Aufstieg zur Seekofelhütte

Aufstieg zur Seekofelhütte

07.07.2005

Am morgen ist das Wetter kaum besser. Der Regen hat zwar nachgelassen, aber die Wolken hängen tief im Tal.Wir beschließen heute zur Seekofelhütte in den Pragser Dolomiten aufzubrechen. Denn unser Ziel ist die Besteigung des Seekofels. Dieser „einfach“ zu besteigende Gipfel beindruckte uns schon vor einigen Jahren, thront er doch herrschaftlich direkt über dem Pragser Wildsee mit seiner steilen, konkav geöffneten Nordflanke. Von Antholz aus sind wir mit dem Wagen ca. 30 Min. unterwegs und parken auf einem der großen Parkplätze vor dem Hotel am See. Dieser ist eigentlich immer ein beliebtes Touristenziel.

Bei gutem Wetter ist der See und das Grünwaldtal Ausgangspunkt für zahlreiche interessante unterschiedliche Tages- und Mehrtagestouren in der Region. Besonders beliebt in den Pragser Dolomiten sind Herrstein, Großer Roßkofel, Dürrenstein und eben der Seekofel mit der Seekofelhütte. Die Blick zurück auf den Seeeinfachste Rundwanderung ist die um den See selbst, was hier für zahlreiche Spaziergänger, Beinkranke usw. sorgt, da diese Runde locker auch in Sandalen machbar ist.

Beliebt auch bei schlechtem Wetter, wie heute. Wir kämpfen uns durch das Touristengetümmel rechts um den See herum. Viele dieser Leute sehen partout nicht ein, auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen und glauben, jeder hinter ihnen müsse sich ihrer mäßigen Geschwindigkeit anpassen. Dazu wird lautstark palavert oder per Handy telefoniert. Irgendwann biegen wir ab zum Talaufstieg und lassen diese nervigen Leute hinter uns. Hier begegnen uns nur wahre Bergfreunde, die, wie wir, die Ruhe zu genießen wissen und sich selbst entspechend verhalten.

Leider fängt es leicht zu regnen an, aber noch sind wir guter Dinge und glauben an Wetterbesserung am Nachmittag. Sollten wir frühzeitig die Hütte erreichen, werden wir noch heute den Seekofel besteigen, insofern das Wetter mitspielt. Von der Idee sollen wir uns bald verabschieden. Bald sind wir von Wolken umgeben. Am ersten Rastplatz, einer Weggabelung, die wir dummerweise nicht als solche erkennen, machen wir uns dann fertig für einen feucht-fröhlichen Aufstieg. Ziel für heute ist dann nur noch die Hütte – die laut Angaben in nur 2,5 – 3 Stunden vom Parkplatz am See aus erreichbar sein soll. Wenn man den kürzesten Weg wählt.

Wir schlagen dummerweise den Umweg ein. Als wir dies bemerken, entschließen wir uns nicht zur Die Nordflanke des SeekofelsUmkehr, um die wertvolle Höhe nicht wieder zu verlieren. Wind und Regen nehmen zu. Der Weg führt uns bald über eine schier endlose Felsplatte, die bei unserer Gehgeschwindigkeit viel Trittsicherheit abverlangt. Sie ist nur so mit Spalten und Löschern durchzogen, die im Laufe der Jahrmillionen durch Wasser ausgewaschen wurden. Bei schönem Wetter würde es mir hier sehr gut gefallen, denke ich mir so. Wenn mir aber langsam und stetig das Wasser durch Regenschutz und Hose rinnt, vergeht mir der Spaß an solchen Unternehmungen. Ich merke, dass es Stefan nicht anders geht, trotzdem muntern wir uns gegenseitig auf und verkaufen uns den Tag als tolles Erlebnis, als „Eins werden mit den Elementen“ – dazu gehört eben auch die Erfahrung mit Dauerregen.

Irgendwo retten wir uns unter eine alleinstehende Tanne, die ewas Schutz bietet. Denn ansonsten wächst hier oben nur Gras. Zur Nässe kommt unweigerlich die Kälte. Daher legen wir jetzt den Speed-Gang ein. Irgendwann bemerken wir, dass wir über einem langen Grat unterwegs sind. Laut Karte muss er direkt zur Hütte führen. Mittlerweile regnet es heftig – und durch den starken Wind auf dem Grat leider dazu noch waagrecht. Ich spüre das kühle Nass bereits von oben bis unten auf der Haut. Jetzt ärgere ich mich über das billige Teil von Regenjacke und schwöre mir, dass dies heute ihr letzter Einsatz war.

Die Wolken sind hier so dicht, dass ich Stefan 10 m vor mir kaum erkenne. Wo bleibt sie denn nur, die Hütte? Plötzlich stehen wir direkt vor ihr, so dicht ist der Nebel, dass wir sie erst unmittelbar aus der Nähe erkennen können. Wir retten uns in den völlig überfüllten Eingangsbereich. Weitere Wanderer Stevie in der Seekofelhüttepellen sich hier aus ihren ebenfalls triefend nassen Klamotten. Zum Glück habe ich hier bereits ein Zweibett-Zimmer vorbestellt. Die Hütte – 1907 erbaut -, verfügt über Schlafräume unter dem Dach, getrennt durch einfache Bretterwände, die mehr als Sichtschutz, denn als Lärmschutz dienen. Wir beziehen unser Quartier und stellen fest, dass der unbeheizte Dachboden keine Trockenmöglichkeit bietet. Einzig trocken ist mein Ersatz-T-Shirt, -Unterhose und -Socken.

Also behalten wir die nassen Hosen und Pullover einfach am Gaststube der SeekofelhütteLeib, damit diese in der beheizten Gaststube trocknen. Hier verbringen wir den Spätnachmittag und Abend bei heißem Tee, Radlern und einer lecker warmen Mahlzeit. Wir sind uns einig, dass diese Hütte auf unserer Bewertungsliste einen der hinteren Ränge bekommt, denn die sanitären Anlagen, Waschgelegenheiten und Schlafräume lassen doch sehr zu wünschen übrig. Man scheint sich hier darüber bewusst zu sein, dass auch ohne dieses Komforts die Hütte aufgrund der einmaligen Lage immer gut besucht sein wird.

Die Nacht wird nicht angenehm, Kälte und Feuchtigkeit sitzt tief in den Gliedern, zudem prasselt der Regen weiter heftig direkt auf das Dach über meiner Coje. Doch dann wird es ruhig – und ich denke noch so bei mir, dass es wohl zu regnen aufgehört hat. Ja, das hat es sehr wohl.

6. Tag: Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

© Michael Breiden 27.02.2006

Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

06.07.2005

Am nächsten Morgen sind wir nach dieser ungemütlichen Nacht früh wach. Die Sonne scheint, und der Neuschnee am MorgenBlick aus dem Fenster bietet ein ungewöhnliches Panorama – komplett in weiß. Es liegt 5-10 cm Neuschnee, alle Gipfel ringsrum sind winterlich weiß.

Schnell geht’s ab nach draußen zur Foto-Session, denn das wird uns in Deutschland kaum einer glauben. Leider sind noch nicht alle Kleidungsstücke trocken, aber was soll’s. Der morgentliche Waschgang fällt dann aufgrund des Andrangs an wenigen Waschbecken eher dürftig aus. Ähnlich ist es mit dem Frühstück bestellt. Wir erkundigen uns beim Hüttenwirt über die Wegverhältnisse zum Seekofel, dieser rät uns von einer Besteigung ab, zu klitschig sei der Steig – und die Wegmarkierungen wären nicht sichtbar.

Mürrisch treten wir den Rückweg an – und schlagen heute die kürzere Wegstrecke ein. Trotz Sonnenschein also heute kein Gipfelglück. Die Stimmung ist gedrückt. Der Weg führt uns durch riesige Geröllhänge, Felsbrocken, die die Nordflanke des Seekofel einst zierten und irgendwann den Weg ins Tal angetreten sind. Tatsächlich sind die roten Markierungen Blick zurückanfangs wirklich nicht zu erkennen durch den Schnee. Je weiter wir absteigen, desto wärmer wird es, wir haben das Gefühl, vom Winter in den Sommer zu wandern.

Bald begegnen uns die ersten aufsteigenden Wanderer in T-Shirt und kurzen Hosen. Unsere unterschiedliche Kluft – wir in dicken Pullovern verpackt – bringt uns ins Gespräch. Durch Wälder über Stein und Wurzeln führt der Weg schließlich an die Weggabelung, die wir vom Vortag kennen. Gestern haben wir diesen Weg völlig übersehen. Er hätte uns 1 h Kälte und Nässe erspart.

Am Pragser Wildsee angekommen – hier tobt der Tagestouristenrummel wie immer – faulenzen wir dann erstmal direkt am See und belustigen uns mit Steinewerfen. Zurück zum Parkplatz nehmen wir die nun andere Uferseite, die hoch oben im Fels teilweise schöne Tiefblicke und eine schöne Aussicht über den See bietet.

So richtig touristisch wird’s dann rund um die Imbissbuden und Trinkhallen unmittelbar beim Hotel bzw. Sommer im Talbei den Parkplätzen. Aber auch wir gönnen uns Wurscht und Pommes – und überlegen, was wir mit dem Nachmittag anfangen. Die Sonne schwindet jedoch inzwischen wieder. Alsbald Zurück am Pragser Wildseemachen wir uns auf den Weg Richung Misurina und Auronzohütte am Fuße der Drei-Zinnen. Schlechtes Wetter lässt uns hier dann erneut umkehren. So verbringen wir Abend und Nacht im bekannten Sexten, Ortsteil Moos im Haus einer urigen netten alten Dame. Hier fanden wir vor Jahren eine super Pizzaria, wo wir uns auch heute wieder verköstigen lassen – Pizza mit viel Olio picante!

Am nächsten Morgen erzählt uns die alte Dame beim typisch südtiroler Frühstück, dass bereits Theo Übernachtung in Sexten/MoosWaigel in jungen Jahren zu ihren Gästen zählte. Dabei schimpft sie auf die Italiener – zählt sich als Südtirolerin selbstverständlich nicht dazu. Sodann brechen wir auf mit wehmütigem Gefühl im Magen.

© Michael Breiden 27.02.2006

Ankunft in San Martino di Castrozzo – Aufstieg zur Rosetta-Hütte

Ankunft in San Martino di Castrozzo – Aufstieg zur Rosetta-Hütte

03.07.2004

Wir schreiben den vierten gemeinsamen Dolomitenurlaub. Bei unserer Planung irgendwann im Frühling wurde uns bewusst, dass es gar nicht mehr so viele große weiße Flecken auf der Landkarte gibt, die für eine einwöchige Hüttentour geeignet wären. Außerdem haben die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt, dass die mühsam elaborierten Agenden stets nur akademischen Charakter hatten – vor Ort sah immer alles ganz anders aus und manchmal mussten wir schon vom ersten Tag an alles anders machen als angedacht.

Dennoch braucht der Mensch ein gewisses Ziel vor Augen, um zukünfigen Großtaten zuversichtlich Lago di Paneveggioentgegentreten zu können, und so war ich erleichtert, als Michael den Namen Pala aus dem Ärmel schüttelte – ein Arbeitskollege sei schon einmal dort gewesen. Dieser Name sollte uns fortan als eine Art Kondensationskeim dienen, an den wir unseren Urlaub dranklatschen würden.

Und so sausen wir eines schönen Julitages nach mehr oder weniger schlafloser Nacht voller freudiger Erwartung am malerischen Lago di Paneveggio vorbei auf den Rollepass zu. Alle Probleme scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben: die Pradidali-Hütte bleibt entgegen hartnäckiger Gerüchte doch nicht wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und auch die Schneelage in der Pala sei nicht mehr bedenklich. Es liege zwar noch ein wenig umeinand, doch alle Wege seien begehbar – laut Hüttenwirtin der Rosetta-Hütte.

Der Rollepass lädt zum Fotoshooting ein. Majestätisch sprießen die drei Spitzen Cima dei Bureloni, Cima della Vezzana und Cimon della Pala aus der Wiese. Sie bilden gleichsam den Bug dieses gigantischen Kreuzers Pala, dessen schroffe Bordwände leicht Culo de la Vacadarüber hinwegtäuschen, dass das eigentliche Schiffsdeck eben ist und Altopiano delle Pale heißt. Eingerahmt wird das pittoreske Szenarium von Nutzvieh und Motorradrockern – dolomitöse Nostalgie.
Einige „Tornanti“ talwärts erreichen wir San Martino di Castrozza. Wir halten uns nicht mit einer Ortsbesichtigung auf, sondern steuern sogleich zielbewusst die Talstation der Colverde Seilbahn an. Hier erhält unsere Pala-Begeisterung ihren ersten Dämpfer: ein Schild weist uns auf den Umstand hin, dass die Bahn wegen Bauarbeiten an der Bergstation nur bis zur Mittelstation hinaufführt. Das bedeutet für uns etwa sechshundert nicht eingeplante Höhenmeter per pedes. Glücklicherweise ist es erst früher Nachmittag, so dass uns ausreichend Zeit für den Aufstieg bleibt. Eine Wahl haben wir im übrigen auch nicht.

Der Anstieg erweist sich als dankbar und harmlos, der Weg windet sich über das Schuttfeld Aufsteig zur Rosetthütte. Ein kurzer KS ist auch dabeizwischen den westlichen Steilwänden des Cimon della Pala und der Cima Rosetta (2746m) hinauf – stets in Tuchfühlung mit dem geheimnisvollen Schlauch, der von der Bergstation herunterführt. Nach zwei Altopiano oder die weiße HölleStunden haben wir den Pass erreicht und spähen ungläubig über das berüchtigte Altopiano hinweg. Was wir erblicken, ist eine geschlossene Schneedecke, die sich über weite, eingedellte Ebene ergießt. Der Himmel ist grau und düster, ein eisiger Wind lässt unseren Aufstiegsschweiß gefrieren. Zu allem Überfluss dröhnt meine Runkel von den Strapazen der durchwachten Nacht. Ich lasse alle Hoffnung fahren und beschließe, hier oben nicht glücklich zu werden.

Die Rosetta-Hütte (Rifugio Pedrotti, 2581m) ist nur einen Steinwurf vom Pass entfernt. Michael organisiert uns ein Doppelzimmer. Zum Abendessen lasse ich mir Würstchen mit Hütten-Polenta kredenzen (für Nicht-Gourmets: Hütten-Polenta ist ein hochviskoser Superkleber aus Gries). Wir Rifugio Rosetta Pedrottidiskutieren mit unseren Tischnachbarn, zwei Jungs aus Schwaben, die Tagespläne für morgen. Die beiden wollen auf die Cima della Vezzana (3192m), den höchsten Gipfel der Pala. Der erscheint uns zu anstrengend für eine Tagestour und auf eine Übernachtung im Biwak haben wir keine Lust, da dort weder warmes Essen noch geistige Getränke serviert werden. Wir saugen noch ein wenig Hüttenklatsch in uns auf – das ist nicht unbedingt überlebenswichtig, aber man erfährt doch immer wieder faszinierende Details. So soll beispielsweise das Essen auf der Mulaz-Hütte grottenschlecht und die Bedienung auf der Velo della Madonna-Hütte ein ordentlich apartes Ding sein. Schließlich einigen wir uns auf eine Besteigung der gletscherträchtigen Cima della Fradusta mit anschließender Nächtigung auf der Pradidali-Hütte. Basta.

1.Tag: Cima della Fradusta (2939m)

© Stefan Maday 09.04.2005

Cima della Fradusta (2939m)

Cima della Fradusta (2939m)

04.07.2004

Nach einer erholsamen Nacht blinzelt die noch kalte Sonne vom Himmel und lässt die Pala in einem Cima Rosetta im Morgenlichtganz anderen Licht erstrahlen als noch am gestrigen Abend. Wir schöpfen sogleich neue Hoffnung für den Tag und lassen uns diese auch durch das Frühstück nicht nehmen. Gegen acht Uhr stehen wir abmarschbereit an der Rosetta-Hütte – die Uhrzeit ist rekordverdächtig. Wir lassen unsere Rucksäcke zunächst an der Hütte zurück, da wir als erstes die nahegelegene Cima Rosetta erobern wollen. Ein leichtes Unterfangen. Der Schnee ist zu dieser Stunde noch hartgefroren und mit zunehmender Höhe entblößt die mäßig ansteigende Rampe immer häufiger ihren schotterbedeckten Felskern.

Leider beginnen bereits die ersten Wolkenschwaden aufzuziehen. Nach einer halben Stunde Aufstieg dürfen wir uns für das obligatorische Foto mit Gipfelkreuz aufreihen. Nachdem wir uns von der Tatsache überzeugt haben, dass die Westflanke des Berges nicht annähernd so einladend aussieht wie der Osthang, den wir gerade heraufgestiefelt sind, genießen wir die immer trüber werdende Aussicht auf das Altopiano, die Colverde-Bergstation nebst Baukran und nicht zuletzt das bombastische Vezzana-Massiv inklusive der winzigen, rotgetünchten Biwakschachtel.

Zurück an der Rosetta-Hütte nehmen wir unser Gepäck auf und kaufen Mineralwasser für die – wie wir glauben – schweißtreibende Tour, die uns bevorsteht. Wir folgen dem Weg mit der Nummer 709 nach Südosten. Das Altopiano erweist sich recht bald als nicht halb so piano, wie sein Name unsBlick auf La Fradusta glauben machen will: schneebedeckte Hügel wechseln mit tiefen, verschneiten Trögen.

Unser Ziel, die muschelförmige Cima della Fradusta, blinzelt immer mal wieder weit vor uns durch den Dunst, bevor wir in die nächste dieser Mulden herabsteigen müssen, an deren Firnwänden das Tauwasser unheimliche Schleifspuren hinterlassen hat.

Nachdem wir die Abzweigung zur Pradidali-Hütte passiert haben, werden die Fußspuren immer spärlicher und damit das Stapfen durch den Schnee immer beschwerlicher.Schneewüste Besonders der ein oder mehr Kilo (ähem) schwerere Michael bricht des öfteren bis über die Knie in der weißen Herrlichkeit ein.

Schließlich demoliert er gar einen seiner beiden Teleskopstöcke. Als der dessen Spitze aus dem Tiefschnee ziehen will, löst sich die besagte Spitze vom Stock. Dabei geht das Gelenk verloren, das den unteren Teil mit dem oberen Teil des Stockes verbindet. Da es von weißer Farbe ist, suchen wir es in dieser Schneewüste vergebens und Michael muss den Weg mit anderthalb Stöcken fortsetzen.

Schließlich nehmen wir noch einen besonders hohen Hügel, bevor sich die Nordflanke der Fradusta endlich eindrucksvoll vor uns ausbreitet: ein Gletscher, der nicht annähernd so flach verläuft, wie ich mir das vorgestellt hatte, gekrönt von einem langen Felsengrat. Es ist nun an der Zeit für uns, eine Strategie für den Aufstieg zu entwickeln, d.h. zu gucken, was die anderen Leute machen. Normalerweise (also im Sommer) existieren zwei Aufstiegsrouten: die eine führt relativ umständlich über den Kamm von Osten, die andere (kürzere) traversiert zunächst den Gletscher in West-Ost-Richtung, bevor sie sich mit der ersten auf dem Kamm wieder vereint.

Drei junge ItalienerInnen überholen uns und gehen den Aufstieg über den Gletscher an. Wir folgen Gletscheranstieg zur Fradustaihnen mit respektvollem Abstand. Der Anstieg, den sie treten, ist äußerst steil. Der Gletscherfirn ist lange nicht so tief wie das Zeug auf dem Altopiano und viel rutschiger. Zudem lauert unterhalb der Gletscherwand ein scheußliches schwarzblaues Loch, aus dem Tauwasser hervorquellt. Wer dort hineinrutscht, hat wahrscheinlich für die nachsten 200 Jahre seine Ruhe. Wir fragen uns zwischendurch, ob wir für eine solche Show wohl proper ausgerüstet sind, steigen dann aber tapfer weiter – schon weil wir auf diesem grässlichen Pfad nicht umkehren wollen.
Nach einer kleinen Ewigkeit höchster Konzentration und Selbstdisziplin haben wir die Felsenkrone über dem Gletscher erreicht. Es folgt ein kurzer, aber heikler Anstieg durch Tiefschnee, der mich böse an die Schneerinne bei unserer Besteigung der Schusterplatte erinnert. Danach betreten wir den Gipfelgrat und haben endlich wieder festen Fels unter den Füßen. Ohne Worte zu verlieren steht zwischen uns schon fest: diesen Weg werden wir um nichts in der Welt wieder hinuntersteigen!

Die Sicht ist gar nicht mal so gut hier oben. Brannte auf dem Gletscher immerhin noch eine Altostratus-gebremste Sonne auf uns hernieder, stehen wir nun in der dicksten Nebelbrühe. Wir fragen unsere drei mutigen Vorsteiger, wo denn wohl der Gipfel sei. Sie wissen es nicht, Irgendwo muss der Gipfel sein…er müsse hier irgendwo sein. Schon beginnen sie damit, sich Steigeisen für den Abstieg unter die Füße zu schnallen.

Ich gehe ein Stückchen den Grat weiter, in der Hoffnung, auf irgendeine Gipfelmarkierung zu treffen. Einmal meine ich, voraus eine schemenhafte Form im Nebel ausmachen zu können, möglicherweise andere Bergsteiger? Ich kehre dann aber doch um und wir beschließen, den Gipfel als bestiegen anzusehen. Da wir sehr viel steiler über den Gletscher gestiegen sind als über den verschütteten „Normalweg“, ist diese Annahme nicht so unrealistisch.

Es vergehen keine zehn Minuten und wir schicken uns an, diesen trostlosen Ort wieder zu verlassen, jenen Ort, der es mir heute morgen noch wert schien, dass ich alle erdenklichen Mühen und sogar Gefahren auf mich nehme, um ihn zu erreichen. Mit Überschreitung des Höhepunktes wird mir die Sinnlosigkeit meines Strebens bewusst und meine Motivation beginnt schlagartig in die Füße zu sickern. Nun heißt es nur noch einen sicheren Weg zurück in die Zivilisation zu finden, Blick zurückbevor uns Nebel und Dunkelheit völlig eingeholt haben.

Wir irren über den Kamm hinab auf eine wie es mir vorkommt Rundreise über das gesamte Altopiano, treffen ab und an auf Fußspuren im Schnee oder Steinmännchen, die Muskeln immer müder werdend, die Schuhe längst durchnässt. Einmal breche ich bis zur Hüfte im eisigen Nass ein. Ich bin froh, dass ich Michael dabei habe, denn alleine hätte ich längst die Orientierung verloren. Nach einer Ewigkeit gelangen wir wieder zu der Kreuzung von heute morgen, an der der 109er herunter zur Pradidali-Hütte abgeht.

Als wir die Schlucht zwischen der Cima Pradidali und der Cima Canali herabsteigen, bleibt auch der verhasste Schnee zurück, nur vereinzelte Schneefelder, von denen wir jeweils glauben, dass es das letzte sein müsse, sägen an unseren Nerven, bis wir letzten Endes die ersehnte Pradidali-Hütte (2278m) erreicht haben. Ein schnuckeliges, an den Fels gebackenes Ding, das uns unwillkürlich an die Fonda Savio-Hütte in der Cadinigruppe erinnert.

Im Vergleich zum gestrigen Abend sind nur wenige Gäste zu beklagen. Wir genießen unsere Spaghetti im „Wintergarten“, einem gläsernen Anbau mit theoretisch guter Aussicht – wenn ausnahmsweise mal Rifugio Pradidalikein Nebel herrscht. Mit der netten, blonden Bedienung, die ein halbes Dutzend Sprachen spricht, dem Hüttenwirt, der überhaut nur italienisch spricht und zwei Amerikanern diskutieren wir die allgemeine Schnee- und Wetterlage und was man sonst noch so machen kann. Wir beide kommen überein, morgen früh zur Velo della Madonna-Hütte hinüberzusteigen.
Kurz vor dem Schlafengehen treffen wir vor der Hütte auf einen freakigen Nachzügler, der gerade vom Gipfel der Fradusta heruntergestiegen sein will. In Ballettschuhen. Er will gleich noch ins Tal runter. Im Dunkeln. Da sind wir froh, dass unsere Heia nur ein paar Treppenstufen entfernt liegt, direkt neben dem Klo.

Meine Gesichtshaut spannt sich seit heute abend ziemlich verdächtig, offenbar habe ich vom Gletscher ein Andenken in Form eines prächtigen Sonnenbrandes mitgenommen. Das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man nicht mit einem so albernen Hut gesehen werden möchte wie der Michael.

2. Tag: Umrundung der Pala Südspitze

© Stefan Maday 9.4.2005

Umrundung der Pala Südspitze – Abstieg nach San Martino di Castrozzo

Umrundung der Pala Südspitze – Abstieg nach San Martino di Castrozzo

05.07.2004

Der Morgen startet gewohnt sonnig-wonnig, im Unterschied zu gestern morgen spüren wir allerdings, was unsere nicht mehr ganz taufrischen Gebeine am Vortag alles geleistet haben. Nach dem Colazione erwartet mich eine unangenehme Überraschung: meine Schuhe sind noch immer klatschnass. Dem kleinen Ofen, in dessen Peripherie ich sie gestern abend geparkt hatte, ist wohl relativ bald der Sprit ausgegangen und daher weiß ich jetzt, wie es sich anfühlt, an einem kalten Morgen mit frischen Socken in nasses Schuhwerk hineinzugleiten.

Unser geplantes Tagewerk düfte kurz aber anstrengend ausfallen. Nach einem Abstieg bis hinunter Blick von der Pradidali nach Südenzur Baumgrenze erwartet uns ein 800Hm-Anstieg über den Sentiero dei Cacciatore in Richtung Velo della Madonna-Hütte (2752m). Das Hinunter geht zügig von dannen, freudig registrieren wir, dass die beliebten Schneefelder immer seltener werden und bald fühlen sich meine Füße wieder warm und trocken an. Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wir einen ausgetrockneten Bachlauf, die blendend hellen Dolomitbrocken stechen im Schein der Sonne aus dem Grün des Kiefergestrüpps hervor. Ich bemühe mich tunlichst, mein Gesicht und meinen Nacken von der Sonnenstrahlung fernzuhalten.

Nicht weit von der 4-Wege-Kreuzung steht eine Sitzbank und lädt zum Brunch. Vor uns im Westen erhebt sich beeindruckend die Wand, die wir bezwingen müssen. Zwei Männer nähern sich unserem Sentiero dei Cacciatore – die WandRastplatz und machen einen bekannten Eindruck: es sind die beiden Schwaben von der Rosetta-Hütte! Sie waren tatsächlich auf dem Gipfel der Vezzana. Sie kennen auch unseren Weg zur Madonna-Hütte und meinen, die ersten 200Hm seien die anstrengendsten und darauf folge easy going. Michael ist nicht so zuversichtlich, er meint, das könne uns konditionell überfordern. Das weiß man erst, nachdem man es probiert hat. Während die beiden Schwaben talwärts ziehen, überqueren wir den Bachlauf und beginnen den Aufstieg.

Der erfolgt anfangs über eine enge, steile Schotterpiste. Der prallen Vormittagssonne ausgesetzt wird die Sache zu einer ziemlichen Tortur. Nach etwa 200Hm erreichen wir das obere Ende des Schotterrinne. Vor uns sehen wir ein Stahlseil gespannt. Von rechts oben fliegen plötzlich kleine Geschosse heran. Hier können wir auf keinen Fall stehenbleiben. Michael meint, er fühle sich zu schlapp für den weiteren Aufstieg und möchte lieber umkehren. Meine Gegenwehr ist dieses Mal nicht besonders groß – die Aussicht auf irgendwelche halbverschneiten Klettersteige im Nebel hat mich von Anfang an nicht besonders angetörnt. Stickum steigen wir die Piste wieder hinunter zu unserem lauschigen Rastplatz. Dort fassen wir den Entschluss, ins Tal nach San Martino abzusteigen und damit der Pala Arrivederci zu sagen – wenigstens für dieses Jahr.

Über den Abstieg gibt es nicht viel Spannendes zu berichten, außer dass der Höhenweg sich endlos und mit nur wenigen großartigen Aussichtsmöglichkeiten latexmäßig in die Länge zieht. Mit müden Beinen erreichen wir am späten Nachmittag schließlich San Martino di Castrozza. Keine Minute zu früh, denn kaum hat Michael den Wagen geholt, geht ein heftiges Gewitter über uns ab.

3. Tag: Vom Grödner Joch zur Puez-Hütte

© Stefan Maday 09.04.2005

Vom Grödner Joch über Große Cirspitze (2592m) zur Puez-Hütte

Vom Grödner Joch über Große Cirspitze (2592m) zur Puez-Hütte

06.07.2004

Noch gestern abend sind wir mit dem Wagen nach St. Christina gefahren, um dort wie vornehme Menschen zu duschen, Pizza zu vertilgen und unter sauberen Bettdecken zu nächtigen. Bei der Frage, was man denn nun mit dem Rest des Urlaubs anfangen solle, erinnerten wir uns des Grödner Jochs, das wir vor vier Jahren bereits passiert hatten und der vielen Attraktionen, die wir damals aus zeitlichen und konditionellen Gründen auslassen mussten. Wir beschlossen also zunächst eine zweitägige Tour über die Puez-Hochebene mit der Intention, diesmal alle Gipfel mitzunehmen, die wir bei unserem ersten Besuch links liegen gelassen hatten.

Nachdem wir Michaels Wagen mit einem etwas mulmigen Gefühl auf dem Parkplatz am Grödner Joch (2124m) sich selbst überlassen haben, machen wir uns sofort an die Hauptattraktion des Passes heran: den nur gut Blick vom Grödner Joch auf die Große Cirspitze400m oberhalb der Straße thronenden Gipfel der Großen Cirspitze (Gran Cir, 2592m). Der Wetterbericht verspricht wiederum Dolomiten-Standardsommerwetter: Sonne am Morgen mit im Tagesverlauf stetig zunehmender Bewölkung, die ab dem Nachmittag in Blitz und Donner kulminieren dürfte.
Der Aufstieg zur Cirspitze verläuft denkbar einfach. Erst einmal über einen Kiesweg, dann durch einen schottrigen Kar, der glücklicherweise zu dieser Stunde noch teilweise im Schatten liegt, denn ins Schwitzen gerät man allemal.Oberer KS an der Cirspitze Es folgt ein Klettersteig. Wir folgen dem Beispiel einiger anderer Berggänger und legen unsere KS-Ausrüstung an – wohl ahnend, dass wir sie kaum ernsthaft benötigen werden. Abgesehen vom Helm vielleicht. Eine rutschige Rinne bildet den Einstieg. Es folgen einige kurze Krabbelpassagen und schließlich ein weiteres gesichertes Stück. Der Weg scheint sich wie ein Korkenzieher den Hang hinauf zu arbeiten. Eine Menge Leute kommen uns bereits von oben entgegen, Zeichen dafür, dass wir spät gefrühstückt haben.

Nach etwa einer Stunde erreichen wir den Gipfel, auf dem ein ordentlicher Rummel herrscht. Plappernde Menschen, surrende Kameras und knisternde Power-Riegel-Verpackungen lassen auf einemCirspitze Gipfelkreuz solchen Pass-Panorama-Berg natürlich niemals auch nur einen Anflug von Beschaulichkeit aufkommen. Immerhin bietet sich uns eine schöne Aussicht auf das Puez-Hochland, das bis auf ein paar winzige weiße Flecken schneelos ist. Welch ein wohltuender Anblick nach der Altopiano della Pala-Show. Am Nordrand erhebt sich der Zwillingsgipfel der Puezspitze (Cima Puez, 2913m), den wir uns für morgen vorgenommen haben.

Der Abstieg führt über den bekannten Weg. Erwähnenswert ist nur, dass uns auf dem Klettersteig ein nervöser Alpenjogger überholt. Der böse Schubiak zeigt dabei wenig Rücksicht gegen andere und erst gar keine wider sich selbst. Mehrmals rutscht er aus und man wundert sich, wie er bei dem Stil überhaupt wieder lebendig im Tal ankommen will.
Leider müssen wir die Höhendifferenz, die wir eben zur Cirspitze hinauf überwunden haben, nun wenige hundert Meter weiter östlich annähernd noch einmal bewältigen – hinauf zum CirjochPuez-Spitzen vom Gipfel der Cirspitze (Passo Cir, 2469m). Statt der altbewährten Taktik, die stets darin bestand, zehn Meter zu rennen und dann solange röchelnd stehen zu bleiben, bis der Puls wieder unter 150 Schläge gesunken war, versuchen wir es heute mit einer neuen Variante: im aeroben Bereich langsam und beständig unter Beibehaltung der normalen Atemfrequenz aufsteigen. Das schont die Reserven, erfordert aber auch eine Menge Reife und Selbstdisziplin, weshalb wir erst mit Mitte dreißig auf diese Idee gekommen sind.

Auf dem Pass bullert die Sonne und ich bemühe mich peinlich, mein zerschundenes Gesicht vor ihr zu verbergen. Neidisch beäugen wir einen Bergsteigerkollegen, der sich genüsslich ein Dosenbierchen Blick auf den Sassongherreinpfeift. Wir beschließen feierlich, dass dieses auch unsere allererste Amtshandlung bei Erreichen der Puezhütte sein soll.
Nach Durchquerung einer kleinen Talsohle erreichen wir das Crespeinajoch (2528m) mit Blick auf den See. Ein steiler Abstieg bringt uns auf die Ebene hinunter. An der Forcella de Ciampac werfen wir einen Blick nach Südosten und unser morgiges Ziel: den kess über dem Tal prangenden Gipfel des Sassongher (2665m).

Der Himmel hat sich fast unbemerkt zugezogen. Auf den letzen Metern zur Hütte beginnt es zu rumpeln und zu tröpfeln. Michael treibt zur Eile. Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass so ein Gewitter doch mal ein nettes Abenteuer darstellen würde. Was sollte einem mit Helm und Regenjacke schon ernstes widerfahren können? Doch erreichen wir die Hütte noch trockenen Fußes und genießenHagel auf der Puezhütte auch sogleich das wohlverdiente Radler auf der Terrasse. Mit einem Mal beginnt es zu rappeln und zu rauschen. Zwei Wanderer rennen vom Kamm aus Richtung Puezkofel wie von der Tarantel besprungen zu uns herunter. Erbsengroße Hagelkörner krachen auf die Terrasse, begleitet von einem donnernden Crescendo. Das hätte ich dann doch nicht draußen hautnah miterleben wollen!

Das Schauspiel hält nur wenige Minuten an – ebenso wie unsere Drinks. Wir beziehen unsere Betten und machen es uns dann in der Gaststube gemütlich. Der Wirt, den wir von unserer ersten Dolomitentour noch kennen, hat in den wenigen Jahren viele Haare verloren und scheint mächtig gealtert. Ob es daran liegt, dass man ihm mittlerweile eine Frau als Kollegin vorgesetzt hat? Es wird Gulasch gereicht, bezahlt werden muss im Voraus. Nach reichlich Rommée und Radler ziehen wir uns in unser Gemach zurück. Die 8 bis 10 amerikanischen Zimmerkumpels pennen zum Glück schon.

4. Tag: Sassongher (2665m) – Grödner Joch

© Stefan Maday 09.04.2005