03.07.2004
Wir schreiben den vierten gemeinsamen Dolomitenurlaub. Bei unserer Planung irgendwann im Frühling wurde uns bewusst, dass es gar nicht mehr so viele große weiße Flecken auf der Landkarte gibt, die für eine einwöchige Hüttentour geeignet wären. Außerdem haben die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt, dass die mühsam elaborierten Agenden stets nur akademischen Charakter hatten – vor Ort sah immer alles ganz anders aus und manchmal mussten wir schon vom ersten Tag an alles anders machen als angedacht.
Dennoch braucht der Mensch ein gewisses Ziel vor Augen, um zukünfigen Großtaten zuversichtlich Lago di Paneveggioentgegentreten zu können, und so war ich erleichtert, als Michael den Namen Pala aus dem Ärmel schüttelte – ein Arbeitskollege sei schon einmal dort gewesen. Dieser Name sollte uns fortan als eine Art Kondensationskeim dienen, an den wir unseren Urlaub dranklatschen würden.
Und so sausen wir eines schönen Julitages nach mehr oder weniger schlafloser Nacht voller freudiger Erwartung am malerischen Lago di Paneveggio vorbei auf den Rollepass zu. Alle Probleme scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben: die Pradidali-Hütte bleibt entgegen hartnäckiger Gerüchte doch nicht wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und auch die Schneelage in der Pala sei nicht mehr bedenklich. Es liege zwar noch ein wenig umeinand, doch alle Wege seien begehbar – laut Hüttenwirtin der Rosetta-Hütte.
Der Rollepass lädt zum Fotoshooting ein. Majestätisch sprießen die drei Spitzen Cima dei Bureloni, Cima della Vezzana und Cimon della Pala aus der Wiese. Sie bilden gleichsam den Bug dieses gigantischen Kreuzers Pala, dessen schroffe Bordwände leicht Culo de la Vacadarüber hinwegtäuschen, dass das eigentliche Schiffsdeck eben ist und Altopiano delle Pale heißt. Eingerahmt wird das pittoreske Szenarium von Nutzvieh und Motorradrockern – dolomitöse Nostalgie.
Einige „Tornanti“ talwärts erreichen wir San Martino di Castrozza. Wir halten uns nicht mit einer Ortsbesichtigung auf, sondern steuern sogleich zielbewusst die Talstation der Colverde Seilbahn an. Hier erhält unsere Pala-Begeisterung ihren ersten Dämpfer: ein Schild weist uns auf den Umstand hin, dass die Bahn wegen Bauarbeiten an der Bergstation nur bis zur Mittelstation hinaufführt. Das bedeutet für uns etwa sechshundert nicht eingeplante Höhenmeter per pedes. Glücklicherweise ist es erst früher Nachmittag, so dass uns ausreichend Zeit für den Aufstieg bleibt. Eine Wahl haben wir im übrigen auch nicht.
Der Anstieg erweist sich als dankbar und harmlos, der Weg windet sich über das Schuttfeld Aufsteig zur Rosetthütte. Ein kurzer KS ist auch dabeizwischen den westlichen Steilwänden des Cimon della Pala und der Cima Rosetta (2746m) hinauf – stets in Tuchfühlung mit dem geheimnisvollen Schlauch, der von der Bergstation herunterführt. Nach zwei Altopiano oder die weiße HölleStunden haben wir den Pass erreicht und spähen ungläubig über das berüchtigte Altopiano hinweg. Was wir erblicken, ist eine geschlossene Schneedecke, die sich über weite, eingedellte Ebene ergießt. Der Himmel ist grau und düster, ein eisiger Wind lässt unseren Aufstiegsschweiß gefrieren. Zu allem Überfluss dröhnt meine Runkel von den Strapazen der durchwachten Nacht. Ich lasse alle Hoffnung fahren und beschließe, hier oben nicht glücklich zu werden.
Die Rosetta-Hütte (Rifugio Pedrotti, 2581m) ist nur einen Steinwurf vom Pass entfernt. Michael organisiert uns ein Doppelzimmer. Zum Abendessen lasse ich mir Würstchen mit Hütten-Polenta kredenzen (für Nicht-Gourmets: Hütten-Polenta ist ein hochviskoser Superkleber aus Gries). Wir Rifugio Rosetta Pedrottidiskutieren mit unseren Tischnachbarn, zwei Jungs aus Schwaben, die Tagespläne für morgen. Die beiden wollen auf die Cima della Vezzana (3192m), den höchsten Gipfel der Pala. Der erscheint uns zu anstrengend für eine Tagestour und auf eine Übernachtung im Biwak haben wir keine Lust, da dort weder warmes Essen noch geistige Getränke serviert werden. Wir saugen noch ein wenig Hüttenklatsch in uns auf – das ist nicht unbedingt überlebenswichtig, aber man erfährt doch immer wieder faszinierende Details. So soll beispielsweise das Essen auf der Mulaz-Hütte grottenschlecht und die Bedienung auf der Velo della Madonna-Hütte ein ordentlich apartes Ding sein. Schließlich einigen wir uns auf eine Besteigung der gletscherträchtigen Cima della Fradusta mit anschließender Nächtigung auf der Pradidali-Hütte. Basta.
1.Tag: Cima della Fradusta (2939m)
© Stefan Maday 09.04.2005