26.06.2000
(ii) Auf dem Dolomiten-Highway zur Roascharte
Der Weg ist relativ bequem zu gehen, ohne großen Potentialverlust führt er an der Ostflanke des Wasserkofel (2610m) vorbei. Am Kreuzkofeljoch haben wir nochmal einen Ausblick auf die Schotterpisten der Geisler Spitzen, an denen wir uns gestern vorbei gequält haben, zur Linken liegt ein unbekanntes Tal, das auf der Karte nicht mehr verzeichnet ist. Dahinter ragen wieder Gipfel auf, gefolgt von noch mehr Gipfeln usw. Eine unermeßliche Landschaft, die kein Ende zu nehmen scheint. Wir würden Monate oder gar Jahre brauchen, wollten wir allein in den Dolomiten jeden Stein umdrehen und die Dolomiten sind nur ein Stück Fliegendreck auf der großen Alpenübersichtskarte (obgleich ein ganz besonders schönes). Folglich beschränken wir uns darauf, was für uns machbar ist, und nähern uns in weiten Windungen allmählich der Roascharte (Forcella de la Roa). Bald betreten wir ein gigantisches Geröllfeld, der strahlend weiße Dolomit blendet uns die Augen. So frisch wie er aussieht, kann die Lawine frühestens vor ein paar Jahrhunderten abgegangen sein.
Wir lassen die Wasserscharte rechts liegen und trampeln noch einige hundert Meter parallel zum Hang in Richtung Süden. Dann folgt der Anstieg zur Roascharte.
Der erweist sich als steil und äußerst mühsam. Der Schutt ist feinkörnig, fast wie Sand, wir finden nur schwerlich Halt. In endlosen Kehren geht es hinauf, dabei kommt der Kreislauf ordentlich in Schwung und selbst die Schweißdrüsen erwachen aus ihrer kalten Lethargie. Eine der seltenen Gelegenheiten für oben ohne Pullover.
(iii) Forcella de la Roa (2617m)
Unsere Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn solch unmenschlicher Schinderei nimmt erst ein Ende, als wir schließlich den Vertex erreicht haben, 2617m oberhalb von Venedig. Noch ein wenig prusten und keuchen, dann können wir die Aussicht genießen. Hinter uns überblicken wir den bisherigen Weg, wie er sich mühselig bis zu uns herauf windet. Im fernen Norden dräuen die fetten in Schnee und Wolken versunkenen Dreitausender der Stubaier Alpen. Vor uns gibt es nicht so viel zu sehen. Ein kleines Tälchen, das Val de la Roa, dahinter ein namenloser Bergrücken. Im Südosten scheint ein wenig die Sella durch. Wir werden heute aber noch höher steigen. Nach der Pause.
Zunächst muß ich meine Blasen pflastern. Ich hatte noch niemals Blasen in meinen Schuhen, offenbar habe ich einen schlechten Sockensatz erwischt. Im Lee der Felsen läßt es sich aushalten. Doch allzu lange sollten wir nicht verharren, denn über uns kreisen bereits die Geier und wittern vergammelnde Beute.
Der offizielle Höhenweg windet sich vor uns in das Tälchen hinunter, um an dessen Ende nach Osten abzuknicken und wieder steil anzusteigen. Ein stattlicher Umweg. Das scheint uns wenig attraktiv und wir entscheiden uns für den Abstecher nach links. Der Pfad sieht zwar nicht sehr Vertrauen erweckend aus, dafür verläuft er parallel zum Hang, so daß wir nichts an Höhe einbüßen. Nach zehn Minuten endet der Weg und mündet in eine senkrechte Felsspalte. Schluck. Eine sehr steile Via Ferrata liegt vor uns.
(vi) Schnitzel und Hüttenzauber
Das Schnitzel mit Bratkartoffeln ist rechtschaffen lecker. Der Salat ist nicht mehr der neueste, der Hubschrauber kommt erst morgen. Der Essig brennt an unseren Lippen, die Sonne hat sie uns unbemerkt verbrannt. Ich dachte, das sei nur am Südpol oder in Tschernobyl möglich.
Nach dem Essen kommt sogar Geselligkeit auf, der Wirt läßt Schnaps springen und spielt gekonnt fetzige Volksweisen auf dem Akkordeon. Viel Zeit zum Üben hat er hier oben ja. Hier gibt es keine Frauen, die ihn ablenken könnten, nur den Koch und die Schafe…Um kurz nach zehn dreht er aber den Diesel ab, wir trinken unser Bier im Schein von Michaels Taschenlampe aus und folgen bald den anderen ins Bettchen. Der Schnarcher sägt schon fleißig. Gute Nacht, John-Boy.