Anreise ins Mattertal, Besteigung des Hausbergs Tschuggen (1750 m)

Anreise ins Mattertal, Besteigung des Hausbergs Tschuggen (1750 m)

23.07.2007

Anreise ins Mattertal, Besteigung des Hausbergs Tschuggen (1750 m)

Es ist wieder soweit, nach einem Jahr des Ausharrens und monatelanger Vorfreude sind wir unterwegs in die geliebten Alpen. Erstmals geht es nun in die Schweiz, wo uns die hohen 4000er Randa im Mattertalerwarten. Die Nachtfahrt fordert ihren Zoll, aber sobald die beeindruckenden Bergkämme am Horizont zwischen Bern und Lausanne auftauchen, ist die Müdigkeit wie weggeblasen. Vorbei an Montreux folgen wir dem Rhonetal bis Visp. Linker Hand die Berner Alpen, rechter Hand die Walliser. Andere Kaliber, als wir bisher gewohnt waren. Steiler, schroffer, höher. Unser erstes Ziel ist natürlich das Mattertal, an dessen Ende das Walliser Highlight wartet: das berüchtigte Matterhorn.

Unser Plan ist es, in einem der Vororte von Zermatt zu übernachten, um morgen von einer 3000m hohen Aussichtsloge den vollen Blick auf das Horn der Hörner zu genießen. Die Suche der Unterkunft erweist Abendruh, juhuu!sich in diesem Touristental schnell als schwierig. Schließlich werden wir in Randa fündig. In einem etwas veralteten Haus „Abendruh“ der Oma Walli. Anspruchslos wie wir sind, freuen wir uns nur auf eine Mütze Schlaf und stören uns nicht an der Möblierung und RandaDekoration aus den 60ern. Trotz Nacht ohne Schlaf machen uns bald auf den Weg zum Hausberg – „schon mal bisserl warm machen“.

Der Weg führt durch unser Dorf, vorbei an alten Holzhäusern auf Steinpfählen und dem früheren zentralen Backesofen. Nach 45 Min. durch Wiesen und Wald stehen wir auf dem kleinen Gipfel des Tschuggen, den ein beachtliches Kreuz schmückt, das ich bei so manchem 3000er noch nicht gesehen habe. Der Tschuggen ist im Grunde ein kleines Hügelchen unterhalb der Mischabel-Gruppe mit den 4000ern Täschhorn, Dom, Lenzspitze und Nadelhorn. Die sparen wir uns heute und ruhen in der blühenden Sommerwiese aus.

Unübersehbar: Die Zeichen des jüngsten Bergsturzes von 1991. Am Morgen des 18. Aprils stürztenTschuggen riesige Felsbrocken ins Tal. Drei Wochen später, am 9. Mai 1991 rutschte der Berg ab und die Geröllmassen begruben u.a. die Verbindungsstrasse und die Strecke der Brig-Visp-Zermatt-Bahn. Auch die durch das Tal fliessende Matter Vispa wurde durch das Geröll gestaut und bedrohte mit ihren Bergsturz bei RandaWassermassen den Ort. Das Wasser wurde daraufhin mit Elektropumpen über das Hindernis gepumpt. Doch Geröll und Wassermassen verschütteten diese. Die tiefer gelegenen Ortsteile Randas wurden am 16. Juni 1991 überschwemmt. Innerhalb von drei Wochen rutschten in Randa 30 Millionen Kubikmeter Fels ab. Die Felsmassen begruben 33 Landwirtschaftsgebäude und Ferienhäuser sowie einige Pferde und Schafe. Eine mehrere Zentimeter hohe Staubschicht bedeckte das Tal.

Leider bleibt uns heute ansonsten der Blick auf hohe 4000er aufgrund heranziehender Vorboten eines Gewitters noch verschlossen. Aber wir sind zuversichtlich für die nächsten Tage – und hoffen, dass weitere Bergstürze ausbleiben.

Gastronomie-Tipp: Die Pizzeria in Täsch, direkt an der Hauptstraße. Hier kann man seine Pizza komplett selbst zusammenstellen und dafür eigene Namen kreieren. Je nach Einfallsreichtum kann das zur allgemeinen Belustigung der Tischnachbarn führen, wenn der Ober dann die Kreation namentlich präsentiert und serviert.

Oberrothorn (3415 m) und Unterrothorn (3103 m), Zermatt

© Michael Breiden 22.01.2008

Oberrothorn (3415 m) und Unterrothorn (3103 m), Zermatt

Oberrothorn (3415 m) und Unterrothorn (3103 m), Zermatt

24.07.2007

Oberrothorn (3415 m) und Unterrothorn (3103 m), Zermatt Stellisee und FlualpDas nächtliche Gewitter hinterließ tiefliegende Wolken am Morgen. Aber wir sind uns sicher: es zieht bald auf! Nachdem uns die Bahn nach Zermatt zu teuer ist, fahren wir mit dem Wagen nach Täsch und nutzen einen Park- & Taxi-Service. Zermatt ist komplett autofrei, zahlreiche kleine Elektrovehikel, teilweise mit lustigen Umbauten, schnurren leise durch die Gassen und schrecken hier und da asiatische Touristen auf, die sich zu Hunderten auf den Straßen tummeln. Das Mattelholn scheint auf deren Rimpfischhorn, FindelgletscherEuropatour eines der Highlights zu sein. Eigens für diese Touristen wurde der Gornergrat Turnschuh-tauglich präpariert und per Bahn zugänglich gemacht, damit der Tagestouri einfach und schnell die Aussichtsloge für das Matterhorn erreicht. Das nennt man gute Vermarktung – es ist für Lauffaule unmöglich vom Mattertal aus das Matterhorn gratis zu sehen! Wir nehmen die weniger frequentierte unterirdische Standseilbahn hinauf auf Sunegga und eine Gondel Findelgletscherweiter nach Blauherd. Schon hier erwartet uns eine großartige Aussicht, aber die höchsten Gipfel verstecken sich noch immer im weißen Dunst. Unsere Aussichtsplattform heißt Oberrothorn und ist 3415 m hoch. Noch ist es frisch, so lassen wir schnell die Gondel hinter uns und folgen einsamen Pfaden in Richtung Flualp. Vorbei am kleinen Stellisee, auf dessen Wasseroberfläche sich bei schönem Wetter das Matterhorn in seiner ganzen Pracht spiegelt. Leider haben wir heute Pech, wir sehen das Horn nur halb. Der Himmel hellt sich zwar zunehmend auf und die Sonne strahlt jetzt hindurch, das Horn aber bleibt schüchtern verhüllt. Glasaugen beobachten alles Uns begeistert die nun sichtbare Gletscherwelt der 4000er ringsherum. Im Süden das Breithorn, Castor und Pollux, im Osten vor uns das Rimpfischhorn und der Weissgrat mit der Cima di Jazzi. Der riesige Findelgletscher zieht sich weit ins Tal hinab. Bis zur Hütte ist es wenig Weg zur Freiheitanstrengend, erst nach unserer kleinen Latte-Macchiato-Pause folgen wir steileren Passagen serpentinenartig, mal auf schmalem, mal auf breiterem Weg hinauf zur Einsattelung Furggji zwischen Unterrothorn und Oberrothorn. Dessen steile Westflanke sieht wenig einladend aus. Den Pfad entlang, auch „Gornergrat mit BreithornWeg zur Freiheit“ genannt, stehen diverse moderne Skulpturen, die „magischen Glasaugen“ haben ein waches Auge auf die Sicherheit der Wanderer und mahnen gleichzeitig zur Vorsicht. Der gut angelegte Weg auf der Südseite ist lang, aber einfach und völlig ungefährlich, so dass wir nach 2 h auf dem Gipfel stehen und für die Mühen belohnt werden. PanoramaPanorama   Wir genießen den Blick z.B. auf Rimpfischhorn, Monte Rosa, Liskamm, Castor, Pollux, Breithorn, Matterhorn sowie Zinalrothorn und Weißhorn im Westen. In Richtung Mischabelgruppe im Norden bleibt uns der Blick verwehrt. Trotz Wolken ein beeindruckendes Panorama auf die Walliser Matterhorn Welt der 4000er. Die Abstiegsroute folgt zunächst dem bekannten Pfad, zweigt dann Unterrothornaber in der Furggji hinüber zum Unterrothorn ab. Vielmehr handelt es sich hier um einen Vorgipfel, der mit der Seilbahn erreichbar ist. Über eine breite Ski-Piste quälen wir uns etwas hinauf – persönlich sind mir Steige lieber, da man hier bessere Trittmöglichkeiten hat, eine solche glatte Piste beansprucht doch arg die Fersen und Waden. Unterhalb des Unterrothorns wird der Pfad jetzt wieder interessant, denn unser Abstieg führt uns über Ritzengratden Ritzengrat. Ein spannender Gratweg mit teilweise ordentlichem Tiefblick. Dabei ständig gegenüber das Weißhorn und das wolkenverhüllte Matterhorn im Blick, dass sich später sogar für kurze Zeit blicken lässt – allerdings für sehr kurze Zeit. Bei ca. 2500 m geht das felsige Gelände in grasige Matterhorn zieht aufHänge über. Von der Station Sunegga aus lassen wir uns hinunter nach Zermatt fahren, finden alsbald unser Taxi am Stadtrand wartend und fahren zurück in unsere Absteige nach Randa. Am Abend beobachten wir im Haus gegenüber noch eine Weile die reglose Oma Bates, Norman scheint nicht zuhause zu sein – saugruselig.

Wannehorn und Seetalhorn, Grächen

© Michael Breiden 22.01.2008

Ankunft in Sulden – Aufstieg zur Düsseldorfer Hütte

Ankunft in Sulden – Aufstieg zur Düsseldorfer Hütte

04.08.2006

Sulden im gleichnamigen TalFür unsere neuntägige Bergtour haben wir in diesem Jahr den „Vinschgau“ gewählt, italienisch Val Venosta.. Der westliche Teil Südtirols ist über Italiens Grenzen hinaus für Apfelanbau bekannt. Unter Bergbegeisterten gilt er indessen als Eldorado. Denn hier erwarten den Alpinisten fast 100 Gletscher und mehr als 70 Gipfel über 3000 Höhenmeter. Und die regenärmste Region Südtirols und gleichzeitig eines der trockensten Gebiete der gesamten Alpen bietet meist stabiles gutes Bergwetter. Erreichbar von Deutschland über Fern- und Rechenpass, über Imst und Landeck in Österreich – vonWeg zur Düsseldorfer Füssen aus 160 km in 2-3 Stunden. 

Das den Vinschgau prägende Tal der Etsch wird im Norden von hohen Ötztaler Bergen begrenzt. Hier entspringt der zweitlängste Fluss Italiens, die Etsch. Und hier wurde auch die bekannte Gletschermumie „Ötzi“ oberhalb des Niederjochferners im Similaun-Gebiet auf 3210 m Höhe gefunden. Im Süden dominiert die gewaltige Ortlergruppe. Der riesige Bergstock von 50 km Länge und 40 km Breite ist nach dem höchsten und mächtigsten Gipfel der Gruppe benannt – dem 3905 m hohen „König“ Ortler. Neun der hiesigen 3000er haben wir uns vorgenommen.

Von den Bergen ist leider während der Fahrt kaum etwas zu sehen. Im Vinschgau geht es rechts ab über Gomagoi und Prad ins Ortlergebiet. Erster Ausgangspunkt ist das Suldental mit dem kleinen Ort Sulden auf 1845 m am Fuße des Ortlers. Un  en dreistündigen Aufstieg, durch den Bachlauf des Zaybachs (obwohl Weg Nr. 5 einer der schönsten Steige in Sulden sein soll!), gondeln per Kanzellift auf 2348m und erreichen die Düsseldorfer Hütte in 1,5 Stunden Fußmarsch.

Der vom Hüttenwirt persönlich gut ausgebaute und wenig steile Wanderweg Nr. 12 lädt auch viele Tageswanderer auf ein Schmankerl in die Hüttenstube ein. Und bietet auch Sandalentouristen ein Panorama der Extraklasse auf Ortler & Co.

Während des Aufstiegs reißen dann und wann die Wolken auf – der Anblick lässt uns Böses erahnen. Es gab Neuschnee! Das Anfang August! Und nicht zu knapp!

Bald erreichen wir unser Tagesziel, Rifugio Serriston auf italienisch. Von hier aus lassen sich – je nach Können – drei bis vier Dreitausender besteigen. Und die Umgebung dieser gut geführten Hütte gehört mit den großen Felsblöcken, den Gletscherschliffen sowie den herrlichen Nah- und Fernblicken zur Schönsten in Südtirol.

Die Hütte ist sehr gefragt, wer hier mehrtägige Touren plant, sollte sich vorab auch über www.duesseldorferhuette.com informieren und seine Unterkunft frühzeitig reservieren.

Wir verbringen den Spätnachmittag und Abend in der Gaststube bei Wiener Schnitzel, Weizenbier und ausgedehnter Tourenplanung für die nächsten Tage, bevor wir pünktlich zur Bettruhe im gemütlichen 2-Bett-Zimmer den wohlverdienten Schlaf finden.

2.Tag: Tschenglser Hochwand (3375 m)

© Michael Breiden 15.01.2007

Tschenglser Hochwand (3375)

Tschenglser Hochwand (3375)

05.08.2006

Am Morgen lässt sich König Ortler gegenüber des Tales blicken. Der fast 4000 m hohe Riese strahlt im Morgenlicht. Bei der ersten Zigarette hole ich mir fast Erfrierungen. Stefan freut es sichtlich, dass er als König Ortler mal wolkenfreiNichtraucher heute nicht leiden muss. Wir genießen um 7.00 Uhr ein gutes Frühstück und erkundigen uns beim Hüttenwirt über Wetter- und Wegverhältnisse. Er scheint nicht ein Mann klarer Worte zu sein, legt sich über Weg-Zustand und Wetter ungern fest, aber es „soll wohl schöner werden“. Irgendwann. Es sei noch niemand nach dem Neuschnee Schnee Anfang Augustoben gewesen, daher könne es etwas schwierig sein. Wir starten also, um unseren diesjährig ersten 3000 zu ersteigen. Dazu haben wir ausgerechnet den Zungenbrecher Tschenglser Hochwand gewählt. Sie gilt als Nonplusultra für trittsichere Wege-Bergsteiger. Mit 3375 m einer der höchsten Gipfel rund um die Hütte. Die Spannung am Morgen ist groß. Starten wir doch in eine uns unbekannte Region. Alleine, fort von allem uns Bekannten und Sicheren.

Der Zugang zur Hochwand begeistert durch seine Vielfalt, malerisch sind die Blockfelder mit Trümmer und BlockwerkRiesentrümmern bis zur Hausgröße. Der Höhenweg Nr. 5 schlängelt sich durch gewaltiges Blockwerk und Geröll, das einst große Gletscher als Moränen liegen ließen. Am kleinen See „Seenlin i Laghetti“ gabelt sich der Pfad laut Karte. Heute sehen wir hier nur eine Fußspur – und die zeigt in Richtung Angelusspitz und Schafbergspitz (Weg 5a). Im Neuschnee haben wir es schwer Wegmarkierungen zu finden. Dieses heitere Suchspiel soll uns leider bis zum Gipfel erhalten bleiben.

Mit jedem Höhenmeter scheint der Schnee tiefer zu werden. So hangeln wir uns von einer Markierung zur nächsten. Drei weitere Bergsteiger folgen uns stetig auf Abstand – das ist ja auch leichter. Am Einstieg des Klettersteigs „hagelt“ es Eiszapfen, die sich in der zarten Morgensonne weit oben lösen. Der vom Hüttenwirt persönlich angelegt Steig wäre Eiszapfen hageln herabmörderisch.

Alternativ führt der steile Serpentinenweg durch eine Geröllrinne zur Scharte am Südwest-Grat. Schneefrei gut markiert, bei Neuschnee kaum auszumachen. Die Chance auf den heutigen Gipfel schwindet – ähnlich wie die Kraft, denn Schnee und Wegsuche wirken nun doppelt anstrengend – oft finden wir nicht den ursprünglichen Weg, steigen einfach die Rinne bestmöglich nach oben. Was zunehmend auch in Kletterei durch Schnee und Eis übergeht.

Der Gipfelaufbau lässt jetzt echte Spannung aufkommen. Zum Außergewöhnlichen gehört der ständige Blick auf die berühmten Nordwände von Ortler (3899m) – heute, Anfang August, alles in weiß gehüllt.

Der Hohe Angelus gegenüberNach zwei Stunden machen wir Pause und lassen die Gruppe vorbeiziehen, damit diese Vertainspitze mit Hängegletscherab jetzt die Vorarbeit leisten kann.

Weiter folgen wir dem Pfad über den steilen Grad, wo wir immer wieder die Hände brauchen, um einzelne Stellen zu überwinden, oder teilweise auch freihändig über schmale vereiste Gräte balancieren müssen. Eine heikle Sache. Jeder Tritt musste hier sitzen. Trotz mulmigem Gefühl im Magen treibt uns das sichtbare Gipfelziel weiter. Unwiderstehlich die Anziehungskraft. Jetzt nicht mehr zurück.

Schließlich überwinden wir zwei ansonsten leichte Klettersteigpassagen. Heute durch Schnee und Eis oberer Gipfelaufbau der Tschenglser HochwandKlettern an der Hochwandzwar erschwert aber mühelos und ungefährlich, dank Sicherungen am Drahtseil.

Solche Kletterstellen sorgen immer für zusätzliches Adrenalin und steigenden Puls. Das aber wiederum für neue Energie. Die letzten Meter zum Gipfel lassen auf glitschigem Schnee und Fels ohne Sicherung das Adrenalin steigen. Nach vier Stunden haben wir den höchsten Punkt erreicht.

Das Gipfelerlebnis ist gewaltig. 2500 m überragt das breit gelagerte Felsmassiv den Vinschgau, 600 m ist die Nordwand, 300 m die Südflanke hoch. Und die Grate strotzen von wilden Felszacken. Die waagerechten Eiszapfen am Gipfelkreuz verraten, welch kalte Stürme hier herrschen. Die Aussicht ist grandios – auf die Eisriesen Ortler, Monte Zebru und Königsspitz, auf die 500 m hohe Nordwand der Vertainspitze mit ihrem Hängegletscher sowie auf die Steilabbrüche des Gletschers der Großen Angelusspitze. Zum Greifen nah lassen sich jede Eiswulst, jeder mit Neuschnee gezuckerte Felssporn mit bloßem Auge erkennen. Gen Norden dann der Tiefblick in den sommerlichen Vinschgau. Überwältigend! Und überwältigend das Gefühl, nur durch eigene Kraft diesen Koloss bezwungen zu haben.

Nach ausgiebigem Beglückwünschen mit Handshake, Gipfel-Foto-Shooting, Pausensnak mit Wasser, Keksen und Zigarette treten wir vor den anderen Bergsteigern – Tschechen, wie sich herausstellt – wieder den Abstieg an, um die Kletterstellen in unserer Geschwindigkeit gehen zu können. Beim Aufstieg haben uns die Tschechen hier Michael am Gipfelaufgehalten und für unkomfortable Warterei im Steilhang gesorgt. Die Kletterstellen wirken von oben furchterregend, sind aber leichter im Abstieg passierbar. Der Schnee wird arg sulzig, die Trittsicherheit lässt nach, und das Bombardement mit Eiszapfen wird teils gefährlich. Wir begegnen einer weiteren Gruppe beim Aufstieg, die uns danken, dass wir den Weg gespurt haben. Nach nur 2 h sind wir wieder am Seenlin i Laghetti, wo sich alsbald auch die Tschechen zu uns gesellen – im Rausch des Gipfelsturms plaudern wir fröhlich miteinander – wir haben es geschafft – die Tschenglser Hochwand sollte unser bisher höchster und schwierigster Berg der Ortler-Tour bleiben.

Bis zur Hütte, wo Südtiroler Köstlichkeiten für die Anstrengung belohnen, ist es jetzt ein halbstündigezurück durch haushohe Trümmerfelders Kinderspiel. Auch Stefan ist sichtlich erleichtert und entspannt auf seine Weise. Die spätere Freude bei Rückkehr zur Hütte ist noch größer. Vermutlich ist es die Freude, der Gefahr getrotzt zu haben, gesund zurückzukehren – oder ganz einfach die Entspannung nach stundenlanger Anspannung – die Gelöstheit nach dem „Kick“.

Der Wirt der Düsseldorfer Hütte kennt die Geschichten, die abends bis in seine Küche vordringen, während er südtiroler Köstlichkeiten kredenzt. Die Gipfelstürmer reflektieren das Erlebte, der eine lautstark, der andere ruhig in sich gekehrt – aber alle mit zufriedenem Lächeln. Alles ist vergessen. Nur das hier und jetzt zählt. Job, Heimat, Familie – alles weit weg hinter den Bergen. Radler und Schnitzel schmecken uns heute besonders gut. Bald träumen wir vom König Ortler und seinen vielen Genossen drum herum, die wir alle bezwingen wollen.

3. Tag: Hinteres Schöneck (3128 m)

© Michael Breiden 27.02.2006

Hinteres Schöneck (3128 m)

Hinteres Schöneck (3128 m)

06.08.2006

Eigentlich steht der Hohe Angelus mit seinen 3521m auf unserem Plan. Die Wetterbedingungen sind aber alles andere, als ideal. So nehmen wir uns heute das weniger schwere „Hintere Schöneck“ vor. Der Hütten-Hausberg gilt als Aussichtsloge der Extraklasse gegenüber der Ortler-Nordwand mit seinem 3899m hohen Gipfel und dem mächtigen Gletscherdach der Nordseite. Der Gipfel bietet sich als Höhepunkt einer Abstiegsroute ins Tal an.

Hinter der Hütte geht’s nach Weg Nr. 25a schräg zum breiten Bach hinab und über Bretter ans andere Gipfel im NebelUfer. Der Weg führte uns über Schutthalden zum Steilgelände, durch steiles Gras, Trümmerflächen und Schrofen – über Rippen und quer durch Rinnen in der Flanke weit empor. Dann quer durch das Steilgelände über Platten und Blockfelder zum Gipfel herauf, der nur wenig aus dem Kamm hervorragt.

Die Route von der Düsseldorfer Hütte zum Hinteren Schöneck ist steil und voller Überraschungen, da der Weg durch die zerfurchte Felsflanke von unten nicht auszumachen ist. Inklusive weniger Pausen erreichen wir den Gipfel nach nur 1 h 45 Min., womit wir in einer guten Zeit liegen.

Das als Aussichtsloge geltende Schöneck zeigt sich heute weder schön noch aussichtsreich. Düstere Nebelwolken verhüllen jegliche Talblicke und lassen es zudem noch auf uns herabschneien. Entsprechend kurz fällt die Gipfelpause aus. 1200 Höhenmeter Abstieg nach Sulden stehen bevor. Auf und neben dem Südrücken geht es abwärts, teilweise wieder über mächtiges Blockfeld und über gut ausgebaute Plattenwege bis zum völlig unauffälligen vorderen Schöneck (2908 m). Dieser vordere „Gipfel“ ist für Wanderer, die sich auf einfachen Bergpfaden wohl fühlen, bei schönem Wetter ebenso ein tolles Ziel, erreichbar von Sulden herauf, da dieser gewöhnlich schöne Blicke auf die Eisklötze Ortler, Monte Zebru, Königsspitze und hinab ins Suldental verspricht.

Die Bezeichnung „Gipfel“ ist aber leicht übertrieben, es ist eher ein Grashügel, der vordere eines langen Das Vordere SchöneckKamms. Wir verlieren über den Pfad Nr. 25 bei einsetzendem Regen und Wind jetzt über den Kamm abwärts schnell an Höhe. Bei ca. 2750 m dann in steile KüheWiesenhänge diagonal abwärts über die Stieralm zur Kalberhütte nahe der Waldgrenze. Ein zuvor nicht eingezeichneter Weg, für uns aber eine vermeintliche Abkürzung, offenbart sich als Sackgasse und endet bei Lawinenschutzgittern. Zurück bei Kalberhütte vorbei stolpern wir nun den breiten Wald- und Forstweg hinab nach Sulden. Die 1200 Höhenmeter sind trotz einfachem Weg nicht zu unterschätzen, brauchten wir doch über 4 Stunden dafür.

Die nächsten Nächte belohnen wir uns für die Knochenschinderei mit einem luxuriösegegenüber der Ortlern Talquartier, ausgestattet mit Dusche und Fernseher. Nun wussten wir die Vorzüge einer herrlich warmen Dusche wieder zu schätzen – und deren wundersame Belebung müder Muskulatur. Belebt wurde die letzten Tage aber noch mehr. Trotz körperlicher Anstrengung spürte ich eine herrliche Belebung meines Geistes. Die Wahrnehmung wurde geschärBrotzeit bzw. Kekszeitft. Als ob ich meine natürlichen Instinkte wieder finde. Jeder Stein, jede Pflanze aufgesogen und gespeichert. Und die Zeit verrinnt tagsüber scheinbar langsamer, jede Minute lebe ich intensiver. Die Erfahrung mit dem Wesentlichen, dem Ursprünglichen – eine enorme Erholung für den Geist. Und das entfaltet erstaunliche körperliche Energie, die ich tagtäglich bis in allen Gliedern zu fühlen glaube. Ich nehme an, Kumpel Stefan empfindet ähnliches, denn als Großstädter aus Köln setzt er hier eine erstaunliche Energie frei – zäher Bursche.

Unser Restaurant-Tipp: Die Bärenhöhle
Wir machen eine wirklich gute Pizzaria aus: die Bärenhöhle. Der Besitzer – offensichtlich ein Motorrad-Freak, hat aus einer alten Scheune eine urige Pizza-Höhle mit tollem Ambiente geschaffen. Und Olio-Picante hat er auch.

4.Tag: Hintere Schöntaufspitze (3325 m)

© Michael Breiden 15.01.2007