(ii) Der Weg zur Boe-Hütte
Den Weg haben wir gestern schon ausbaldowert, über den schotterigen Westhang der Pisciadu- Spitze führt er durch das Vallon del Pisciadu stetig himmelwärts. Da werden die armen Knochen sehr schnell warm. Die Hütte nebst Weiher liegt schon bald wie eine verlorene Miniatur unter uns inmitten der grotesken Trümmerhalde. Immer steiler wird der Anstieg und der Pfad biegt nach links in das winzige Tal mit dem lustigen Namen Val de Tita. Der Klettersteig, der auf der Tabacco- Karte lang und breit mit roten Kreuzen an dieser Stelle verzeichnet ist, erweist sich als zwei Meter langer Witz.
Oberhalb des Gletschers, der noch das ganze Tälchen bedeckt, gönnen wir uns das hart und redlich verdiente Frühstück. Der Wind weht heute noch kälter als üblich, da muß jetzt auch noch die Regenjacke als letztes Ass im Ärmel herhalten. Ein Hauch von Italien.
Der Berliner hat uns schnell eingeholt, kein Wunder bei dem kleinen Rucksack, den er mit sich trägt. Außerdem würde er in Berlin viel klettern, meint er. Es ist immer wieder erstaunlich, was unsere supertolle Hauptstadt alles zu bieten hat, und daß es dort sogar Berge gibt, war uns Provinzdeppen neu. Vielleicht trainiert er an den zahllosen Baukränen.
Bei der Kälte sind wir so richtig motiviert, schnell wieder Fahrt aufzunehmen. Der Pfad windet sich rechts über grobes Geröll, um schließlich auf einem verschneiten Hang wieder steil empor zu steigen. Wir sind endlich auf einem Plateau gelandet. Leider ist die Fernsicht wegen der Wolken nicht sehr ausgeprägt. Doch im Nahbereich bietet sich uns der beinahe schon gewohnte Dolomiten- Anblick: Türme über Türme, die wie Morcheln senkrecht aus dem Dunst schießen. Eine Stange kreuzt unseren Weg, als wir in Richtung Süden marschieren. Wir dürften mittlerweile etwa 2900m hoch liegen. Wir treffen die Bergers und gehen mit ihnen über das steinerne Plateau in Richtung auf den Zwischenkofel, erst einen Hang hinunter, schließlich in Serpentinen hoch auf den Gipfel (2907m). Wieder Zeit für eine Pause.
Die Boe-Hütte ist von hier aus sichtbar, ebenso der Piz Boe, den wir in jedem Fall heute besteigen wollen. Auf dem Gipfel erkennt der ungeübte Beobachter ein Häuschen und ein merkwürdiges Ding, welches am ehesten an die Leinwand eines Autokinos erinnert. Sehr merkwürdig. Der Berg selbst wirkt eher unspektakulär, wie ein rundgeschliffener Tafelberg und nicht wie die typischen Dolomitengipfel mit ihren schroffen, senkrechten Wänden. Überhaupt ähneln die Formationen auf dem Dach der Sella keinen, die wir bisher gesehen haben. Es gibt keine nennenswerte Vegetation und alles erscheint irgendwie hügelig, sanft und abgeschliffen. Die Felsen sind glatt und nur von
Karren durchzogen, Zeichen einer Karstlandschaft. Große, kantige Felsbrocken wie auf dem unteren Stockwerk sucht man hier vergeblich. Wo sollten die auch herunterfallen, wenn nicht vom Himmel. An der Nordostflanke des Zwischenkofel gähnt ein atemberaubender Abgrund, dort geht es etwa 500m senkrecht in die Tiefen des Val de Mezdi hinunter. Ein unbeschreiblicher Anblick, wir wagen es kaum, uns dem Rand der Abbruchkante zu nähern. Stattdessen marschieren wir schnurstracks weiter gen Süden und erreichen nach wenigen Minuten die Boe-Hütte (2871m). Die Hütte ist gut frequentiert, viele Wanderer kommen vom Pordoijoch hierher, trinken ein Süppchen und besteigen anschließend den Gipfel des Piz Boe, zu dessen Füßen die Hütte gelegen ist.
Als zusätzliches Highlight darf man heute den Versorgungshubschrauber bestaunen, der die Hütte immer wieder in kurzen Intervallen ansteuert und prall gefüllte Netze mit prall gefüllten Bierfässern abwirft. So funktioniert das also mit der Logistik. Reichlich umständlich, da darf man sich über die horrenden Preise für Flüssignahrung nicht beschweren.