10.08.2016

7.Tag: Serles

Gipfel:                        Serles (2717m) Ausgangspunkt:         Bergstation der Hochserlesbahn (1600m) Höhendifferenz:         1200m Gesamtdauer:           8h Ausrüstung:               Bergwanderung (Rucksack) Bedingungen:             Nebel, Schnee
Die (offenbar weibliche) Serles ist wohl neben dem Habicht und den Gletschern am Zuckerhütl das Aushängeschild des Stubaitals. Sie ist schon von Innsbruck aus sichtbar und spätestens bei ihrem Anblick von der Stefansbrücke an der Brennerstraße haben wir uns in ihre perfekte Form verliebt. Vom Brenner her blickt man auf den Nord- und den Nordostgrat, die den spitzen Hauptgipfel einrahmen. Von Südwesten führt ein technisch wenig anspruchsvoller Bergweg auf die Gipfelrampe. Der „heilige Berg Tirols“ gilt als einer der schönsten Aussichtsgipfel der Stubaier Alpen. Kein Wunder also, dass unsere Wirtin heute morgen beim Frühstück die Nase rümpfte, als wir die Serles als heutiges Tagesziel deklarierten. Denn das Wetter zeigt sich nach dem gestrigen Trauerspiel immer noch trübe und bedeckt. Doch einen weiteren Tag ohne Gipfelversuch halten wir nicht aus. Außerdem besteht immer die Hoffnung, dass der Himmel aller Vorhersagen zum Trotze doch noch aufzieht. Eine gute Gelegenheit, meine „Fensterhypothese“ zu testen, die da sagt: an einem nebligen Tag besteht die beste Chance auf einen klaren Gipfelblick um die Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten steht. Generell steigt die Wolkengrenze zum Mittag hin an, um sich dann wenig später wieder abzusenken. Diese Regelmäßigkeit ist mir während vieler Bergwanderungen auf den britischen Inseln aufgefallen, wo selbst die muckeligsten 800m Gipfel an 9 von 10 Tagen in Wolken liegen. Wir sehen also zu, dass wir um 9 Uhr in Mieders an der Talstation der Serlesbahn stehen. Noch herrscht Trübsal, doch wir setzen all unsere Hoffnung auf das „Mittagsfenster“. An der Bergstation nehmen wir zur Kenntnis, dass unser (gratis-)Rückticket uns alternativ zu einer Talfahrt mit dem „Serlesblitz“, der Sommerrodelbahn, berechtigt – das könnte ein spektakulärer Ausklang unserer Tour werden. Bevor die eigentliche Bergtour beginnt, heißt es, zunächst einen Hatscher zum Kloster Maria Waldrast (1638m) über eine von Schreinen gesäumte Forststraße zu absolvieren. Hier genehmigen wir uns eine erste Pause. Einige italienische Damen füllen ihre Trinkflaschen mit Wasser aus einer Heilquelle. Wir begrüßen sie standesgemäß mit den Worten „buon giorno“ und haben damit leider auch schon unsere gesamten Italienischkenntnisse ausgereizt. Ein Schild klärt uns über den Umstand auf, dass das Wasser energetisch rechtsdrehend sei und auch gerne zur Bachblütentherapie eingesetzt werde. Scheint alles pseudowissenschaftlich recht fundiert zu sein, also greifen auch wir zu unseren Flaschen. Ich pumpe direkt einmal einen halben Liter von dem Nass ab und – was soll ich sagen – plötzlich ist mein Durst wie durch ein Mirakel weggeblasen! Hier am Brunnen startet auch der ausgeschilderte Steig zur Serles. Nach zwanzig Minuten Anstieg durch ein Waldstück erreichen wir bald den Serles-Panoramaweg, eine lange Traverse durch Latschen unterhalb der SO-Flanke des Berges. Alle paar hundert Meter wird der Weg durch ausgewaschene Schotterrinnen unterbrochen. Wir legen eine zweite Pause ein. Als wir uns eine halbe Stunde später wieder auf den Hacken befinden, vermisse ich plötzlich meine Kamera! Ich Schussel muss sie am letzten Pausenplatz zurückgelassen haben… Wir marschieren zurück und finden sie dort nicht. Denn sie befand sich tatsächlich die ganze Zeit über in der Tasche meiner Fleecejacke. Sie ist so klein, dass ich sie beim Suchen glatt übersehen hatte. Ich muss an unsere ersten gemeinsamen Dolomitentouren denken, auf denen ich stets meine analoge Spiegelreflexkamera dabei hatte, die noch das Gewicht und die Ausmaße meiner Steigeisen hatte. Zumindest konnte ich die nicht in den Untiefen meiner Jackentasche verlieren. Der arme Mika ist umsonst mit zurückmarschiert. Durch diese Aktion haben wir wenigstens 20 Minuten verloren und unsere Aussicht, das Mittagsfenster zu treffen, die sowieso nicht rosig war, ist damit noch dünner geworden. Denn tatsächlich hat sich der Nebel kontinuierlich gelichtet, der gute Blaser (2241m) im Süden ist schon aufgezogen. Wir gehen durch ein Gatter und ein Bimmeln im Gebüsch verrät uns, dass wir uns ab jetzt im Feindesland befinden. Jeden Augenblick erwarten wir, dass die braununiformierte, gehörnte Infanterie aus dem Hinterhalt über uns herfällt. Doch die Viecher lassen uns dieses Mal gewähren. Die Wolkengrenze steigt kontinuierlich an, vor uns zieht die schneebedeckte Lämpermahdspitze (2595m) auf und als der Pfad endlich nach Westen hinauf zum Serlesjöchl biegt, quittieren wir den Anblick eines Fleckens blauen Himmels mit Verzückung – da ist es, wie bestellt, das Mittagsfenster. Leider befinden wir uns wenigstens eine Stunde vom Gipfel der Serles entfernt – wird das Fenster bis dahin halten? Als wir die letzten, beschwerlichen Meter zum Joch durch den weichen Schnee stiefeln, wird uns klar, dass wir zu spät kommen. Das Fenster hat sich wieder geschlossen, der Nebel ist zurückgekehrt. Geisterhaft wabert er um die Rote Wand herum, eine absurde Zinne auf dem Grat zwischen Serles und Lämpermahd. Am Joch haben wir uns eine feuchte und kalte Rast verdient. Die Stimmung ist gedrückt, doch wir beschließen, den Gipfel der Serles zu ‚machen‘, wo wir nun einmal hier sind. Es scheint nutzlos, mit Umständen zu hadern, die sich unserem Einfluss entziehen. Der Gipfelanstieg erweist sich auch unter den heutigen Bedingungen als wenig schwierige Bergwanderung. Gleich zu Beginn gilt es, eine Felsstufe mittels einer kleinen Leiter und einigen Seilsicherungen zu überwinden. Der Pfad führt kurzfristig ausgesetzt am Grat entlang, bis wir die angesprochene Gipfelrampe erreicht haben, auf der er in vielen Serpentinen hinauf bis kurz unterhalb des Gipfels zieht, wo noch ein paar kurze Kletterstellen auf uns warten. Den Fußspuren zufolge sind wir dann doch nicht die ersten oder einzigen Besteiger am heutigen Tage. Da sind wir also, auf dem Erste-Klasse Aussichtsgipfel über dem Stubaital – doch ohne seine phosphoriszierende Grashüpferjacke vermochte ich den Mika neben mir kaum zu erkennen. Der Abstieg verläuft ereignislos auf dem gleichen Weg. Wir gewinnen das Rennen mit dem Feierabend der Bergbahnbediensteten, doch leider ist die Sommerrodelbahn am heutigen Tage geschlossen, wohl weniger wegen des Wetters als wegen fehlender Touristen.  

8.Tag: Rinnenspitze

© Stefan Maday 10.09.2016