Durch das Grödner Joch zur Pisciadu-Hütte (2585m)
27.06.2000
(ii) Die öden Ebenen des Puezmassivs
Durch einen steinernen Trog erreichen wir das Joch und betreten schließlich die Crespeina- Hochebene, eine wilde und öde Landschaft, bestehend aus abgeschmirgelten Dolomitfelsen und Parzellen kränklich aussehenden Grases, dessen Aussaat nicht mehr als einen verzweifelten Versuch des Lebens darstellt, an diesem Ort unbedingt Fuß fassen zu wollen. Ein angemessenes Szenarium für unsere erste Pause. Die Sonne hat den morgendlichen Dunst aufgelöst und brennt inzwischen mit Vehemenz. Der Himmel ist dermaßen blau, wie man ihn im dreckigen, immerfeuchten deutschen Flachland niemals zu Gesicht bekommt. Kein Wassertröpfchen, kein Sulfatkriställchen stiehlt der Rayleigh-Streuung die Schau.
So rein, so dunkelblau. Mit einem Wort: azzuro! Meine tauben Lippen verlangen immerfort nach Einfettung. Nie wieder werde ich Werbeanzeigen für Lippenstifte mit Lichtschutzfaktor 32 belächeln. Nacken und Waden haben sich auch eine pralle Röte zugelegt, das ergibt später eine todschicke Partialbräune, die sich außerordentlich gut im Schwimmbad macht.
Ein kurzer, aber atemraubender Anstieg führt uns letztlich zum Crespeinajoch (2528m), einem steinernen Tor, das einen wunderbaren Aussichtspunkt darstellt. Wieder eine gute Gelegenheit zum Pausieren. Der Rucksack scheint nicht mehr ganz so schwer wie an den beiden ersten Tagen, an was man sich nicht alles gewöhnt. Von hier aus können wir den Langkofel wieder sehen, wie er unerwartet steil und massig aus der grünen Wiese schießt. Fünf oder sechs Kilometer Luftlinie, in zwei Tagen werden wir dort sein.
Unser Pfad wird nun ziemlich eng und führt uns bergab entlang der Schotterpiste des Col Torron. Michael hält sich wacker, offenbar bringt die Kniebandage wirklich etwas. Aber der Hammerabstieg kommt erst noch. Immer mehr Menschen strömen uns entgegen, Tagestouris, die vom Grödner Joch aufgestiegen sind. Neidisch beäugen wir ihr leichtes Gepäck, bestehend aus kleinen Rucksäcken oder gar Handtäschchen.
Nach kurzem Anstieg gelangen wir zum Cirjoch (2469m). Wieder ein neues Panorami, diesmal ist es die Sella, die bereits zum Greifen nah scheint. Leider müssen wir dazu erst einmal 350m talwärts trampeln, um danach wieder 450m hoch zu stiefeln. Eine Brücke wäre hier vielleicht angemessen…
4.Tag: Durch die Sella zur Friedrich August-Hütte
© Stefan Maday 16.08.2000