Elferkofel
04.08.2016
1.Tag: Elferkofel
Gipfel: (1) Elferspitze (2505m), (2) Nördlicher Elferturm (2495m) Ausgangspunkt: Elferlift Bergstation (1794m) Höhendifferenz: 750m Gesamtdauer: 7h Ausrüstung: Via Ferrata (Helm, Gurt, Klettersteigset) Bedingungen: Sonnig und trockenNach zweijähriger Pause sind wir im Jahre 2016 endlich wieder auf Achse in unseren geliebten Alpen. In diesem Jahr sind wir im Stubaital zu Gast. Bereits gestern fielen wir in Neustift ein und haben in der Pension Sonnleitn spontan eine gute Unterkunft für die ersten Nächte gefunden. Der Übernachtungspreis liegt zwar nördlich dessen, was wir im Schnitt in den letzten Jahren in Österreich berappt haben, aber dafür haben wir eine geräumige Ferienwohnung mit Gletscherblick bezogen und heute morgen beim Frühstück von unserer Wirtin die „Stubai Super Card“ ausgehändigt bekommen, mit deren Hilfe wir alle Bergbahnen und einige andere Attraktionen im Stubaital gratis benutzen können.
Besagte Karte bringt uns heute morgen schon einmal sorgenfrei hinauf zur Bergstation der Elferbahn, Startpunkt unserer Einlauftour auf den Elferkofel. Das Wetter startet sonnig, einige der höheren Gipfel liegen noch in Wolken, doch verspricht es ein formidabler Tag zu werden.
Der Elferkofel ist im Grunde nicht mehr als ein felsiges Krönchen am Nordostende einer Bergkette, die vom Habicht (3277m) dominiert wird. Der Name Elfer rührt daher, dass die Sonne gegen elf Uhr morgens von Neustift aus betrachtet über (oder hinter) dem Berg steht. Gleich zwei Klettersteige führen auf den Elfer. Wir haben uns für den einfacheren der beiden entschieden, der den schroffen Hauptgifel von Süden nach Norden überquert.
Als wir aus der Gondel springen, werden wir gewahr, dass dies das Dorado der Paraglider ist. Ein Dutzend selbstmörderischer Gesellen schickt sich an, sich vor den Augen der schaulustigen Touris mit ihren bunten Schirmen gen Tal zu stürzen. Wir hingegen schlagen den Weg zur Elferhütte (2080m) ein, die wir in gut 20 Minuten über einen gutmütigen Waldweg erreichen. Wir verweilen nicht lange, da wir nicht abschätzen können, wie lange wir für die Elferüberschreitung brauchen werden und wir möchten auf keinen Fall die letzte Bahn nach Neustift verpassen.
Wir marschieren über grüne Wiesen und links um das Elfermassiv herum auf dem kaum ansteigenden Panoramaweg, der seinem Namen zur Ehre gereicht, bietet er doch eine phänomenale Aussicht auf das enge Pinnistal unter uns und die zackigen Gipfel auf der gegenüberliegenden Talseite: Kirchdachspitze, Ilmspitze und Kalkwand, um nur einige zu nennen. Die Berge erinnern in Form und Farbe ein wenig an die Dolomiten. Auch der Elferkofel, der wenige hundert Meter über uns aus der Wiese aufsteigt, wäre am Falzaregopass nicht vollkommen fehl am Platz. Weiter vorn am Pinnisjoch liegt die Innsbrucker Hütte, unverzichtbarer Stützpunkt auf dem Normalweg zum Habicht, dessen Gipfel immer noch wolkenverhangen ist. Auf den letzten Metern zum Zwölfernieder (2335m, Nieder = Joch) kommt endlich der Kreislauf in Wallung. Nach einer guten Stunde Genusswanderung ab der Elferhütte lassen wir uns auf einer gut situierten Sitzbank mit Blick über das Stubaital nieder und füllen unsere Mägen.
Eine große Gruppe Wanderer holt uns ein, wenigstens 20 Personen. Einige starten direkt zum Gipfel der Zwölferspitze (2562m) durch, der südlich des Jochs gelegen ist. Andere warten unten auf ihre Rückkehr. Von einer Dame erfahren wir, dass die Gruppe aus Litauen stamme. Wir brechen auf zur Besteigung des Elfers. Ein kurzer Trampelpfad bringt uns zum Einstieg in den Klettersteig. Ein einsamer Kletterer steigt soeben das erste Drahtseil steil hinauf. Wir legen unsere brandneuen Klettergurte an. Die alten waren nach 15 Jahren schlicht zu klein geworden und kniffen doch arg in den „Familienjuwelen“.
Der Klettersteig (KS) wird im Internet (das immer Recht hat) mit dem Schwierigkeitsgrad B/C angegeben, was wohl ‚mittelschwer‘ bedeutet. Nach einem steilen Anfangsstück beruhigt er sich ein wenig, führt über einen kleinen Absatz und eine Traverse zu einem nicht minder steilen Stück. Gute Griffe und Tritte sind auf dem polierten Felsen rar. Mika, der den Vorsteiger macht, ist ein wenig skeptisch, ob dies wohl unserer Kategorie entspräche. Ich bin auch nicht sehr glücklich über die Tatsache, dass ich meine Handschuhe vergessen habe. Mit von Schweiß und Sonnenschmiere glitschigen Händen fällt es schwer, sich am Drahtseil hinaufzuschwingen und freies Klettern in dieser Kategorie erscheint mir wirklich gewagt. Laut Internet nimmt der Aufstieg zum Gipfel an die zwei Stunden in Anspruch und wir pfeifen jetzt schon auf der letzten Rille. Wir einigen uns also, das kurze Stück zurückzuklettern und den alternativen Weg zum Gipfel zu nehmen, der mit einem Minimum an Kletterei auskommt. Wir sind halt klassische Bergsteiger – was zählt, ist der Gipfelerfolg, der Stil hat sich dem unterzuordnen.
Beim Ablegen der Klettergurte passiert uns ein weiterer einsamer Klettergeselle. Als er von meiner Bredouille erfährt, spendet er mir netterweise ein paar seiner Arbeitshandschuhe für mein nächstes Klettersteigerlebnis. Der Wanderpfad windet sich oberhalb des Panoramaweges die schroffen Felsformationen vermeidend auf den breiten Grat hinauf. Fast übersehen wir den Einstieg zum KS auf die Elferspitze. Der Anstieg über die Gratkante ist nicht minder steil als auf der anderen Seite. Doch dieses Mal wimmelt es im Felsen von Drahtstiften und Trittklammern. Damit und mit meinen neuen Handschuhen ist selbst die enge Rinne relativ leicht zu bewältigen. Nach Traverse eines geneigten Blockes und einem Spreizschritt, bei dem ich mir wünschte, meine Beine wären vorübergehend 10cm länger, folgt ein weiterer beinahe senkrechter Aufschwung und schon stehen wir keuchend auf dem Gipfel, wo uns ein alter Bekannter erwartet – der erste Kletterer von der Südseite. Er war über den KS ebenso schnell wie wir über den Spazierweg …
Den Gipfel schmückt kein Kreuz, sondern eine Art Rakete aus Holz. Die Aussicht ist fantastisch, mittlerweile sind die tiefen Wolken verschwunden und wir vertiefen unsere Orstkenntnisse anhand unserer Landkarten. Im Nordosten am Taleingang prangt die eindrucksvolle Nase der Serles, dem „heiligen Berg Tirols“, der uns schon von der Brennerstraße aufgefallen war. Im Südwesten präsentiert sich nun auch der Habicht von seiner wolkenlosen Seite – ein imposanter Klotz. Nach kurzer Diskussion, ob nicht vielleicht der halbseidene Notabstieg dem Abklettern über die Stahlseile vorzuziehen sei, finden wir uns doch auf dem Klettersteig wieder. Die Rinne bereitet wie erwartet einige Schwierigkeiten. Es gibt nun einmal keine Norm für Bergsteiger, was Körperlänge und -fülle betrifft und Tritte sind von oben definitiv schwerer auszumachen als von unten.
Am Ende landen wir wieder auf dem breiten Boden der Tatsachen. Das war ein wohldosiertes Abenteuer für den ersten Tag. Wir sind rechtschaffen platt aber happy über unsere kormfortablen neuen Gurte. Es lockt hier oben laut Karte noch ein zweiter Gipfel genannt Nördlicher Elferturm. Er scheint das begehrte Ziel vieler Wanderer zu sein, u.a. der Gruppe aus Litauen, die uns mittlerweile überholt hat. Überraschenderweise ist der Elferturm ohne KS erreichbar. Nur die letzten Meter zum Kreuz erfordern leichte Kraxelei. Es herrscht Stau. Eine charmante junge Dame erklärt uns auf Englisch, dass nur wenige Personen gleichzeitig zum Gipfel aufsteigen könnten. Wir warten ungeduldig auf unseren Auftritt, etwas hin- und hergerissen zwischen Gipfelsammelgier und der Besorgnis, wir könnten die letzte Talfahrt mit der Elferbahn verpassen. Schließlich ist es soweit, ein kurzes schrofiges Stück hinauf und die nächste Warteschlange. Offenbar bietet der Gipfel nur Platz für eine einzige Person. Also einzeln hoch über ein paar Drahtstifte, das Kreuz abklatschen und fix wieder hinunter, da schon der nächste Gipfelstürmer auf seine Gelegenheit erpicht ist – ein unvergessliches Erlebnis. Immerhin belehrt uns eine Plakette, dass wir soeben einen der „Seven Summits“ des Stubaitals bestiegen haben, eine Tatsache, deren Tragweite uns erst noch bewusst werden muss.
Der Abstieg über den breiten, zunehmend grasigen Bergkamm nimmt sehr viel weniger Zeit in Anspruch als befürchtet und so erreichen wir die Bergstation der Bahn deutlich vor Feierabend.
© Stefan Maday 10.09.2016
3.Tag: Nürnberger Hütte und Mairspitze