auf den Col di Lana

Massiv ausgeschlafen und mit vollgeschlagenen Bäuchlein haben wir uns von St. Christina zum Valparola Pass hoch über Alta Badia begeben. Dies scheint uns der perfekte Ort für unsere heutige Faulenzertour zu sein. Auf mehr als 2100m ü.NN gelegen ist der Pass eine gute Ausgangsbasis für einige billige Zweitausender – wie beispielsweise den flotten Hexenstein, den wir bereits vor sechs Jahren eingesackt haben. Nach der gestrigen soweit-die-Füße-tragen-Tour möchten wir heute weder weit noch hoch steigen und uns idealerweise den lieben langen Tag auf einem gemütlichen Hügelchen in der Sonne räkeln. Kleines Kuriosum: anscheinend haben meine beiden Wanderstöcke ihre Spitzen eingebüßt, was nur gestern auf der Plattkofeltour geschehen sein kann. Ich fürchte, sie werden sich nun nicht mehr so bereitwillig in den Boden bohren.

Wir lassen den Wagen am Bunker unterhalb des Hexenstein stehen und bummeln ein Stück die Straße hinunter zur Passhütte. Zu unserer Verzückung hat Mika auf seiner Karte entdeckt, dass die 2292m hohe Anhöhe hinter der Hütte bereits einen Namen trägt: Piz Ciampai. Welch ein Paradies für rechtschaffene Gipfelsammler. Wir folgen einem Pfad links der Hütte um einen Hügel herum und sehen unser Ziel schon deutlich vor Augen: ein Gras- und Schotterberg mit einer vielleicht 30m hohen Felskrone. Wir traversieren links um den Berg herum, weil wir glauben, dass er von der Südseite einfacher zu bezwingen sein wird.

Der Trampelpfad führt allerdings schnurstracks am Berg vorbei, also schlagen wir uns nach rechts auf dem Grashang hinauf bis zu einem Zaun, dem wir nach Piz Ciampai Gipfel - links Laguazoi, rechts der HexensteinNorden folgen. Ab und an sind Fußspuren zu erkennen, die allerdings partout nicht zu einem Pfad zusammenwachsen wollen. Bald lugt das kleine Gipfelkreuz hervor, nach etwas Kraxelei und Schottertreten haben wir das Ziel unserer Begierde erreicht. Mit 40 Minuten Gehzeit war dies sicherlich eine unserer kürzeren Besteigungen. Die Aussicht ist dennoch nicht zu unterschätzen: im Norden blicken wir auf das Conturines-Massiv, im Nordosten thronen die hohen Wände des Lagazuoi, daneben die Tofana di Rozes. Im Westen der Hexenstein und weit entfernt Sorapiss, Civetta, Antelao. Gebiete, die wir noch nicht besucht haben, auch weil sie für Bergwanderer viel weniger erschlossen zu sein scheinen als Rosengarten, Sextener Dolomiten etc. Im Süden blicken wir auf Col di Lana – den gesprengten Berg – sowie die Felsrampen von Monte Castello und Sattsass.

Da es bereits Mittagszeit ist, ziehen auch leider schon wieder dickere Wolken auf und der auffrischende Wind macht das Herumgammeln auf unserem Gipfel Heikle Stelle auf dem langen Weg zum Col di Lana (Hintergrund halbrechts)nicht gerade gemütlich. Wir beschließen daher entgegen all unserer guten Vorsätze, unsere Tour weiter auszudehnen und dem Col di Lana unsere Aufwartung zu machen. Dazu steigen wir zurück bis zu unserem Weg, dem wir ein kurzes Stück wieder nach Nordwesten folgen, bis wir ihn nach rechts zugunsten eines tieferliegenden Pfades verlassen. Auf diesem nähern wir uns nun zwischen den Felswänden des Monte Castello und dem Castello-Wäldchen leicht ansteigend unserem Ziel. Oder auch nicht. Immer wieder die Silhouette des Doppelberges Col die Lana/Monte Sief betrachtend, haben wir den Eindruck, Im Schützengraben zum Gipfel des Monte Siefdass diese kein Stück näherkommt. Von Weitem sah das alles nicht so weit aus. Man verschätzt sich leicht bei Entfernungen in den Bergen, besonders, wenn man nur eine Karte im Maßstab 1:50000 zur Hand hat.
So vergehen locker zwei Stunden, bis wir endlich das Ende der langen Felswand zu unserer Rechten erreicht haben und der sanfte Nordostkamm des Monte Sief vor uns um seine Besteigung bettelt. Etwa 200Hm müssen wir überwinden, was uns angesichts müder Knochen gar nicht so trivial erscheint. Gras und dunkler Schiefer dominieren den breiten Grat und bald treffen wir auf den gemauerten Schützengraben aus dem Ersten Weltkrieg, in dessen Eingeweiden wir weiter hinauf steigen zum Gipfel (2424m).

Eine kleine Gedenktafel erinnert an die Absurditäten, die sich hier vor mehr als 90 Jahren zugetragen haben und hunderte junger Männer das Leben kostete. Monte Sief Gipfel - Blick auf Col di LanaNoch eindrucksvoller, weil noch greifbarer, sind die Folgen auf der Südostseite des Gipfel zu sehen: hier hat die Sprengung durch italienische Truppen ein bizarres, künstliches Joch in den Verbindungsgrat zum Col die Lana gerissen. Auch der Col di Lana vis-a-vis war Ziel einer Sprengung, bei der Teile des Gipfels umdekoriert wurden, nur scheinen uns die Spuren nicht so augenfällig wie beim Sief.
Gegen drei Uhr nachmittags entscheiden wir uns, den Col di Lana auch noch abzuklappern. Ein gesicherter Steig trägt uns durch die gesprengte Depression Gipfelblick vom Monte Sief nach Nordenhindurch und hinauf zu einer Art künstlichem Mittelgipfel. Es beginnt leicht zu regnen, doch trotz kurzer Kletterpassagen können wir attestieren, dass der Weg sehr touristenfreundlich ausgebaut und gesichert ist.Das herausgebombte Joch am Sief Sollte der Regen stärker werden, so hätten wir die Möglichkeit, uns in dem langen, restaurierten Unterstand oder in einer der zahlreichen Höhlen auf dem Grat zu verkrümeln. Nach einer halben Stunde passieren wir die Gedenkkapelle am Südrand des Gipfels und Sekunden später haben wir den höchsten Punkt unserer heutigen Tour erklommen und beglückwünschen uns zu unserer erfolgreichen 3-Gipfeltour, die eigentlich ein Spaziergang werden sollte. Der Blick vom Col di Lana bietet im Vergleich zu seinem Nachbarn nicht viel Neues. Unterhalb des Kreuzes hat sich über die Jahre ein Haufen von Kriegsschrott angesammelt.

Wir möchten nicht durch den Wald absteigen und Höhe verlieren, daher machen wir auf dem gleichen Weg wieder kehrt. Der glückhafte Mika findet auf dem Grat eine vollständig erhaltene Patrone, ein sicherlich gehaltvolleres Andenken als der Müll, den es überall in den Souvenirshops zu kaufen gibt. Ein paar Schauer und auch Sonnenstrahlen gilt es noch zu überstehen, bis wir wieder am Parkplatz eintrudeln. Sieben Stunden, das war immer noch eine unsere kürzeren Touren in diesem Jahr. Da können wir es morgen mal wieder ordentlich krachen lassen!

Fazit: drei Gipfel für die Statistik und die behagliche Erkenntnis, in einem einigermaßen zivilisierten Europa leben zu dürfen.

 


 

Tag 6: Besteigung La Varella (Fanes)

Gipfel: La Varella (3055m)
Ausgangspunkt: Capanna Alpina
Herausforderungen: leichte Gratkletterei am Gipfel
Höhendifferenz: 1350m
Gesamtdauer: 8h50m

Besteigung La Varella (Fanes)

Nachdem der gestrige ‚Ruhetag‘ länger als erwartet ausgefallen war, haben wir für heute eine weitere Kleintour geplant. So glauben wir, morgen wieder frisch genug zu sein, um unseren nächsten Dreitausender mit neuem Elan angehen zu können. Mika hat uns mit Hilfe seiner Kompasskarte ein nettes Gipfelchen Früh am Morgen und die Sella dampftin der Fanesgruppe ausgeguckt, die Cima di Lago (2650m). Sie ist nur einen Katzensprung von der Alpinahütte entfernt. Diese liegt bereits auf mehr als 1700 Meereshöhe und ist mit dem Wagen in wenigen Minuten von St. Kassian erreichbar.
Gegen neun Uhr starten wir vom Parkplatz an der Alpinahütte (berühmt ob ihrer Männeken-piss-Wasserpumpe). Auf dem gut ausgebauten Weg mit der Nummer 11 winden wir uns der schneidigen Cima di Lago entgegen, die von dieser Seite offenbar nicht so einfach zu besteigen ist. Wir treffen zwei Arbeiter beim Pflastern des Pfades. Um uns die Zeit während des etwas drögen Aufstiegs zu vertreiben, proben wir die Live-Übertragung unseres Abenteuers via eines imaginären Alpenreport-Radiosenders (demnächst auf dieser Website?).

Schließlich erreichen wir einen Pass (Col di Laggio, 2060m) mit hübscher Aussichtsplattform und einer Plethora an bovinen Exkrementen. Ein paar andere Teams sind ebenfalls unterwegs. Nach der einsamen Wanderung gestern treffen wir zu unserer Überraschung heute fast nur auf Frauen. Eine eingängigere Cima di LagoPrüfung von Michaels Karte lässt plötzlich Zweifel an der Durchführbarkeit unserer Unternehmung aufkeimen . Bei Tageslicht betrachtet, scheint der angedachte Weg nicht über den Gipfel der Cima di Lago zu führen, sondern über eine Scharte südlich und dann wieder hinunter zur Hütte. Meine Karte zeigt überhaupt keinen Weg, etwas anderes habe ich von ihr nicht erwartet, ist es doch die 1:50000 Version von Tabacco. Traue keinem Raucher.
Wir beschließen, uns die Sache einmal von hinten anzusehen und folgen dem Weg Nr.11 weiter in Richtung Nordosten durch das Compestrin-Tal. Ein paar An- und Abstiege später überbrücken wir ein Bächlein und finden uns in einer weiten Ebene wieder. Links die Cunturines, rechts die Faneskette, vor uns plattes Land – fast als wäre dies einmal der Grund eines nun ausgetrockneten Sees gewesen. Rechts geht bald unser Weg zur Cima ab. Wir setzen uns auf ein Holzbänkchen und peilen die Lage. Die Cima di Lago sieht von hier nicht viel weniger abweisend aus. Vielleicht kann man von der benachbarten Scharte auf den Gipfel kraxeln, vielleicht nicht.

Es gibt eine Alternative. Eine harte zwar, aber nördlich von uns befindet sich ein bekannter Dreitausender, der früher schon einmal auf unserer Einkaufsliste stand: die Varella am südlichen Rand der Kreuzkofelgruppe, jenes faszinierenden Kratergebirges, dessen Westwand so unvergleichlich über Alta Badia thront. Anstatt die Varella über den ekelhaften Schottertrog oberhalb von La Villa zu besteigen, besteht auch die Möglichkeit, dies quasi von hinten durch ein langgestrecktes Tal von der Fanesalpe kommend zu tun. Der Taleingang ist nicht allzu weit entfernt, doch danach erwarten uns noch einmal 1000 Höhenmeter Quälerei und das heutige Wetter lässt uns auch keine Puzelbäume schlagen.
Eine Entscheidung muss her. Ehre und Bequemlichkeit, so lauten die Namen der beiden Kontrahenten, die in unseren Köpfen eine erregte Debatte führen. Am Ende siegt die Ehre: ein Dreitausender im Sack ist immer noch besser als tatenlos an einem Zweitausender vorbeimarschieren zu müssen. Die müden Knochen Am Cunturines Seekönnen sich zuhause im Büro erholen. Eine aufdringliche Kuh macht uns plötzlich Avancen und somit Beine. Wir treffen noch ein paar Damen (heute muss Frauentag sein), bevor wir die Abzweigung in unser Tal erreichen. Wir sind sicher, ab hier niemandem mehr zu begegnen. Bedauerlicherweise hängen die Gipfel im Nebel und wir können den weiteren Talverlauf nur erahnen. Es geht aufwärts, soviel ist sicher. Die Latschenzone weicht der Schotterzone, wir erreichen eine gut ausgeprägte Stufe. Ich mache eine Weile den Führer, bis wir den Cunturines-See (2518m) erreichen und mit ihm das erste Firnfeld. Wir passieren abgebrochene Platten zu unserer Rechten und überqueren mehr und mehr Schneefelder.

Es beginnt zu regnen und zu donnern. Offenbar tobt auf der anderen Seite des Talschlusses ein Gewitter. Der Weg scheint sich zu teilen. Rechts führen blasse Markierungen durch felsiges Gelände auf ein Schotterband, vor uns erkennen wir Markierungen und Steinmänner, die gelegentlich aus dem Schnee ragen. Am Joch zwischen La Varella und Les Cunturines (im Hintergrund)Wir vermuten, dass sich beide Wege vor dem Pass wieder wieder vereinen und vertrauen den frischer aussehenden Markern im Schnee. Zum Glück erweisen sich die Firnfelder nicht als so steil, wie von unten befürchtet und wir kommen recht gut voran. Am Ende überwinden wir einen Schotterhügel, traversieren ein weiteres Schneefeld und haben schließlich den Pass zwischen dem knubbeligen Gipfel des Cunturines und unserem Ziel La Varella erreicht. Der Cunturines ist von hier aus auf einem gesicherten Steig erreichbar. Wir wenden uns jedoch nach rechts in Richtung Varella. Erfreut nehmen wir zur Kenntnis, dass der Nebel über den Gipfeln wieder aufgezogen ist. Auch die Regenschauer haben sich verkrümelt.

Über ein rutschiges Schotterfeld und ein enges Felsband erreichen wir endlich den Gipfelgrat. Überraschenderweise gibt es hier oben zwei höchste Der 'falsche' (West-)GipfelErhebungen, eine im Westen, die andere im Osten. Die westliche trägt das größere Kreuz, obwohl sie niedriger zu sein scheint. Dies muss der Marketinggipfel sein, der vom Tal sichtbar sein soll. Frohen Mutes bewege ich mich auf den Westgipfel zu, um schnell zu bemerken, dass der Weg äußerst rutschig und ausgesetzt ist. Ein Vorgipfel ist zu erklimmen, danach folgt eine haarige Traverse zum Gipfel. Wir finden, dass der Westgipfel das Risiko nicht wert ist und gehen lieber den Hauptgipfel an. Nach kurzer Kraxelei gelangen wir auf einen langen Grat – wir haben Glück, dass an den Schlüsselstellen kein Firnschnee im Weg liegt. Am Ende befindet sich das kleine aber feine, personalisierte Kreuz.
Vom Kreuzkofelmassiv im Norden ist nichts zu sehen, alles ist mit einem Male in Wolken gehüllt und wieder erhebt sich Donnergrollen. Das Gewitter scheint Der wahre Gipfel mit dem wahren Stevieuns einhüllen zu wollen. Pronto rápido schießen wir die obligatorischen Gipfelfotos und machen so schnell wie möglich, dass wir wieder runter kommen. Auf einem exponierten Grat gerät man zu einer leichten Zielscheibe für elektrostatische Entladungen. In Windeseile klettern wir zurück, traversieren den Sims und schottern uns in Sicherheit. Das Gewitter folgt uns offenbar nicht. Zeit zum Aufatmen. Fünf Stunden haben wir in den Aufstieg investiert, um gerade eine einzige Minute auf dem Gipfel zu verbringen – da zeigt sich wieder einmal, dass beim Bergsteigen in erster Linie der Weg das Ziel darstellt.

Unglücklicherweise müssen wir den selben Weg wieder zurück ins Tal nehmen, alle anderen wären zu weit oder zu unkomfortabel. Das hat zumindest den Vorteil, dass der Weg uns – nun, da wir ihn kennen – kürzer vorkommen wird – eine Erkenntnis, die sich immer wieder bewahrheitet. Wir wissen aber auch, was uns nun erwartet – 1300 Höhenmeter für unsere geplagten Knie, so dass wir nicht fürchten müssen, dass uns die Zeit des Absteiges allzu kurz vorkommen wird.

Für morgen planen wir einen richtigen Ruhetag.

Fazit: ein beeindruckender Berg. Die Tour war eher aus der Not heraus geboren, sicherlich wäre eine Übersteigung sinnvoller gewesen (z.B. als Rundtour mit Fanes- oder La Varella-Hütte Ausgangsbasis)

 

Tag 8: Besteigung Cristallino (Versuch)

Gipfel: blindtext
Ausgangspunkt: blindtext
Herausforderungen: blindtext
Höhendifferenz: blindtext
Gesamtdauer: blindtext

Besteigung Cristallino (Versuch)

 

9.Tag: Speikboden Rundtour im Ahrntal

Gipfel: Speikboden (2517m), Seewassernock (2433m), Große Nock (2400m), Kleine Nock (2227m)
Ausgangspunkt: Bergstation Speikbodenbahn
Herausforderungen: Fehlende Privatsphäre
Höhendifferenz: 550m
Gesamtdauer: 5h (inkl. Gammelpausen)

Speikboden Rundtour im Ahrntal

Wo sind denn die Tage sieben und acht geblieben, wird sich der aufmerksame Leser (von denen es im Internetzeitalter vermutlich nur noch wenige gibt) nun fragen. Wie nach unserer La Varella Tour angekündigt, haben wir am siebten Tag geruht. Aus Gründen, die im Nachhinein nicht mehr zwingend logisch erscheinen, begaben wir uns dafür in ein teures und wenig komfortables Hotel am Misurinasee. Unsere Absicht war wohl, uns dort am See in wunderbarem Ambiente zwischen Drei Zinnen und Sorapis faul wie Schrofenlurche in der Sonne zu räkeln. Dieser Plan wurde von frischen Temperaturen und sintflutartigen Regenschauern rasch vereitelt und so blieb immerhin ein Besuch in Cortina d’Ampezzo und die lang vermisste Siesta im Hotelzimmer. Hauptsache Ruhe.

Für den achten Tag erdachten wir uns eine Besteigung des Cristallino, eines Gipfelchens am Nordostrand des imposanten Cristallo-Massivs. Nach einer malerischen Wanderung zum Fuß des Berges sollten wir jedoch bald an einer verschneiten Rinne scheitern. Zu mühsam und langwierig schien uns dieses Unterfangen. Immerhin hatten wir reichlich Sonnenschein zu verzeichnen und ich nutzte diese seltene Gelegenheit, meinen vom englischen Sommer weiß gewordenen Oberkörper großflächig zu verbrennen. Wenn man schon mal in Italien ist. Noch am selben Tag verließen wir die Dolomiten. Mika hatte mittlerweile bei der Brenta angerufen (genauer gesagt im Büro der Brenta) und erfahren, was wir schon geahnt hatten: fast alle Eisenwege sind nach wie vor eingeschneit. Ein wenig paradox, dass im Süden mehr Schnee liegen soll als im Norden. Wir jedenfalls fuhren gen Norden ins Ahrntal, wo die Berge weniger lotrecht in die Höhe schießen als in der Brenta, aber dafür komfortabler zu besteigen sind und ein wenig Schnee noch nicht automatisch einen Misserfolg nach sich zieht.

Von der Höhe brauchen sich die Ahrntaler Berge nicht vor den Dolomiten zu verstecken – das Tal wird im Norden durch dicke Brummer wie die Speikboden (Hintergrund) und die Bergstation, fast ein Dorf für sichDreiherrenspitze, den Großen Möseler und den Hochfeiler begrenzt. Alle um die 3500m hoch gewachsen und selbst von Süden her vergletschert. Natürlich haben wir den Hochfeiler als Finale unserer diesjährigen Tour noch nicht vergessen und werden in den nächsten Tagen (hoffentlich) Gelegenheit haben, seine Südseite eingängig zu studieren. Den Namen ‚Ahrntal‘ werde ich als Sammelbegriff für viele kleinere Täler benutzen. Hauptort ist Sand in Taufers. Hier haben wir in der Pension Holzer eine preisgünstige und gut ausgestattete Unterkunft für die nächsten Tage gefunden, von der aus wir das neue Tal erkunden wollen – alles ist aufregend unbekannt.

Auf meiner neu erworbenen Ahrntalkarte habe ich pronto eine schöne Kennenlerntour für den heutigen Tag erspäht. Sand liegt nur etwa 1000 über NN. Einen Dreitausender von hier unten im Rahmen einer Tagestour zu besteigen, käme einem Trip in die Hölle wohl ziemlich nahe. Nördlich von Sand befindet sich jedoch die Speikboden Bahn, mit der man sich auf knapp 2000m Seehöhe aufschwingen kann. Über dem Restaurant- und Amüsierkomplex erhebt sich halbmondförmig das Speikbodenmassiv, dessen Hauptgipfel 2517m misst. Insgesamt vier Gipfel laden zu einer angeblich unschwierigen Rundtour mit grandioser Aussicht ein. Obwohl die Tour eher Halbtages-Charakter besitzen soll, finden wir uns so früh wie möglich bei der Bahn ein, denn für heute Mittag erwarten wir dicke Wolken und Menschenmassen.
Der Weg zum Speikboden ist in der Tat unschwierig. Zu Beginn folgen wir einem Kiesweg nach Süden, anschließend einem gut ausgebauten Plattenweg, der sich Erster Ausblick auf die Zillertaler Brockenüber den steiler werdenden Nordhang hinauf zu einem Joch schlängelt. Trotz geringer zu überwindender Höhendifferenz kommt mir der Anstieg recht anstrengend vor – da zeigt sich wieder einmal, dass die Anstrengung bei aerober Tätigkeit weitgehend unabhängig von ihrer Gesamtdauer ist. Will sagen, es macht von der Kondition her kaum einen Unterschied, ob man 500m oder 1500m hochsteigt. Diese Regel gilt nicht für den Abstieg, wie jeder weiß, der schon einmal über arthrithische Beschwerden geklagt hat.

Wir überhölen eine schwer übergewichtige Dame, die sich in Schildkrötentempo bergauf quält. Respekt. Der Gradient beruhigt sich bald und nach etwa 75 Minuten Gehzeit erklimmen wir den wenig spektakulären Gipfel von Südosten. Spektakulär dagegen ist die Aussicht – endlich erhalten wir einen Überblick Das obligatorische Gipfelfoto auf dem Speikiüber unser neues Urlaubsparadies. Im Süden erspähen wir unsere Dolomiten, Haunold, Marmolada und einige weitere Bekannte. Schließlich befinden wir uns lediglich auf der anderen Seite des Pustertals. Im Osten viele weiße Dreitausender, allen voran der Hochgall. Im Norden die Zillertaler Alpen. Wir haben Schwierigkeiten, unseren Hochfeiler zu identifzieren, denn dort oben tummeln sich bereits ausgedehnte Wolkenfelder. Leider ist das Wetter in diesem Jahr bislang relativ enttäuschend, nachdem die beiden letzten Urlaube im Schweizer Wallis so fantastisch verlaufen waren. Doch heuer ist es sehr wechselhaft und trügerisch und für längere Klettersteige oder richtige hochalpine Touren weitgehend ungeeignet. Aber es könnte sehr viel schlimmer sein, immerhin scheint hier 1000m weiter unten die Sonne und es ist bisher trocken.

Stundenlang könnte man nun hier sitzen und all die unbekannten Berge in der Ferne zu identifizieren versuchen, doch allmählich füllt sich der Gipfel und wir haben noch einen Job zu erledigen – drei weitere Gipfel für die Statistik. Der weitere Weg liegt bogenförmig vor uns ausgebreitet, wir werden ihn Typisches Terrain auf dem Grat - der Weg ist mit Platten erosionssicher angelegtnicht verfehlen können. Ein paar hundert Meter westlich führt er über den Nebenipfel des Speikboden, dann schwenkt er nach Norden, absteigend jedoch stets gepflastert wie ein Vorgartenweg. Mit Hilfe unserer Höhenmesser bemühen wir uns, den zweiten Gipfel (Seewassernock) ausfindig zu machen – er ist schlecht definiert und nur einer von mehreren Höhenpunkten auf dem Grat. Zählt trotzdem als Gipfel, Mika hat sich so sehr auf eine Viergipfeltour gefreut. Wir legen wieder eine dicke Pause ein. Schön zu wissen, dass man nicht hetzen muss.
Gemütlich geht der Fußmarsch weiter. Viele Leute kommen uns nun entgegen. Beinahe sind wir an unserem dritten Gipfelziel, der Großen Nock, Insektenangriff auf der Kleinen Nockvorbeigelatscht. Offenbar führt der offizielle Plattenweg nicht über den Gipfel. Wir beschließen, seine Südflanke wild hochzukraxeln. Da wir uns nicht einigen können, ob über den Grashang oder über Felsbrocken, starten wir ein Wettrennen: Mika hackt sich mit Stöcken die grüne Piste hinauf, ich versuche mein Glück mit den Bouldern. Das gibt Michael einen Vorsprung, da ich zunächst meine Stöcke im Rucksack verstauen muss, um die Hände frei zu haben. Ich gebe auf dem griffigen Fels alles und erreiche den Gipfel mit Puls 190 aber vor dem ebenfalls keuchenden Mika. Ein Steinhaufen markiert den Gipfel, der sicherlich wenig besucht wird. Zeit für eine ausgiebige Pause.

Beim Abstieg entscheidet Mika das Rennen um Haaresbreite für sich. Wir haben zwar in der Schule gelernt, dass alle Körper im Schwerefeld der Erde gleich beschleunigt werden. Im wirklichen Leben jedoch – unter dem Einfluss von Luft- und Bodenreibung – rollen schwere Körper eben doch schneller als leichte. Das war jedenfalls eine nette Einlage im Rahmen einer sonst wenig abenteuerlichen Tour. Der Plattenweg weicht schließlich einem Trampelpfad, wir überqueren einen namenlosen Höhenpunkt mit Schwester-Monika-Gedenktafel und Schulklassenfreundliches Ahrntalerreichen letztlich das abschließende Ziel, die Kleine Nock (2227m), Eine Schulklasse hat sich um das riesige, talwärtsgewandte Marketingkreuz versammelt. Fliegen und Bienen besummen uns penetrant. Eine Dusche tut mal wieder Not. Eine letzte Pause, dann gehen wir ein Stück zurück, halten uns bei nächster Gelegenheit links und steigen ein kurzes Waldstück hinunter bis zur Bergstation der Bahn. Es ist noch früher Nachmittag, wir ‚chillen‘ bei einer Limonade auf der Terrasse des Restaurants ‚out‘. Ein lustiges Schild neben einer Abfalltonne weist uns an ‚Eigener Müll einwerfen verboten‘. Ob es wohl statthaft ist, dass ich Mikas Müll dort einwerfe und er den meinen? Wir überlegen, was wir morgen machen werden. Heiß genug auf einen Dreitausender sind wir mit Sicherheit. Doch alles hängt im Wesentlichen vom Wetter ab.

Fazit: eine schöne Kennenlerntour. Man kann diese Tour sicherlich in 3h bis 3.5h absolvieren, dann versäumt man allerdings die erstaunlich gute Aussicht.

11.Tag: Die Napfspitze im Schatten des Hochfeiler

Gipfel: Pfeifholder Spitze (2862m), Napfspitze (2888m)
Ausgangspunkt: Neves Stausee
Herausforderungen: Nässe
Höhendifferenz: 1000m
Gesamtdauer: 8h20m (inkl. Aussitzen auf der Edelrauthütte)

Die Napfspitze im Schatten des Hochfeiler

Die Wettergeister haben uns momentan verlassen. Entgegen der Versicherung unserer Wirtin, im Ahrntal regne es nicht gerne, tat es dies gestern ausgiebig und ohne offenkundigen Widerwillen seitens der tiefhängenden Wolken. Unsere versuchte Tour auf den Gipfel des Rauchkofel im Durreckmassiv, das sich Dusche auf der Breitrastöstlich von Sand aus der Wiese erhebt, endete nach Seilbahnfahrt von Steinhaus und kurzem Waldspaziergang auf der Breitrast, einem 2098m hohen Aussichtsposten. Indes, Aussicht gab es keine zu genießen und so traten wir im Dauerregen frustriert den Rückzug an. Am Nachmittag machten wir uns in einem Sportladen in Sand über das Wetter der kommenden Tage schlau – mittels Internet-Pay-PC. Aussagen wie ‚im Ahrntal regnet es nicht gern‘ erscheinen uns im Satellitenzeitalter unnötig schwammig. Die Aussicht war mittelfristig ermutigend, wenn wir auch nicht das Wetter vorfinden werden, welches wir uns für die Hochfeilerbesteigung gewünscht hatten. Rasch beschließen wir, das schlechte Wetter hier im gemütlichen Ahrntal auszusitzen und statt des Hochfeilers lieber noch ein paar einfache Dreitausender abzuklappern.

Heute müssen wir laut Wetterprognose noch einmal ziemlich tapfer sein. Nichts desto trotz haben wir uns für eine Tour entschlossen. Im Nordwesten des Ahrntals befindet sich ein hochgelegenes, künstliches Gewässer: der Neves-Stausee. Westlich davon liegt das Pfeifholdertal, an dessen Kopf die Edelrauthütte (2545m), die wir schon vom Speikboden aus erblickt und anfangs irrtümlich für die Hochfeilerhütte gehalten hatten. Diese Hütte wollen wir erreichen, näher werden wir dem Hochfeiler in diesem Jahr wahrscheinlich nicht mehr kommen. Wenn möglich, gedenken wir außerdem die 2888m hohe Napfspitze – den Hüttenberg sozusagen – mitzunehmen.

Wir parken am Ende der mautpflichtigen Straße am östlichen Seeufer. Auf unserem Weg in das Pfeifholder Tal umrunden wir den halben See im umgekehrten Uhrzeigersinn. Der See scheint zur Zeit sehr wenig Wasser zu führen, offenbar hat es in dieser Region während der letzten Wochen tatsächlich relativ Blick hinauf ins Pfeifholder Talwenig geregnet. Auch heute ist es bislang trocken, doch die Wolken hängen tief und dunkel über den Bergen des Ahrntals. Auf der Westseite des Sees bringt uns dann ein gut ausgebauter Pfad mit der Nummer 25 auf Höhe. Wir vertreiben uns die Zeit während des bei der hohen Luftfeuchtigkeit recht schweißtreibenden Anstieges mit dem Ersinnen unreifer Wortspielchen. Endlich verlassen wir den Wald und betreten das Hochtal. Gras dominiert nun das Terrain, rechts und links von uns Felswände, doch die Gipfel liegen weiterhin im Nebel. Der Pfad wird zunehmend schottriger, wir treffen auf einige Schneefelder, überqueren den Talbach und kraxeln kurzfristig über Klötze einen Absatz hinauf. Die Hütte erscheint auf dem Radar. Es beginnt zu regnen, das war abzusehen. Nach gut zwei Stunden Gehzeit haben wir die Hütte erreicht. An einem schöneren Tag hätten wir sie vielleicht kaum wahrgenommen, wären im besten Falle auf ein Limonädchen eingekehrt – doch heute ist dieses Rifugio am Eisbruggjoch im wahrsten Sinne des Wortes eine Zuflucht, eine Oase.

Wir platzieren unsere nassen Klamotten im beheizten Schränkchen und machen es uns in der Gaststube gemütlich. Ein einziges Lächeln der süßen Hüttenwirtin macht alle Unbilden des Wetters mit einem Schlag vergessen. Ein heißes Süppchen mit Riesenbockwürstl weckt die Lebensgeister. Nun müsste nur noch der Hüttenalltag auf der Edelrauthüttegeisterhafte Nebel aufziehen und den Blick auf die schneebedeckte Weißzint im Norden freigeben. Doch Fehlanzeige, es bleibt trübe und regnerisch. Das große Warten beginnnt. Die Gaststube füllt sich mehr und mehr mit Wanderern aus aller Herren Länder. Eine Gruppe berichtet, sie sei soeben im Schneetreiben vom Gliederferner Gletscher abgestiegen, GPS sei dank hätten sie den Rückweg noch gefunden. Von solcherlei Dramatik wagen Mika und ich heute nicht zu träumen, wir würden uns schon mit der Besteigung der hoffentlich eisfreien Napfspitze zufrieden geben. Wir warten und warten vergeblich auf ein himmlisches Zeichen. Schließlich beginnt das Rechnen. Ab wann lohnt es sich zeitlich nicht mehr, eine Besteigung anzugehen? Wir kalkulieren einen Termin, an dem wir aufbrechen werden, wohin auch immer.

Ist es nicht verblüffend, dass wir uns den Planeten, auf dem wir leben, in fast allen Belangen nach unseren Wünschen umgebastelt haben und dennoch nicht den geringsten Einfluss auf das Wetter zu nehmen vermögen? Wir bemühen uns, die Erde nach unseren Ansprüchen und unserem Komfort umzugestalten, wo es nur geht. Dennoch versuchen wir nicht einmal ernsthaft, uns gegen das offenbar unvermeidliche von oben zu stemmen – gegen Missernten, Stürme und verregnete Wochenenden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zwar sind die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, denen die atmosphärische Dynamik unterliegt, hinreichend bekannt, doch sind die Zusammenhänge komplex und unsere mathematischen Modelle instabil gegen kleinste Variationen. Soll heißen, das Wetter folgt weitgehend chaotischen Mustern. Es wäre unverantwortlich, das Wetter beeinflussen zu wollen, wenn wir nicht einmal das Wetter der nächsten Woche mit Sicherheit vorherberechnen können. Gesetzt den Fall, wir würden diese Hürde eines Tages überwinden – welcher Authorität würde es zustehen, das kommende Wetter festzulegen? Lokalen Behörden? Aufstieg zur Napfspitze im NebelPrivaten Anbietern? Regierungsorganen? Landwirte haben meist eine unterschiedliche Vorstellung vom Begriff des „guten Wetters“ als Touristen und das Wetter macht nicht vor menschengegebenen Grenzen halt. Interessenkonflikte und Kriege wären eine logische Folgeerscheinung der Wettermacherei. Zumal die Energie, die z.B. zu einer großräumigen Ablenkung eines atlantischen Sturmtiefs nötig wäre, beim heutigen Stand der Technik nur durch thermonukleare Detonationen in der Erdatmosphäre aufzubringen wäre. So werden wir wohl auf absehbare Zeit nicht müde werden, uns in oberflächlichen Konversationen ausgiebig über das Wetter zu beklagen. Oder im lange herbeigesehnten Bergurlaub.

Nach circa zweieinhalb Stunden Wartezeit ist es soweit – wir brechen auf zur Napfspitze. Wir haben uns einen Höhepunkt verdient, denken wir uns. Auf meiner Ahrntalkarte ist der Weg zur Spitze als „Nur für Geübte“ deklariert, laut Hüttenengelchen sei es jedoch ein ganz normaler Bergpfad. Während wir den Südgrat erklimmen, zieht es tatsächlich ein wenig auf und wir können auf die Hütte und den westlich davon gelegenen Eisbruggsee hinunterschauen. Der Pfad ist gut markiert und führt im Wesentlichen über grobes Blockwerk. Teilweise rutschig heute, doch wenig ausgesetzt. Gipfelkreuz mit freundlicher Mithilfe der Bergfreunde NapfspitzeNach einer guten halben Stunde anstrengenden Pumpens stehen wir auf dem Gipfel der Pfeifholder Spitze, eher ein Nebengipfel der Napfspitze und nur wenige Meter vom Hauptweg entfernt (sonst hätten wir sie im Nebel glatt übersehen). Am Joch treffen wir auf eine Gruppe aus Tschechien, die ebenfalls in der Hütte Zuflucht gesucht hatte und offenbar vor uns zum Gipfel aufgebrochen war, Blick auf den Weißzint - die Edelrauthütte liegt im Nebel links von der MitteDavon abgesehen ist es hier oben am heutigen Tage aus naheliegenden Gründen ziemlich einsam. Ein paar rutschige Stellen liegen noch vor uns, bis wir das Gipfelkreuz der Napfspitze erreicht haben. Anscheinend besitzt dieser Berg einen organisierten Fanclub, so lässt wenigstens die Inschrift auf dem Kreuz vermuten. Wir versuchen uns vorzustellen, welchen Reiz dieser Berg bei gutem Wetter versprüht. Nicht so einfach. Es regnet mittlerweile wieder. Im Osten kommt dennoch kurz einmal die entfernte Spitze des Seebergl in Sicht. Offenbar gibt es hier oben ein größeres Geflecht an Graten, das zu erforschen bei Kaiserwetter sicherlich eine plaisierliche Aufgabe wäre.

Wir entscheiden uns für einen zeitigen Abstieg. Wieder einmal über den gleichen Weg, weil er einfach der Kürzeste ist. Wir passieren die Hütte, in der sicherlich business as usual herrschen wird. Wanderer kommen und gehen. Ein großes Radler und eine Leberknödelsuppe bitte. Wir haben nur 0,4. Ist da Gluten drin? Nee, Alkohol. Im Zuge unseres Abstieges wird es trockener und als wir Stunden später mit dem Wagen zurück ins Haupttal nach Sand fahren, scheint dort bereits die Sonne. Wir wollen dies nicht als Hohn verstehen, sondern als ein gutes Omen für den morgigen Tag.

Fazit: für einen grauenhaften Tag nicht allzu grauenhaft

12.Tag: Besteigung der Dreieckspitze

Gipfel: Dreieckspitze (3031m)
Ausgangspunkt: Rein in Taufers
Herausforderungen: Firn- und Neuschnee
Höhendifferenz: 1400m
Gesamtdauer: 8h45m

Besteigung der Dreieckspitze

Lange haben wir ausharren müssen, doch endlich ist es soweit: das allwissende Internet hat uns für heute Dreitausenderwetter prophezeit – und hier ist es. Um kurz nach neun verlassen wir den Parkplatz am Ende des Dörfchens Rein im Ahrntal (genauer gesagt im Reintal) zu Fuß über eine Fahrstraße gen Süden. Die Morgensonne strahlt von einem blauen Himmel. Nach zwei grauen Tagen erscheint alles in einem neuen Licht. Die Berge der Durreckguppe im Nordwesten sind in zartes Weiß getaucht. Während ein Wolkenbruch in der letzten Nacht das Dorffest in Sand weggeduscht hat, fiel oberhalb von etwa 2500m Neuschnee. Wie sich dieses Faktum auf unsere Besteigung der Dreieckspitze auswirken wird, vermögen wir nicht zu beurteilen. Doch schon wegen der dieser Tage permanent zu fürchtenden Wetterkapriolen haben wir bereits gestern eine Hinterhand-Alternative ausgeklügelt: auf halbem Wege zum Dreitausender liegt der Gipfel der oder des Stutennock, 300m kürzer und vermutlich weniger Fotosession-tauglich als das Original, aber besser als mit leeren Händen zurückzukehren.

Ein unidyllischer LKW mit Bauschutt fährt uns beinahe platt, ehe wir nach einer S-Kurve den Wald erreichen und ein Fußweg (8A) hinter einem Gatter nach links abzweigt. Auf dem ansteigenden Pfad und in der Restfeuchte der letzten Tage wird uns bald warm. Ich bin vermutlich noch nicht wach, denn ich träume, Hochgall von den Kofleralmen aus gesehen eine hinreißende junge Lady spricht mich an und bereitet vor mir einen Tisch mit den Vorzügen der Dreieckspitze. Eine Schulklasse überholen wir auch, die ist wahrscheinlich real. Nach einer knappen Stunde Gehzeit entern wir eine Lichtung im Wald – hier stehen einige Gebäude – die Untere Kofleralm. Prachtvolle Blicke nach Süden tun sich auf – die Rieserfernergruppe mit dem oder der dominanten Hochgall. Nicht nur die Gletscher, sondern auch die Felsgrate sind heute weiß gezeichnet. Wir denken bei dem Anblick unwillkürlich an die 1000m höheren Brocken im Schweizer Wallis. Endlich verabschieden wir uns vom Wald, an einem Wegkreuz biegen wir nach links ab, die meisten Mitwanderer verlassend, denn diese bleiben auf dem 8A und folgen einem der Rundwege um das Ursprungtal. Wir jedoch haben einen Gipfel auf der Wunschliste und nach der morgendlichen Vision von einem Engel weiß ich, dass es die Dreieckspitze sein wird.

Der Pfad steigt relativ gemütlich an, bald betreten wir eine Hochebene und folgen Trittspuren in Richtung Norden. Links von uns türmt sich der / die / das Stutennock auf, ein langgezogener Gratgipfel, der an anderer Stelle stehend sicherlich beeindruckt hätte, hier umgeben von weißen Dreitausendern Auf der Grasebene - Blick auf Lenksteinjedoch etwas verloren wirkt. Der Koflersee lädt zu einer längeren Pause ein. 600Hm gilt es noch zu Blick zurück auf den Koflersee und der / die / das Stutennockmeistern. Eine weitere Schulklasse rastet ebenfalls. Wir erfahren, dass die andere Gruppe, die wir im Wald überholt haben, ebenfalls dazu gehört. Offenbar ist am Lehrer ein Stratege vom Format Napoleons verloren gegangen. Ganz gewieft hat er seine Racker in zwei Gruppen eingeteilt – die Elite der Motivierten, die mit ihm voranrennt und die Gipfelbesteigung wagen wird und die Nachhut der Lustlosen und Fußkranken, die hinterherschnarcht. Sollte ein Mitglied der Elite unverhofft schlapp machen, bleibt es an Ort und Stelle, bis es von der Nachhut wie von einem Staubsauger absorbiert wird.

Napoleons Garde kleidet sich vor uns in die Puschen, was sich wiederum als taktisch günstig für Mika und mich erweist, denn auf dem Weg nach Westen bergauf zur Bärenluegscharte dominieren bald Schneefelder das Terrain und die kleinen Räuber (sie mögen so zwischen 12 und 15 Jahre alt sein) treten eine hübsche Spur Dreieckspitze von der Bärenluegschartefür uns, der wir hirnlos nachtrotten. In der Scharte angekommen, breitet sich zum ersten Male der ersehente Gipfel vor uns aus – eine neuschneegezuckerte Pyramide. Der Anstieg kann offensichtlich nicht frontal erfolgen, da zwischen uns und dem Berg noch die Spitze eines Hängetals Gipfelspaßliegt. Vielmehr konturt der Normalweg gegen den Uhrzeigersinn über ein steiles Schneefeld bis zum verfallenen Südostgrat, der den einfachsten Zugang zum Gipfel gewährt. Das Firnfeld erweckt wenig Vertrauen. Wir legen Steigeisen an und pickeln uns langsam einen Weg voran, der auf einem Level mit dem Einstieg zum Grat liegt. Die einzige kritische Stelle befindet sich unterhalb eines aus dem Schnee ragenden Felsens, wo der Schnee nicht fest ist. Unsere tapfere Schuklasse – ohne Winterausrüstung – wählt eine höherliegende Tangente, und als wir unsere Steigeisen am anderen Ende wieder einpacken, ziehen sie erneut an uns vorbei. Die letzten Meter zum Gipfel führen über Schotter und oft lose Blöcke und gestalten sich dank des angetauten Neuschnees ziemlich rutschig.

Obwohl sich die Sonne indes rar gemacht hat, genießen wir einen phänomenalen Rundumblick – Rieserfernergruppe mit Hochgall im Süden, Fleischbachkees um die Ecke im Südosten und die imposanten Schneiden von Rötspitze und Dreiherrenspitze im Nordosten, der Rest der Zillertaler im Norden und Nordwesten. Eindringlicher Blick auf Dreiherrenspitze (mitte) und Rötspitze (rechts)Bärenluegspitze (2960m) und Sosseneck (2950m) just über der Bärenluegscharte wären unter sommerlichen Bedingungen vermutlich ebenfalls recht dankbare Gipfelziele. Wir lassen unsere Garde wieder ziehen – wir brisant...brauchen sie nun nicht mehr – und dehnen unseren Gipfelaufenthalt bereitwillig in die Länge. Denn wir wissen wohl, dass das, was uns auf dem Weg nach untern erwartet, ein Gefühl der Leere sein wird. Und Schmerzen. Am Ende siegen Hunger und Kälte gegen unsere Trägheit und wir verabschieden uns von der Dreieckspitze. Der Hang kommt uns im Abstieg noch seifiger vor, wir passieren das Firnfeld diesmal ohne Steigeisen, schlittern auf den Spuren unserer jungen Bergführer zum Koflersee hinunter, legen dort noch einmal eine ausgedehnte Rast ein, bevor die letzte Weghälfte beginnt und mit ihr die übliche Gelenkpein. Ab 1000Hm Abstieg kommt der Schmerz, trotz Stöcken, Kniebandagen und Omega-3-Fettsäure-Kapseln…

Fazit: großartige Tagestour auf einen Geradesodreitausender. Firnschnee im Frühsommer sorgt für eine Prise Hochgebirgsatmo.

13.Tag: Auf die Wilde Kreuzspitze

Gipfel: Wilde Kreuzspitze (3132m)
Ausgangspunkt: Vals
Herausforderungen: Feuchter Altschnee
Höhendifferenz: 1400m
Gesamtdauer: 8h50m

Auf die Wilde Kreuzspitze

An unserem letzten Tourentag erwachen wir in einer Pension in Vals, zwei Tälchen westlich des Ahrntals gelegen. Krönenender Abschluss soll für dieses Jahr eine Besteigung der Wilden Kreuzspitze sein, des höchsten Gipfels der Pfunderer Alpen. Die Idee stammt aus einem Pustertal-Wanderführer unseres geschätzten Eugen Hüsler. Auf einer Abbildung im Buch sehen wir ihn weltmännisch lässig im gelben Sweater an ein dramatisch vereistes Gipfelkreuz gelehnt. Gleichzeitig betont er allerdings, dass die Wilde Kreuzspitze nicht so wild sei, wie ihr Name vermuten lasse. Sicher ist, dass wir uns auch diesen Dreitausender mit 1400 Höhenmetern redlich werden verdienen müssen.

Nach erfolgreicher Morgentoilette und angrenzendem Frühstück fahren wir ein Stück die enge Serpentinenstraße in Richtung Talschluss bis zum großen Parkplatz kurz vor der Fanealm. Diese präsentiert sich eher als eine Art Disneyland denn eine urige Gaststätte. Zahlreiche Fress- und Entertainmentbuden Liebliches Grün an der Fanealm lassen keinen Zweifel am Sinn dieser Institution aufkommen – Familien mit Kindern die Euros aus der Tasche zu ziehen. Um neun Uhr morgens herrscht noch wenig Betrieb und wir halten uns nicht lange auf, wohlwissend, dass wir noch etwa fünf Stunden bis zu unserem Es tropft von den Wändenheutigen Höhepunkt unterwegs sein werden. Ein sehr gut ausgebauter Pfad bringt uns in nördlicher Richtung an einem reißenden Strom vorbei zu einer Wegkreuzung – geradeaus liegt die Brixner Hütte, die wir bei unserem Abstieg zu passieren gedenken. Wir setzen den Blinker nach links und bummeln zur lieblich unter grünen Hängen gelegenen Labesebenalm (2138m) hinauf. Hier wird die Wegführung kurzzeitig verwirrend, am Ende folgen wir einem wenig definierten Trampelpfad durch den Hinterhof und über einen Elektrozaun. Nach halbstündigem Marsch im Grünen, immer leicht bis mäßig ansteigend, erblicken wir zum allerersten Male das Ziel unserer heutigen Tortur – den ziemlich weißen Gipfel der Wilden Kreuzspitze. Welch ein Kontrast zu den saftigen Grashängen um uns herum.

Dieses Bild folgt uns auch während unserer weiteren Wanderung bis zum Wilden See, an dessen Westufer wir eine größere Pause einschieben. Auf etwa 2500 Die Wilde KreuzspitzeSeehöhe befindlich, liegt hier noch einiges an Firn herum. Über den weiteren Verlauf besteht plötzlich Unklarheit. Laut des Hüsler-Führers sollte der Weg hinter dem See steil den Südhang der Kreuzspitze hinauf zum sogenannten Karjöchl führen. Diesen Weg können wir jedoch nicht finden und folgen stattdessen den Spuren des teilweise im Schnee verschütteten Pfades, der nach Nordosten führt. Schließlich kommt das Rauhtaljoch in Fremder Mann am Wilden SeeSicht, zu dem wir auf irgendeine Art und Weise hinauf gelangen müssen. Immer mehr Schnee erschwert die Wegfindung, wir treffen auf mehrere konkurrierende Spuren im Schnee und letztlich entscheiden wir uns intuitiv, einer von ihnen zu folgen und die anderen als schlechte Wahl einzustufen. Ob wir damit richtig liegen, werden wir wohl niemals in Erfahrung bringen. Angenehm verläuft unser Pfad jedenfalls nicht, er wirkt eher improvisiert. Wir nähern uns dem Joch über glitschigen Schotter rutschend auf einem elliptischen Abfangkurs von Südwesten.

Vier Stunden sind wir bereits unterwegs, als wir unsere Rucksäcke für eine letzte Pause am Rauhtaljöchl (2808m) abschnallen. Ein Blick hinab ins Rauhtal – unseren Abstiegsweg – offenbart eine schier endlose Firnpiste. Auch vor uns auf dem Weg zum Gipfel dominiert die Farbe weiß. Ich bin überglücklich, heute Eines von vielen rutschigen Firnschneefeldernmorgen meinen Eispickel eingepackt zu haben. Den mache ich mir auch bald zu Nutze, als die Firnfelder im weiteren Verlauf immer abschüssiger und rutschiger zu werden scheinen. Mit einem Male kommt uns eine beträchtliche Zahl von Gipfelstürmern entgegen. Offenbar sind wir wie so oft wieder einmal die letzten Ankömmlinge. Garstiger und noch rutschiger als der Schnee sind die schneelosen, ekelhaft glibberigen, schwarzen Dreckflecken, die den Hang zieren. Festes Felsgestein steht kaum an. Der liebe Eugen wusste schon, warum er die WKS unter frostigen Bedingungen bestiegen hat. Ein letzter steiler Firnrutscher befördert uns endlich auf den Gipfel.

Die Fernsicht ist relativ gut, allerdings sind die richtig massiven Brocken – darunter der Hochfeiler – wiederum in Wolken gehüllt. Ein Blick nach Westen auf den erodierten Grat verrät keine Spuren einer Überschreitung seitens Eugen Hüslers. Kurz vor Erreichen des Gipfels gelang es Mika, einen Absteiger Mika mit Wilson auf dem Gipfeldiesbezüglich zu interviewen. Dieser gab zu Protokoll, dass jene Route selten begangen werde und nur für ‚Ortskundige‘ ratsam sei (also vermutlich für Taxifahrer, Postboten etc). Hier ist er also, unser 17. und letzter Gipfel für diese Saison. Von den vier Dreitausendern zwar der höchste, allerdings auch der unspektakulärste. Sass Rigais, La Varella und Dreieckspitze werden mir persönlich nachhaltiger in Erinnerung bleiben. Was macht die eine Tour so großartig, die andere eher mittelmäßig? Der Versuch einer Antwort: je nachdem, wie ausgewogen die Mischung aus verschiedenen Komponenten ist – die meisten davon ziemlich subjektiv. Da ist erst einmal der Berg selbst, seine Höhe, sein Erscheinungsbild, seine Lage, seine Bedeutung. Dazu die Charakteristik der gewählten Route – Schwierigkeitsgrad, Abwechslungsreichtum, Länge. Dazu selbstverständlich das Wetter und die Bedingungen am Berg (Schneelage, Feuchtigkeit etc). Und nicht zuletzt die persönliche Tagesform. Auf die WKS bezogen: vielleicht ist es nicht die beste Idee, zwei sehr lange Touren an aufeinanderfolgenden Tagen anzugehen.

Der Abstieg führt uns zunächst zurück über die teils wirklich prekären Seifen- und Lehmflecken zum Rauhtaljöchl. Um der Abwechslung willen wenden wir uns nach Osten und stiefeln die lange Firnschneepiste hinunter ins Rauhtal. An dieser Stelle würde sich der Verfasser ein Paar Ski wünschen und die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen. Angeblich liegt unter unseren Füßen noch ein winziger Gletscherkern aus längst vergangener Zeit. Wegen des vielen Altschnees fällt der um diese Jahreszeit nicht weiter auf. Ich singe Mika ein Liedchen, damit ihm auf dem langen Weg nicht öde wird. Auch nach Verlassen des Gletschers sollen uns noch zahlreiche kleine Schneefelder begegnen, bevor die Brixner Hütter (2290m) im Sichtfeld auftaucht. Uns ist heute nicht so recht nach Einkehr zumute, wir wollen den restlichen Abstieg lieber hinter uns bringen. Auf dem breiten Spazierpfad nutze ich jede Gelegenheit, im Zickzack zu traversieren, um die Marter so knieschonend wir möglich zu gestalten. Gegen 18 Uhr finden wir uns auf dem Parkplatz der Fanealm wieder und sind nur eine kurze Fahrt und eine Dusche von unserem letzten Alpenschnitzel entfernt – für dieses Jahr.

Fazit: nicht der dramatischste der ‚kurzen Dreitausender‘ in den Alpen; nicht unbedingt bei Tauwetter oder nach längerem Monsun angehen

© Stefan Maday 2009