Aus dem Villnößtal zur Schlüterhütte

Aus dem Villnößtal zur Schlüterhütte

05.07.2005

In der Nacht gewittert es heftig, und die Wettervorhersage lässt nichts Gutes verlauten. Wir gehen unsere Optionen durch und beschließen bei ausgedehntem Frühstück, die Schlechtwetterphase für einen Gebietswechsel zu nutzen. Die gestrige Tour sitzt uns sowieso noch tief in den Knochen, da ist heute eine kürzere Wanderung sehr willkommen.

So brausen wir bei düsteren Wolken und starkem Regen die Tornanti wieder gen Sella-Joch hinauf. Oben beschließen wir für heute von einer Langkofel-Tour abzusehen und diese an einem schöneren Tage anzugehen. Also ab in Richtung Villnößtal. Hier rufen uns die Aferer Geiseln mit dem berühmten Günther-Messner-Steig. Dazu müssen wir das Grödnertal wieder runter und das Eisacktal bis Eingang Villnößtal wieder herauf. Was auf der Karte so nahe beieinanderliegt, zieht sich in Wirklichkeit ewig dahin. Im Villnößtal, der Heimat von Reinhold und Günther Messner, sind wir schier die einzigen, die sich bei diesem Wetter noch auf die Straße trauen. Dieses verschlafene Tälchen ist touristisch genau das Gegenteil vom überlaufenen Grödnertal mit den Zentren St. Christina und St. Ulrich.

Wir verfahren uns auf der so ziemlich einzigen Straße durch das Tal, finden aber schließlicSchnee unter 2000 mh doch den Parkplatz an der Zanser Alm (1680 m) am Ende des Tales kurz vor Mittag. Das Wetter hat sich nicht gebessert während der Fahrt, wie erhofft, im Gegenteil. Gut, wir warten – schließlich benötigen wir ja nur maximal 2 h bis zur Schlüterhütte hinauf. Trinken wir erstmal einen Kaffee in dem netten urigen Alpenkiosk gleich Ah wahrer Traum – die Alm-Öhiam Parkplatz. Da keine Wetterbesserung in Sicht ist, hängen wir gleich ein lecker Mittagsmal dran – der Wirt bietet eine reichhaltige Speisekarte – reichhaltig viel Wurstiges.

So wählen wir zwischen Speck und Würstchen die letzteren – dazu ein gepflegtes Radler. Den Nachmittag vertreiben wir uns im Wagen – nur Paul Panzer und Badesalz bringen uns jetzt noch zum Lachen. Bis 15.00 Uhr setzen wir uns ein Limit, dann gehen wir, egal, welche Kapriolen das Wetter noch schlägt. Um 15.00 Uhr gießt es dann richtig aus Eimern, so dass wir dem Wetter noch eine Frist von 30 Minuten gewähren. Dann reicht es uns. Wir kleiden uns wasserdicht, nutzen dazu auch unsere Kletterhelme als Regenschutz, machen die Rucksäcke klar und starten gen Schlüterhütte. Genau 5 Minuten später hört es zu regnen auf – und man soll es nicht glauben, die Sonne scheint urplötzlich.

Erfreut setzen wir unseren Weg durch Wald und Almen fort. Der Blick auf die Aferer Geiseln und Schlüterhütte wird frei – wir können es kaum glauben, die Berghänge sind bis weit unter 2000m verschneit, und das Anfang Juli.Wir passieren schließlich Alm-Öhis Trinkhalle in Nähe der Gampenalm. Eine winzige bewirtschaftete Alm – ca. 6 Personen dürften hier Platz finden. Weiter oben jedoch winkt uns schon die Schlüterhütte entgegen – und hier wartet SchniPo und Weizen sowie eine warme Stube. Hier ist alles weiß nur ich bin rot angelaufen.

Vor der Hütte begrüßen uns alte Bekannte, die typischen Schlüter-Hasen, die wir schon Die Geisler-Gruppe2000 hier angetroffen haben. Die Hütte ist übrigens nach dem Dresdner Franz Schlüter benannt, dem edlen Spender, der die Hütte erbauen und sie der Alpenvereinssektion Dresden überlies. Dem ursprünglichen Holzbau wurde 1908 eine Erweiterung aus Stein angefügt, und seitdem soll sich nichts geändert haben. Sehr beeindruckend ist übrigens die Gaststube – mit ihrem Panorama-Blick ins Villnößtal und auf die Geisler-Gruppe.

Nachdem wir unsere Bleibe für die Nacht klar gemacht haben, möchten wir uns eine heiße Dusche gönnen. Für den Nepper-Preis von 2,50 € gibt’s für nur 90 Sekunden fließend heißes Wasser. Gut, dass mich Stefan, der vor mir duscht, darauf hinweißt. So gelingt es wenigstens mir in dieser Rekordzeit, den Schaum komplett abzuspülen. In neuer Frische lassen wir uns das Abendmahl kredenzen – wir sehen jedoch vom Hasen ab.

Später lädt uns die Abendsonne noch zur Foto-Session ein. Sonne und Wolkenformationen liefern tolle Aufnahmen der zackigen Geisler-Gruppe. Vor der Hütte versuchen sich zwei Selbstversorger mit ihrem Campingkocher – ein Päärchen in den Flitterwochen vielleicht? Der Abend ist bitterkalt, auch in unserer 2-Bett-Stube friert’s. So lümmeln wir uns frühzeitig in die Cojen, um am nächsten Tag früh und ausgeschlafen auf den Spuren Günther Messners zu wandeln. Das Wetter ist fönig vorausgesagt – Sonne pur.

4.Tag: Der Günther-Messner-Steig durch die Aferer Geiseln

© Michael Breiden 27.2.2006

Günther-Messner-Steig / Wälscher Ring in den Aferer Geiseln

Günther-Messner-Steig / Wälscher Ring in den Aferer Geiseln

06.07.2005

Der Morgen ist bitterkalt, beim Blick aus dem Fenster erwartet uns strahlend blauer Himmel, der Schnee Die Schlüterhütte mit Geislerspitzenvon gestern ist noch nicht weggeschmolzen. Die Camper vor der Hütte sehen nicht gesund aus,Die Aferer Geiseln schneebedeckt sie hatten sich eine laue Juli-Nacht zum Zelten wohl auch anders vorgestellt. Aber sicherlich haben die Jung-Verliebten davon nix gemerkt. Wir genießen ausgiebig unser Frühstück und starten heute frühzeitig um 8.15 Uhr. Es erwartet uns eine tolle Wanderung bei ausgezeichnetem fönigen Wetter.

Zunächst peilen wir den Hausberg der Schlüterhütte an, den Zendleser Kofel (2422 m) um das Panorama auf die Aferer Geiseln und die Geislergruppe gegenüber zu genießen. Zudem bietet sich uns eine schöne Aussicht auf die Puez-Spitzen. Zu unseren Füßen die Schlüterhütte und die Gampenalm. In der Ferne glauben wir König Ortler zu erkennen. Zu den Aferer Geiseln gehts dann zunächst mal auf dem Dolomitenhöhenweg Nr. 2 in Richtung Peitler-Kofel.

Der liegt jetzt direkt vor uns zum Greifen nahe. Weiß gezuckert unter blauem Himmel wirkt er imposanter, als im letzten Jahr bei Regenwetter. Wir überlegen, ob wir die damals verpasste Besteigung des Hauptgipfels auf dem Weg mal schnell nachholen sollen, besinnen uns dann aber, und sehen von einer Blitzbesteigung ab. Denn auch auf der geplanten Route erwarten uns zwei weitere herrliche Gipfel.

Bald verlassen wir den Dolo-Highway und folgen einem kleinen Pfad. Wir sind wohl die ersten heute, noch keine Spuren im Schnee zu sehen. Der schmale Pfad schlängelt sich kreuz und quer durch die Geiseln, teilweise ist leichtes Kraxeln angesagt, aber ohne Schwierigkeit. Vor uns dann eine Leiter, der Einstieg ist etwas luftig. Da wir erwarten, dass ab sofort ein längerer Klettersteig beginnt, legen wir die Gurte zur Sicherung an.

Unten angekommen stellen wir fest, dass dort der Wanderpfad weiterführt. Hoch über dem VillnößtalAlso nix mit Klettern. Wir folgen dem Pfad weiter, er führt auf der südlichen Seite unter dem Grad entlang, so dass wir ständig Blick auf die Geislerspitzen und das Villnößtal haben. Wir sind dann doch etwas besorgt, als der Weg langsam aber stetig an Höhe verliert, haben wir doch erwartet, dass der Günther-Messner-Steig eher direkt über den Grad führt.

Zudem dachten wir, dass die Vilnößer eher mit einem Klettersteig, als einem Wanderpfad Herrn Messner huldigen würden. Haben wir durch den Schnee eine Wegmarkierung und Abzweigung verpasst? Die Karte gibt keine genauen Angaben hier.

Irgendwann geht’s dann doch wieder bergauf. Inzwischen brutzelt die Sonne schon heftiger, der Schnee ist fast verschwunden, bisserl feucht und matschig bleibt’s daher. Willkommene Abwechslung bietet eineKick ma, wat’n Panorama! Kletterstelle durch eine Spalte hinab. Der letzte Aufstieg zur Großen Ringspitze wäre dann normalerweise kein Hexenwerk. Heute macht mir die geringe Höhendifferenz aber schon zu schaffen. Vermutlich liegt mir das gestrige Schnitzel noch schwer im Magen. So lasse ich Stefan den Vortritt und folge gemächlich, schließlich hat er 15 Kilo weniger zu tragen.

12.20 Uhr: Oben erwartet uns dann ein sagenhaftes Panorama, die Große Ringspitze auf 2625 m gibt die Aussicht auf den Peitler-Kofel und auf den Alpenhauptkamm frei – heute bei fönigem Wetter haben wir eine geniale Fernsicht. Im Osten sehen wir die Kreuzkofelgruppe, dahinter die Conturines-Spitze, Tofane di Rozes und Pelmo, hinter den Puez-Spitzen winkt Piz Boe hindurch.

Der Sas Rigais und die Geislerspitzen scheinen nur einen Steinwurf entfernt, so klar ist die Sicht. Und im Südwesten sehen wir den Schlern, im Westen vor uns den Tullen – Geislerspitzenunser nächstes Ziel. Wir sind überwältigt. Aber „großer Name – kleines Kreuz“! Obwohl es sich hier um eine dem Namen nach „Große“ Spitze handelt, ziert diese nur ein kleines krummes Holzkreuzchen aus zwei Stecken gebastelt. Den kleinen Gipfel teilen wir uns mit vier weiteren Wanderern, die wohl die östliche Route für den Aufstieg gewählt haben.

Nach ausgiebigem Foto-Shooting, Pausensnack und Gipfel-Zigarette folgen wir nördlich hinter dem Gipfel endlich einem Klettersteig hinab, dann weiter direkt über den Grat – bis Über den Gratplötzlich – zunächst wirkt es wie eine Fata Morgana – auf dem Grat ein nettes Maderl in der Mittagssonne sitzt . Wir wechseln ein paar Worte und stellen fest, dass Morgana schon ein ausgewachsenes einheimisches Maderl ist. Die Bergwelt hält wohl jung – oder verklärt den Blick.

Der Weg führt hinab zum Fuße unseres heute dritten Gipfels – dann durch eine sandig Der Gipfel des Tullen, 2653mrutschige Stevie in actionScharte hinauf, über Geröllfelder schließlich auf den Gipfel des Tullen (2653 m). Bei schönstem Sonnenschein genießen wir wieder lange die tolle Aussicht, die sich jedoch vom vorherigen Gipfelpanorama kaum unterscheidet. Der Gipfel gehört diesmal jedoch uns alleine – und bietet zudem ein professionelles Kreuz.

Doch irgendwann müssen wir uns aufrappeln und den Abstieg antreten. Zunächst wandern wir noch weiter Richtung Westen – der Weg ist gesäumt von bizarren Felsformationen. Dann erreichen wir die Baumgrenze, wo wir noch einmal eine letzte Pause in einer gemütlichen Almwiese machen, bevor wir den Blitzabstieg wagen. Denn im Süden nahen die ersten Quellwolken, für den Abend waren Gewitter angesagt.

Auf der Karte wirkt der Abstieg recht kurz, jedoch sind’s vom Tullen bis zur Zanser Alm, wo unser Auto Pause in der Almwiesewartet, ganze 1000 Höhenmeter hinab. Die Knochen-Schinderei erwartet uns dann auf dem Auf dem HerrensteigHerrensteig, der uns durch Wald und Wurzeln in Serpentinen hinab ins Tal stolpern lässt.

Dann – um 17:55 kurz vor dem Parkplatz läuft der Stevie auf der letzten Rille und jammert: „I have entered a world of pain“. Hm, ich halte es wieder für seine üblichen Selbstgespräche. Am Parkplatz sehen wir dann unsere Morgana wieder, sie muss den Weg in entgegengesetzter Richtung samt Abstieg irgendwie im Eiltempo erledigt haben – ja, so san’s halt, die Alpen-Maderls mit ihra strrammen Waderl!

Über das Würzjoch fahren wir gen Pustertal und finden schließlich am späten Abend nach endlosen Tornantis eine Bleibe in Antholz. Inzwischen regnet es heftig. Die Wettervorhersage ignorieren wir erstmal. Morgen wird’s bestimmt wieder schön. Nach Pasta und Pizza – und dem obligatorischen Whisky-Cola glauben wir ganz fest daran.

5. Tag: Aufstieg vom Pragser Wildsee zur Seekofelhütte

© Michael Breiden 27.02.2006

Vom Grödner Joch über Große Cirspitze (2592m) zur Puez-Hütte

Vom Grödner Joch über Große Cirspitze (2592m) zur Puez-Hütte

06.07.2004

Noch gestern abend sind wir mit dem Wagen nach St. Christina gefahren, um dort wie vornehme Menschen zu duschen, Pizza zu vertilgen und unter sauberen Bettdecken zu nächtigen. Bei der Frage, was man denn nun mit dem Rest des Urlaubs anfangen solle, erinnerten wir uns des Grödner Jochs, das wir vor vier Jahren bereits passiert hatten und der vielen Attraktionen, die wir damals aus zeitlichen und konditionellen Gründen auslassen mussten. Wir beschlossen also zunächst eine zweitägige Tour über die Puez-Hochebene mit der Intention, diesmal alle Gipfel mitzunehmen, die wir bei unserem ersten Besuch links liegen gelassen hatten.

Nachdem wir Michaels Wagen mit einem etwas mulmigen Gefühl auf dem Parkplatz am Grödner Joch (2124m) sich selbst überlassen haben, machen wir uns sofort an die Hauptattraktion des Passes heran: den nur gut Blick vom Grödner Joch auf die Große Cirspitze400m oberhalb der Straße thronenden Gipfel der Großen Cirspitze (Gran Cir, 2592m). Der Wetterbericht verspricht wiederum Dolomiten-Standardsommerwetter: Sonne am Morgen mit im Tagesverlauf stetig zunehmender Bewölkung, die ab dem Nachmittag in Blitz und Donner kulminieren dürfte.
Der Aufstieg zur Cirspitze verläuft denkbar einfach. Erst einmal über einen Kiesweg, dann durch einen schottrigen Kar, der glücklicherweise zu dieser Stunde noch teilweise im Schatten liegt, denn ins Schwitzen gerät man allemal.Oberer KS an der Cirspitze Es folgt ein Klettersteig. Wir folgen dem Beispiel einiger anderer Berggänger und legen unsere KS-Ausrüstung an – wohl ahnend, dass wir sie kaum ernsthaft benötigen werden. Abgesehen vom Helm vielleicht. Eine rutschige Rinne bildet den Einstieg. Es folgen einige kurze Krabbelpassagen und schließlich ein weiteres gesichertes Stück. Der Weg scheint sich wie ein Korkenzieher den Hang hinauf zu arbeiten. Eine Menge Leute kommen uns bereits von oben entgegen, Zeichen dafür, dass wir spät gefrühstückt haben.

Nach etwa einer Stunde erreichen wir den Gipfel, auf dem ein ordentlicher Rummel herrscht. Plappernde Menschen, surrende Kameras und knisternde Power-Riegel-Verpackungen lassen auf einemCirspitze Gipfelkreuz solchen Pass-Panorama-Berg natürlich niemals auch nur einen Anflug von Beschaulichkeit aufkommen. Immerhin bietet sich uns eine schöne Aussicht auf das Puez-Hochland, das bis auf ein paar winzige weiße Flecken schneelos ist. Welch ein wohltuender Anblick nach der Altopiano della Pala-Show. Am Nordrand erhebt sich der Zwillingsgipfel der Puezspitze (Cima Puez, 2913m), den wir uns für morgen vorgenommen haben.

Der Abstieg führt über den bekannten Weg. Erwähnenswert ist nur, dass uns auf dem Klettersteig ein nervöser Alpenjogger überholt. Der böse Schubiak zeigt dabei wenig Rücksicht gegen andere und erst gar keine wider sich selbst. Mehrmals rutscht er aus und man wundert sich, wie er bei dem Stil überhaupt wieder lebendig im Tal ankommen will.
Leider müssen wir die Höhendifferenz, die wir eben zur Cirspitze hinauf überwunden haben, nun wenige hundert Meter weiter östlich annähernd noch einmal bewältigen – hinauf zum CirjochPuez-Spitzen vom Gipfel der Cirspitze (Passo Cir, 2469m). Statt der altbewährten Taktik, die stets darin bestand, zehn Meter zu rennen und dann solange röchelnd stehen zu bleiben, bis der Puls wieder unter 150 Schläge gesunken war, versuchen wir es heute mit einer neuen Variante: im aeroben Bereich langsam und beständig unter Beibehaltung der normalen Atemfrequenz aufsteigen. Das schont die Reserven, erfordert aber auch eine Menge Reife und Selbstdisziplin, weshalb wir erst mit Mitte dreißig auf diese Idee gekommen sind.

Auf dem Pass bullert die Sonne und ich bemühe mich peinlich, mein zerschundenes Gesicht vor ihr zu verbergen. Neidisch beäugen wir einen Bergsteigerkollegen, der sich genüsslich ein Dosenbierchen Blick auf den Sassongherreinpfeift. Wir beschließen feierlich, dass dieses auch unsere allererste Amtshandlung bei Erreichen der Puezhütte sein soll.
Nach Durchquerung einer kleinen Talsohle erreichen wir das Crespeinajoch (2528m) mit Blick auf den See. Ein steiler Abstieg bringt uns auf die Ebene hinunter. An der Forcella de Ciampac werfen wir einen Blick nach Südosten und unser morgiges Ziel: den kess über dem Tal prangenden Gipfel des Sassongher (2665m).

Der Himmel hat sich fast unbemerkt zugezogen. Auf den letzen Metern zur Hütte beginnt es zu rumpeln und zu tröpfeln. Michael treibt zur Eile. Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass so ein Gewitter doch mal ein nettes Abenteuer darstellen würde. Was sollte einem mit Helm und Regenjacke schon ernstes widerfahren können? Doch erreichen wir die Hütte noch trockenen Fußes und genießenHagel auf der Puezhütte auch sogleich das wohlverdiente Radler auf der Terrasse. Mit einem Mal beginnt es zu rappeln und zu rauschen. Zwei Wanderer rennen vom Kamm aus Richtung Puezkofel wie von der Tarantel besprungen zu uns herunter. Erbsengroße Hagelkörner krachen auf die Terrasse, begleitet von einem donnernden Crescendo. Das hätte ich dann doch nicht draußen hautnah miterleben wollen!

Das Schauspiel hält nur wenige Minuten an – ebenso wie unsere Drinks. Wir beziehen unsere Betten und machen es uns dann in der Gaststube gemütlich. Der Wirt, den wir von unserer ersten Dolomitentour noch kennen, hat in den wenigen Jahren viele Haare verloren und scheint mächtig gealtert. Ob es daran liegt, dass man ihm mittlerweile eine Frau als Kollegin vorgesetzt hat? Es wird Gulasch gereicht, bezahlt werden muss im Voraus. Nach reichlich Rommée und Radler ziehen wir uns in unser Gemach zurück. Die 8 bis 10 amerikanischen Zimmerkumpels pennen zum Glück schon.

4. Tag: Sassongher (2665m) – Grödner Joch

© Stefan Maday 09.04.2005

Puezhütte – Sassongher (2665m) – Grödner Joch

Puezhütte – Sassongher (2665m) – Grödner Joch

07.07.2004

Die Amis müssen gestern eine übermenschliche Tour hinter sich gebracht haben, denn sie schlafen immer noch, als wir unsere Zimmer räumen und uns zu neuen Taten aufraffen. Die Puez-Spitzen (2913m) stehen als erstes auf unserer heutigen Wunschliste. Wir stiefeln den feuchten Südhang des Schwarze Schafe am PuezkofelPuezkofel hinauf und erreichen bald ein komfortables Aussichtsplätzchen oberhalb der Hütte. Hier gibt es wie vielerorts ein paar schwarze Schafe. Um den knubbeligen Gipfel des Kofel herum führt der teilweise recht enge Pfad, auf dem wir hier und da noch die Hagelernte von gestern bewundern dürfen. Der Blick auf die Puez-Spitzen bleibt uns verwährt, eine dicke Wolke hat es sich über dem Doppelgipfel bequem gemacht und scheint sich gar nicht mehr verziehen zu wollen. Im Gegenteil: vom Tal her zischen Nebelfetzen mit atemberaubendem Speed zu uns herauf.

Da wir heute noch eine lange Tour vor uns haben und wenig Zeit, um auf dem Gipfel schönes Wetter abzuwarten, beschließen wir den Abbruch der Besteigung und kehren zur Hütte zurück. Dort schnappen wir unser Gepäck und folgen dem Weg Nummer 5, der in südöstlicher Richtung über die Gherdenacia-Ebene führt, eine Einöde, die vom hässlichen Kegel des Col dala Sonea („Monte Bochum“) beherrscht wird.

Der eigenartige Härtling erinnert eher an eine aufgeschüttete Kohlenhalde als an einen rechtschaffenen Dolomitenberg.Sassongher von Norden Hinter dem Passo Gherdenacio treten wir einen verschneiten Hang hinauf und bemerken voller Ungeduld, dass wir immer noch ein gutes Stück vor uns haben. Ein langer, steiler Abstieg bringt uns zu einem Sattel, der unterhalb des Gipfels gelegen einen kanonischen Rastplatz darstellt. Hier zweigt auch der Weg hinunter nach Kolfuschg ab. Der Berg liegt seit einiger Zeit im Nebel, doch nachdem wir so weit gekommen sind, wollen wir auch die letzten Meter in Angriff nehmen.

Nach ein paar sandigen, mit Baumstämmen abgesicherten Metern beginnt der Einstieg in einen Klettersteig. Wir legen das obligatorische Kletterzeug an und stehen mit dieser Maßnahme Beweisfotoziemliche alleine da. Eine Gruppe US-Bürger stürmt „unten ohne“ an uns vorbei. Zurecht, denn der Kletterspaß ist bereits nach zwei Minuten beendet. An haarigen Abgründen vorbei führt der Weg auf eine Geröllrampe. Wir ärgern uns, die Stöcke am Einstieg zurückgelassen zu haben und treten uns auf den Gipfel hinauf.

Von der anfangs erhofften Aussicht ist nichts zu sehen – nur sporadisch gibt das Wolkenmeer hier und da einen Blick auf das 1000m tiefer gelegene Kolfuschg frei. Schade wegen des Wetters, denn dieser Berg hat trotz seiner mäßigen Höhe etwas Grandioses an sich. Eine von zwei etwas reiferen Damen aus dem Allgäu schießt unser Beweisfoto. Die Mitglieder einer italienischen Expedition erreichen nach und nach den Gipfel. Man küsst und beglückwünscht sich zu der erfolgreichen Besteigung mittels Händedruck. Dieses Ritual wirkt so professionell, dass Michael und ich beschließen, derlei auch ab dem nächsten Gipfel zu praktizieren – abgesehen vom Knutschen.

Der Abstieg führt wieder über den Nordwesthang. In einem kleinen Firnfeld am Wegesrand ist das Wort „BEER“ zusammen mit einem Pfeil in Richtung Tal eingraviert, dem wir gerne folgen. Vom Sattel bringt uns ein mühsamer Abstieg bis beinahe hinunter an die Baumgrenze. Leider sind wir hier Blick zurücknoch ein mächtiges Stück vom Grödner Joch entfernt. Jede lange Tour hat ihren Punkt, an der die Quälerei beginnt und man sich nichts sehnlicher wünscht, als an ihrem Ende zu sein. Eine Skipiste hinauf, durch ein Kiefernwäldchen.

Es beginnt immer wieder zu regnen. Am gegenüberlegenden Ende des Tals baut sich die gigantische Sella auf. Allmählich erreichen wir die Höhe des Val di Mezdi. Nur nicht denken. Immer einen Fuß vor den anderen setzen. Der Pisciadú-Klettersteig. Das Val Setus. Wirkungsstätten vergangener Jahre. Endlich das Grödner Joch. Das Auto ist noch da und hat den gestrigen Meteoritenschauer schadlos überstanden. Wir fahren noch heute die wenigen Kilometer hinüber nach Alta Badia, wo wir uns für die beiden letzten Tage in San Cassiano einquartieren wollen.

5. Tag: Tagestour: Peitlerkofel

© Stefan Maday 09.04.2005

Peitlerkofel 2875 m

Peitlerkofel 2875 m

08.07.2004

Der Peitlerkofel (2875m) stellt eine Art Osterweiterung der Aferer Geiseln dar. Allerdings steht er relativ frei in der Gegend herum, was ihn zu einem knackigen Kandidaten für eine eintägige Peitler vom Würzjoch aus gesehenGipfeltour macht. Der kürzeste und bequemste Anstieg erfolgt vom Würzjoch aus. Die Fahrt von San Cassiano hierhin hat uns locker flockig eine dreiviertel Stunde gekostet. Rechnet man das späte Frühstück in der Pension dazu, wundert es nicht, dass wir heute keinesfalls die ersten Gipfelstürmer sind. Auf dem Weg vom Hotel über seichte Wiesenwege überholen wir einige Gruppen Gleichgesinnter, die beeindruckende Silhouette des Peitler stets zur Linken vor dem wenig beeindruckenden Grau des verhangenen Himmels.

Nach einem Weilchen wird der Weg enger und windet sich um einen Geröllhang auf die letzten Ausläufer der Aferer Geiseln zu. An seinem tiefsten Punkt wendet sich der Pfad nach links und Aufstieg zum Peitlerjochoffenbart ein enges Flusstal, das hinauf zur Peitlerscharte führt. Wir erfrischen uns am sprudelnden kalten Wasser, als uns ein älterer Signore anspricht. Die Unterhaltung gestaltet sich schwierig, da wir kein Italienisch sprechen und er weder Deutsch noch Englisch.

Mit Händen und Füßen bringt er uns bei, dass er uns wohl am Sonntag („domingo“) in der Pala hat umherlaufen sehen. Da bestätigt sich die alte Theorie, die da sagt: die Welt ist klein und die alpine sowieso. Bis zum Gipfel seien es noch anderthalb Stunden. Wir lassen ihn ziehen, er ist einer von diesen zähen Gräten, die es stets schaffen, die in den Wanderführern abgedruckten Zeiten einzuhalten, weil sie niemals Pausen brauchen.

Schließlich erklimmen wir den wenig anspruchsvollen Pfad hinauf zur Scharte (2361m), wo eine Batterie von Holzbänken zur Nahrungsaufnahme einlädt. Der stramme, böige Wind lässt die Luft viel kälter erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Nach ausgiebiger Erholungspause sind wir gut durchgefroren. Das ändert sich schnell, als wir uns nach Norden wenden und beginnen, die grünen Wiesen hinaufzutreten. Ein sehr einfacher aber anstrengender Weg, der in Serpentinen auf ein Plateau hinaufführt. Hier oben hat sich die steife Brise mittlerweile in einen ausgewachsenen Sturm verwandelt.

Manchmal muss ich mein ganzes Gewicht gegen den Luftstrom stemmen, um voranzukommen. Zur Rechten erwartet uns der Einstieg in den Klettersteig, der zum Hauptgipfel führt. Wir beschließen, Auf dem kleinen Gipfelzunächst den Nebengipfel („Kleiner Peitler“, 2813m) anzugehen. Der ansonsten einfache Weg wird heute zu einer spannenden Angelegenheit, muss man doch fürchten, ein hinterhältiger Windstoß könne einen einfach aus den Socken hauen. Geduckt kämpfen wir uns die seichte Rampe hinauf, stets mit respektvollem Abstand zuBlick nach Süden: Puezspitzen, Piz Duleda, Geislerspitzen allem, was irgendwie nach Böschung riecht. Endlich oben! Ich verkrieche mich in eine kleine Mulde zwischen Gipfel und einer Schneerolle am Westrand. Lange halten wir es hier nicht aus, die Finger sind bald kobaltblau vor Kälte. Zurück am Einstieg zum Hauptgipfel beraten wir uns. Auf dem Klettersteig sind wir dem Orkan wahrscheinlich nicht so sehr ausgesetzt, doch werden wir uns anschließend auf dem freistehenden Gipfel überhaupt halten können? Die Diskussion nimmt ein jähes Ende, als uns eine ganz besonders fiese Böe wortwörtlich von den Beinen reißt. Wir kauern ängstlich am Boden, bis es nach zwanzig oder mehr Sekunden endlich vorbei ist und wir wieder aufstehen können.

Zehn Jahre meines Lebens habe ich in Schleswig-Holstein verbracht und der „Blanke Hans“ hat es nicht einmal geschafft, mich von den Füßen zu hauen. Da bestätigt sich schon wieder eine alte Theorie: nirgends ist das Klima garstiger als im Hochgebirge. Die Peitlerbesteigung ist somit storniert, wir kriechen vorsichtig zurück und erreichen glücklich die Aufstiegswiese, wo nur sporadisch ein strammes Lüftchen an das Inferno da oben erinnert. An der Peitlerscharte treffen wir auf eine andere Gruppe, die ihren Versuch ebenfalls abgebrochen hat. Man rechtfertigt sich gegenseitig seine Entscheidung. „Nö, das ging einfach nicht!“ „Ist besser so!“ „Ne ne, das wäre Wahnsinn gewesen!“ „Oh Gott, meine Frisur!“ Schade trotzdem. Auf dem Rückweg beginnt es zu regnen. In einer Trinkhalle kurz vor dem Würzjoch nehmen wir schon mal einen Kleinen auf den Schrecken. In jedem Fall war das ein heute ausgewachsenes Abenteuer – und dafür geht man morgens gerne aus dem Haus.

6. Tag: Tagestour: Heiligkreuzkofel (2908m)

© Stefan Maday 9.4.2005

Von St.Christina zur Gampenalm (2062m)

Von St.Christina zur Gampenalm (2062m)

25.06.2000

(i) Erste Schritte durch die Kälte Endlich ist es soweit. Der Tag, auf den wir beide monatelang hin gearbeitet haben. Gestern Nachmittag sind wir in St.Christina eingetrudelt und haben die Nacht in der Pension Mont Blanc verbracht. Wir waren zunächst ein wenig irritiert ob der Kälte und des in der Nacht einsetzenden Dauerregens. Hieß es doch in einem Buch über die Dolomiten zum Stichwort Klima: „in der weingesegneten Region spürt man bereits einen Hauch von Italien!“ Heute morgen folgte die nächste Überraschung: die Spitze des Langkofel, die ab und an durch die tiefhängenden Wolkenfetzen lugt, ist in verräterisches Weiß getaucht. Neuschnee. In Italien. Davon lassen wir uns aber nicht entmutigen. Also die schweren Rucksäcke aufgeschnallt und los. Jetzt zahlt sich unsere gewissenhafte Vorbereitung aus. Michael ist im Vorfeld dreimal Fahrrad gefahren, während ich mich von einem Muskelfaserriß im Oberschenkel erholte. So untrainiert wagt man sich vielleicht zu Bundesjugendspielen, doch weniger in hochalpine Regionen. Da dies meine erste Berghüttentour ist, fiel mir die Entscheidung darüber schwer, was an Ausrüstung in den Rucksack gehört und was man besser zu Hause läßt. Nach den ersten Metern schwant mir bereits, daß ich mir viel zu viel Gewicht aufgebürdet habe. Ein gutes hat die Sache aber dennoch: mit 12kg auf dem Buckel kann ich gar nicht so schnell laufen, als daß ich auf dem Höhenweg oberhalb von St.Christina ernsthaft außer Atem käme.

(ii) Col Raiser
Als wir die Talstation der Col Raiser-Bahn erreichen, stellen wir erleichtert fest, daß sie schon geöffnet hat. Angesichts der vor uns liegenden Strapazen wählen wir die unsportliche Variante für den Aufstieg in Richtung Seceda: wir berappen je 13500 Lire und lassen uns gemütlich nach oben gondeln. Auf 2100m angekommen, sieht die Welt auch schon viel freundlicher aus. Der Neuschnee ist schon fast wieder weggetaut, die Wolken verziehen sich mehr und mehr und geben den Blick auf die herrlich nackigen Geisler Spitzen frei. Der Weg führt dann auch nur mäßig steil ansteigend über Almwiesen an der Troier Hütte vorbei bis zu einem Wegekreuz. Dort haben wir die Wahl zwischen der Panascharte (Forcella Pana) und der Mittagsscharte (Forcella de Mesdi). Nur durch einen der beiden Kare können wir die hinter der Alm abrupt abfallende nördliche Steilwand passieren. Per Münzwurf entscheiden wir uns für die Panascharte und erreichen wenige Minuten später den vorläufig höchsten Punkt unserer Wanderung. Bis hierher haben wir ungefähr 350Hm überwunden, gar nicht übel für den Anfang. Laut Karte war das auch schon der schlimmste Anstieg für heute. Jetzt beginnt der Spaß.

(iii) Kletterspaß an der Panascharte
Pünktlich reißt der Himmel auf und die Sonne beginnt, ihre alles versengenden Strahlen auf unsere mitteleuropäische Haut zu werfen. Ein Hauch von Italien. Schade, daß der Wind so kalt weht wie im deutschen Winter. Die Pullover bleiben an. In dem harten Licht wirkt die felsige Landschaft noch um einiges grotesker. Hinter uns, weit weg im Südosten, erhebt sich die gewaltige Sella eindrucksvoll noch über das Puez-Massiv hinweg. Sie sieht so gar nicht wie ein Gebirgsstock aus, vielmehr trutzt sie wie eine mächtige zweistöckige Burg. An ihren Rampen scheint üppig Schnee zu liegen. Wenn alles nach Plan läuft, sollten wir in zwei Tagen dort oben sein. Bis dahin hoffen wir auf eine Hitzewelle.
Vor uns liegt der namenlose Kar, den es herabzustiefeln gilt. Unschwer erkennt man die Drahtseilsicherungen, an denen man sich sicher herunter hangeln kann. Wir legen besser unsere Sicherungsgurte an. Das ist zwar nicht mein erster Klettersteig, aber es macht doch einen Unterscheid, ob man einen Felsen mit leichtem Sturmgepäck oder mit dem halben Hausrat auf dem Rücken hinunterklettert. Anfangs etwas wackelig und zögerlich bewegen wir uns die enge Schlucht hinunter. Obwohl wir keine Helme haben, brauchen wir uns vor Steinschlägen nicht zu fürchten, denn im TVB unten in St.Christina hat man uns versichert, der Weg durch die Panascharte sei absolut sicher. Mit jedem Meter steigt das Selbstvertrauen, die Felsenschlucht wird immer breiter und bald haben wir das Ende des Klettersteiges erreicht. Das war doch relativ einfach und hatte trotzdem einen hohen Unterhaltungswert. Nun erwartet uns ein anstrengender Abstieg über die Schotterpiste. Auch der hat einen gewissen Unterhaltungswert, aber mehr für unsere Knochen, Sehnen und Gelenke.
Nach einer ausgiebigen Salamipause sind wir so richtig schön durchgefroren. In endlos scheinenden Serpentinen staken wir durch das Geröll, bis wir auf 2000m Höhe schließlich wieder grünes Terrain erreichen. Michaels Knie schmerzt vom ständigen Abbremsen gegen die Schwerkraft. Arthrose im Frühstadium. Das mußte früher oder später passieren. Deswegen benutzen viele Bergwanderer Skistöcke für den Abstieg. Wir nicht.

(iv) Die Munkelweg-Odyssee An einem Bächlein kurz vor der Brogles-Hütte verlassen wir den Weg und schlagen uns nach Osten bis zum Adolf Munkel-Weg durch. Dieser soll uns bis zur Gampenalm führen, wo wir übernachten wollen. Kann nicht mehr weit sein. Das denken wir zwei Stunden später immer noch. Bis hierher war es ein ständiger Irrweg durch den Wald, immer mit gelegentlichem Blickkontakt zu den Geisler Spitzen, Reinhold Messners Hausbergen: Sas Rigais, Furcheta, Wasserkofel. In der Reihenfolge müssen wir an allen vorbei. Der Weg verläuft stetig auf und ab und windet sich in alle möglichen Richtungen, so daß ich schwören könnte, daß wir uns in der letzten Stunde unserem Ziel nicht einen Kilometer genähert haben. Wahrscheinlich eine optische Täuschung. Wir haben längst den toten Punkt erreicht, an dem wir eigentlich gar nicht mehr weiter marschieren möchten. Wir tun es nur noch, weil wir keine Alternative haben. Meine Gedanken verselbständigen sich, die Schultern schmerzen von der gewaltigen Last, die Schuhsohlen haben sich in Papier verwandelt und wir müssen immer häufiger Pausen einlegen. Kein Ende in Sicht. Die Gampenalm ist auf unseren Karten nicht mehr verzeichnet, sie könnte also überall liegen, vielleicht sogar in Österreich. Schließlich ein Funke der Hoffnung: zwei ältere Ladies überholen uns und vermelden, wir hätten nur noch eine Dreiviertelstunde vor uns. Schließlich endet der verfluchte Munkelweg tatsächlich und wir entern einen gut ausgebauten Senioren-Highway. Mit letzter Puste folgen wir den Serpentinen nach oben und erreichen schließlich doch noch die Gampenalm. Das sollte heute eine Tour zum Warmlaufen werden, für die wir fünf Stunden eingeplant hatten und für die wir letztlich acht Stunden benötigt haben. Zu unserer Ehrenrettung sei zu sagen: die beiden alten Ladies hätten das auch nicht in fünf Stunden geschafft, sie hätten mindestens sechs gebraucht.

(v) Neues vom Wolpertinger
Auf der Gampenalm (privat bewirtschaftet) herrscht ordentlich Betrieb, wir liegen mit einem knappen Dutzend Leutchen auf einem Zimmer. Zumindest gibt es hier eine Dusche, das ist weit mehr Komfort, als ich zu hoffen gewagt hatte. Hoffentlich regenerieren sich meine Bandscheiben allmählich wieder. Ich bin bestimmt 10cm kürzer als noch am Morgen.
Nach Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Weissbier sind wir soweit wiederhergestellt, daß wir das legendäre Alpenglühen bewußt miterleben können. Michael entdeckt auf dem Wasserkofel eine schemenhafte Gestalt, die sich geisterhaft zwischen den Felsen bewegt und wartet mit einer ad hoc-Hypothese auf: das könnte der berüchtigte Wolpertinger sein. Ich tippe eher auf Messner. Ein älterer Herr jedoch schwört uns Stein und Bein, daß der Wolpertinger tatsächlich existiert! Wenn dem so wäre, könnte er das fehlende Bindeglied zwischen präkambrischen Mollusken und dem modernen Tiroler sein. Eine handfeste Sensation. Vielleicht ist der Alte aber nur ebenso bierig wie wir an diesem Abend. Viel Hüttenzauber gibt es nicht mehr, obwohl aus den Lautsprechern der Gaststätte ein Best-of-Mix der Saragossa Band ertönt, schauen die anderen Gäste lieber Fußball oder liegen früh im Bett.
Um elf gehen auch wir als letzte in die Heia. Einer der Zimmergenossen schnarcht höllisch laut. Das wird eine lange, kalte Nacht.

© Stefan Maday 16.08.2000