Aufstieg zur Seekofelhütte

Aufstieg zur Seekofelhütte

07.07.2005

Am morgen ist das Wetter kaum besser. Der Regen hat zwar nachgelassen, aber die Wolken hängen tief im Tal.Wir beschließen heute zur Seekofelhütte in den Pragser Dolomiten aufzubrechen. Denn unser Ziel ist die Besteigung des Seekofels. Dieser „einfach“ zu besteigende Gipfel beindruckte uns schon vor einigen Jahren, thront er doch herrschaftlich direkt über dem Pragser Wildsee mit seiner steilen, konkav geöffneten Nordflanke. Von Antholz aus sind wir mit dem Wagen ca. 30 Min. unterwegs und parken auf einem der großen Parkplätze vor dem Hotel am See. Dieser ist eigentlich immer ein beliebtes Touristenziel.

Bei gutem Wetter ist der See und das Grünwaldtal Ausgangspunkt für zahlreiche interessante unterschiedliche Tages- und Mehrtagestouren in der Region. Besonders beliebt in den Pragser Dolomiten sind Herrstein, Großer Roßkofel, Dürrenstein und eben der Seekofel mit der Seekofelhütte. Die Blick zurück auf den Seeeinfachste Rundwanderung ist die um den See selbst, was hier für zahlreiche Spaziergänger, Beinkranke usw. sorgt, da diese Runde locker auch in Sandalen machbar ist.

Beliebt auch bei schlechtem Wetter, wie heute. Wir kämpfen uns durch das Touristengetümmel rechts um den See herum. Viele dieser Leute sehen partout nicht ein, auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen und glauben, jeder hinter ihnen müsse sich ihrer mäßigen Geschwindigkeit anpassen. Dazu wird lautstark palavert oder per Handy telefoniert. Irgendwann biegen wir ab zum Talaufstieg und lassen diese nervigen Leute hinter uns. Hier begegnen uns nur wahre Bergfreunde, die, wie wir, die Ruhe zu genießen wissen und sich selbst entspechend verhalten.

Leider fängt es leicht zu regnen an, aber noch sind wir guter Dinge und glauben an Wetterbesserung am Nachmittag. Sollten wir frühzeitig die Hütte erreichen, werden wir noch heute den Seekofel besteigen, insofern das Wetter mitspielt. Von der Idee sollen wir uns bald verabschieden. Bald sind wir von Wolken umgeben. Am ersten Rastplatz, einer Weggabelung, die wir dummerweise nicht als solche erkennen, machen wir uns dann fertig für einen feucht-fröhlichen Aufstieg. Ziel für heute ist dann nur noch die Hütte – die laut Angaben in nur 2,5 – 3 Stunden vom Parkplatz am See aus erreichbar sein soll. Wenn man den kürzesten Weg wählt.

Wir schlagen dummerweise den Umweg ein. Als wir dies bemerken, entschließen wir uns nicht zur Die Nordflanke des SeekofelsUmkehr, um die wertvolle Höhe nicht wieder zu verlieren. Wind und Regen nehmen zu. Der Weg führt uns bald über eine schier endlose Felsplatte, die bei unserer Gehgeschwindigkeit viel Trittsicherheit abverlangt. Sie ist nur so mit Spalten und Löschern durchzogen, die im Laufe der Jahrmillionen durch Wasser ausgewaschen wurden. Bei schönem Wetter würde es mir hier sehr gut gefallen, denke ich mir so. Wenn mir aber langsam und stetig das Wasser durch Regenschutz und Hose rinnt, vergeht mir der Spaß an solchen Unternehmungen. Ich merke, dass es Stefan nicht anders geht, trotzdem muntern wir uns gegenseitig auf und verkaufen uns den Tag als tolles Erlebnis, als „Eins werden mit den Elementen“ – dazu gehört eben auch die Erfahrung mit Dauerregen.

Irgendwo retten wir uns unter eine alleinstehende Tanne, die ewas Schutz bietet. Denn ansonsten wächst hier oben nur Gras. Zur Nässe kommt unweigerlich die Kälte. Daher legen wir jetzt den Speed-Gang ein. Irgendwann bemerken wir, dass wir über einem langen Grat unterwegs sind. Laut Karte muss er direkt zur Hütte führen. Mittlerweile regnet es heftig – und durch den starken Wind auf dem Grat leider dazu noch waagrecht. Ich spüre das kühle Nass bereits von oben bis unten auf der Haut. Jetzt ärgere ich mich über das billige Teil von Regenjacke und schwöre mir, dass dies heute ihr letzter Einsatz war.

Die Wolken sind hier so dicht, dass ich Stefan 10 m vor mir kaum erkenne. Wo bleibt sie denn nur, die Hütte? Plötzlich stehen wir direkt vor ihr, so dicht ist der Nebel, dass wir sie erst unmittelbar aus der Nähe erkennen können. Wir retten uns in den völlig überfüllten Eingangsbereich. Weitere Wanderer Stevie in der Seekofelhüttepellen sich hier aus ihren ebenfalls triefend nassen Klamotten. Zum Glück habe ich hier bereits ein Zweibett-Zimmer vorbestellt. Die Hütte – 1907 erbaut -, verfügt über Schlafräume unter dem Dach, getrennt durch einfache Bretterwände, die mehr als Sichtschutz, denn als Lärmschutz dienen. Wir beziehen unser Quartier und stellen fest, dass der unbeheizte Dachboden keine Trockenmöglichkeit bietet. Einzig trocken ist mein Ersatz-T-Shirt, -Unterhose und -Socken.

Also behalten wir die nassen Hosen und Pullover einfach am Gaststube der SeekofelhütteLeib, damit diese in der beheizten Gaststube trocknen. Hier verbringen wir den Spätnachmittag und Abend bei heißem Tee, Radlern und einer lecker warmen Mahlzeit. Wir sind uns einig, dass diese Hütte auf unserer Bewertungsliste einen der hinteren Ränge bekommt, denn die sanitären Anlagen, Waschgelegenheiten und Schlafräume lassen doch sehr zu wünschen übrig. Man scheint sich hier darüber bewusst zu sein, dass auch ohne dieses Komforts die Hütte aufgrund der einmaligen Lage immer gut besucht sein wird.

Die Nacht wird nicht angenehm, Kälte und Feuchtigkeit sitzt tief in den Gliedern, zudem prasselt der Regen weiter heftig direkt auf das Dach über meiner Coje. Doch dann wird es ruhig – und ich denke noch so bei mir, dass es wohl zu regnen aufgehört hat. Ja, das hat es sehr wohl.

6. Tag: Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

© Michael Breiden 27.02.2006

Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

Abstieg zum Pragser Wildsee und Ende der Tour

06.07.2005

Am nächsten Morgen sind wir nach dieser ungemütlichen Nacht früh wach. Die Sonne scheint, und der Neuschnee am MorgenBlick aus dem Fenster bietet ein ungewöhnliches Panorama – komplett in weiß. Es liegt 5-10 cm Neuschnee, alle Gipfel ringsrum sind winterlich weiß.

Schnell geht’s ab nach draußen zur Foto-Session, denn das wird uns in Deutschland kaum einer glauben. Leider sind noch nicht alle Kleidungsstücke trocken, aber was soll’s. Der morgentliche Waschgang fällt dann aufgrund des Andrangs an wenigen Waschbecken eher dürftig aus. Ähnlich ist es mit dem Frühstück bestellt. Wir erkundigen uns beim Hüttenwirt über die Wegverhältnisse zum Seekofel, dieser rät uns von einer Besteigung ab, zu klitschig sei der Steig – und die Wegmarkierungen wären nicht sichtbar.

Mürrisch treten wir den Rückweg an – und schlagen heute die kürzere Wegstrecke ein. Trotz Sonnenschein also heute kein Gipfelglück. Die Stimmung ist gedrückt. Der Weg führt uns durch riesige Geröllhänge, Felsbrocken, die die Nordflanke des Seekofel einst zierten und irgendwann den Weg ins Tal angetreten sind. Tatsächlich sind die roten Markierungen Blick zurückanfangs wirklich nicht zu erkennen durch den Schnee. Je weiter wir absteigen, desto wärmer wird es, wir haben das Gefühl, vom Winter in den Sommer zu wandern.

Bald begegnen uns die ersten aufsteigenden Wanderer in T-Shirt und kurzen Hosen. Unsere unterschiedliche Kluft – wir in dicken Pullovern verpackt – bringt uns ins Gespräch. Durch Wälder über Stein und Wurzeln führt der Weg schließlich an die Weggabelung, die wir vom Vortag kennen. Gestern haben wir diesen Weg völlig übersehen. Er hätte uns 1 h Kälte und Nässe erspart.

Am Pragser Wildsee angekommen – hier tobt der Tagestouristenrummel wie immer – faulenzen wir dann erstmal direkt am See und belustigen uns mit Steinewerfen. Zurück zum Parkplatz nehmen wir die nun andere Uferseite, die hoch oben im Fels teilweise schöne Tiefblicke und eine schöne Aussicht über den See bietet.

So richtig touristisch wird’s dann rund um die Imbissbuden und Trinkhallen unmittelbar beim Hotel bzw. Sommer im Talbei den Parkplätzen. Aber auch wir gönnen uns Wurscht und Pommes – und überlegen, was wir mit dem Nachmittag anfangen. Die Sonne schwindet jedoch inzwischen wieder. Alsbald Zurück am Pragser Wildseemachen wir uns auf den Weg Richung Misurina und Auronzohütte am Fuße der Drei-Zinnen. Schlechtes Wetter lässt uns hier dann erneut umkehren. So verbringen wir Abend und Nacht im bekannten Sexten, Ortsteil Moos im Haus einer urigen netten alten Dame. Hier fanden wir vor Jahren eine super Pizzaria, wo wir uns auch heute wieder verköstigen lassen – Pizza mit viel Olio picante!

Am nächsten Morgen erzählt uns die alte Dame beim typisch südtiroler Frühstück, dass bereits Theo Übernachtung in Sexten/MoosWaigel in jungen Jahren zu ihren Gästen zählte. Dabei schimpft sie auf die Italiener – zählt sich als Südtirolerin selbstverständlich nicht dazu. Sodann brechen wir auf mit wehmütigem Gefühl im Magen.

© Michael Breiden 27.02.2006

Die Besteigung des Herrstein (2447m) am Pragser Wildsee

Die Besteigung des Herrstein (2447m) am Pragser Wildsee

06.07.2001

(i) Wildsee statt Firnschnee
Es ist bereits halb zwölf mittags, als wir uns vor dem Hotel am Pragser Wildsee wiederfinden. Nicht, dass wir wegen Völlerei und nächtlicher Exzesse so lange in unseren gemütlichen Federn gelegen hätten. Vielmehr sind wir heute morgen schon fast 3 Stunden lang mit dem Auto in der Gegend herumgekurvt auf der Suche nach einem adäquaten Gipfelchen.
An der Talstation der Cristallobahn kurz vor Cortina d’Ampezzo wusste man zu erzählen, dass der Lift erst ab morgen fahre und dass man in der Gipfelregion wegen des vielen Schnees sowieso nicht viel unternehmen könne. Der wildeste ist er eigentlich nichtSchade, hatten wir uns doch für unseren letzten Tag einen hübschen Törn über den Dibonasteig ausgedacht nebst Besteigung eines Dreitausenderzinkens, welcher doch einen würdigen Jubiläumsgipfel (Nr.25) für mich dargestellt hätte. So hieß es – wieder einmal – umdisponieren, die Karte auf der Motorhaube ausbreiten und aus den vielen grauen Flecken einen als angemessenen Ersatz auswählen. Schließlich landete Michaels Finger auf eben jenem kleinen blauen Etwas am Nordrand der Pragser Dolomiten mit angeschlossenem Zweitausender – genannt Herrstein (Sasso di Signore).
Der Pragser Wildsee (Lago di Braies) präsentiert sich uns als ein wirklich idyllisches Gewässerchen mit klarem, blaugrünem Wasser und in drei Himmelsrichtungen umsäumt von den steilen Bergen der Pragser Dolomiten. Auf knapp 1500m Seehöhe gelegen, bietet er ein angenehmes Klimat für Seeumrunder und Tretbootkaleuns.

(ii) Apostolo Grande – ein Hauch von Italien
Wir umkurven den kleinen Nordzipfel des Sees und kehren seinem Ufer bald den Rücken, denn unser Weg mit der Nummer 58 führt uns direkt in den Wald hinein. Beim ersten geringen Anstieg tropft uns bereits der Schweiß in der Mittagsschwüle. Der große EinzelkämpferbaumWir entschließen uns, oben ohne weiterzustiefeln. Das schont die Kleidung und ergibt dank der Rucksackriemen attraktive Sonnenbrandmuster auf der Haut. Der Wald weicht schließlich einem weißen Schotterfeld und wir gönnen uns die erste Trinkpause.
Hinter dem großen Einzelkämpferbaum beginnt die Nordwand der Apostelkette, in der sich der Pfad allmählich in Ost-West-Richtung aufwärts windet. Die Strecke stellt keine besonderen Ansprüche an den Berggeher, lediglich an einer Stelle wird uns etwas mulmig: über uns vernehmen unsere Lauscher ein verdächtiges Geriesel, und als wenig später neben uns kleine Steinchen einzuschlagen beginnen ist alle Müdigkeit mit einem Male weggefegt und wir beschleuingen unseren Schritt vehement. Wie wir später feststellen werden, befindet sich oberhalb der Wand ein 45 Grad steiler Schotterhang und wir können uns lebhaft vorstellen, wie instabil so eine Rampe ist. Da mag schon ein Hüsterchen ausreichen und ab geht die Post.
Schweißgetränkt betreten wir schließlich einen kiefernüberwucherten Sattel. Nach rechts führt ein Trampelpfad zum Gipfel des Großen Apostel (1995m) hinüber, der nur einen halben Steinwurf entfernt liegt. Auf der Sitzbank stehend genießen wir den schwindelerregenden Ausblick auf den 500m unter uns liegenden See.

Das ist er also, mein 25. Alpengipfel, fast schon über der Baumgrenze… nicht gerade einer, von dem ich meinen imaginären Enkeln berichten müsste…und doch eigentlich ein ganz gemütlicher.

Bis zum Pass am Fuße des Herrstein haben wir noch 200Hm netto zurückzulegen und diese erweisen sich in der drückenden Hitze als äußerst beschwerlich. Lästige Insekten besummen uns und das mediterrane Kiefergestrüpp schrammt an unserer Haut herum, während wir uns den ausgetretenen Pfad im Schneckentempo hinaufquälen. Unsere Wasservorräte haben sich bereits bedenklich verknappt. Das vermeintlich nahe Rauschen eines Baches enttarnt sich als akustische Fata Morgana. Am Fuße des Herrstein pennt dieser Herr einEndlich weicht die Vegetation dolomitösem Schotter, wir entdecken gar ein wenig Schnee und haben irgendwann – wer zählt schon die Minuten – den Weisslahnsattel (Sella Lavina Bianca, 2194m) erreicht.
Wir werfen einen Blick auf die Südseite des Herrstein, dessen Gipfel immer noch steile 250Hm von uns entfernt liegt. Plötzlich macht sich seitens der Opposition heftige Kritik an der Sinnhaftigkeit der Besteigung breit, mit anderen Worten: Michael hat keine Lust mehr. Hört er denn das Rufen nicht? Sind wir soweit vorgedrungen, um im Angesicht des Ziels aufzugeben? Ich jedenfalls fühle mich bei meiner Masochistenehre gepackt. Ein wenig Kalkül ist natürlich auch dabei. Sollte es tastächlich einen Gott geben, so könnte man die Option auf ein wohltemperiertes Jenseits doch gewiss ein wenig vergrößern, indem man unter schlimmsten Entbehrungen auf seinen ureigenen Stein pilgerte.
Für lange Dispute sind wir viel zu müde und gelangen deshalb zu einem schnellen Konsens: ich werde solo hochsteigen, während Michael die verantwortungsvolle Aufgabe obliegt, das Basislager zu bewachen und die Grasmatten auf ihre Elastizität hin zu testen. Eine Stunde bis anderthalb werde ich wohl benötigen. Sollte ich länger fortbleiben, dann hätten wir beide ein kleines Problem.

(iii) Die Besteigung des Herrstein (2447m)
Da der Anstieg sich anfangs nur mäßig steil den Hang durch Kiefergestrüpp hinaufschlängelt, gehe ich selbigen ziemlich forsch an. Zu forsch, denn bald schon droht mir die Puste auszugehen. Im mittleren Drittel wird es steil und äußerst rutschig. Ich muss meine Stöcke immer wieder tief in die Humusschicht rammen und mich selbst auf kraftraubende Art und Weise hinterherziehen. Im oberen Drittel dominiert endlich fester griffiger Fels. Ich arretiere die Stöcke am Rucksack, denn hier ist des öfteren Handarbeit angesagt. Nach etwa zwanzig Minuten bin ich an einer Felsmauer angekommen. Vor dem Überwinden mache ich zum letzten Mal Winki-Winki zum Michael, danach verliere ich den Sichtkontakt mit dem Basislager.
Jenseits der Mauer angelangt ist meine Verwirrung groß: vom ersehnten Gipfel fehlt jede Spur. Der schmale Pfad windet sich ebenerdig um mehrere Felsblöcke herum und schlüge mir das Herz nicht schon bis zum Halse, so würde mich der gähnende Abgrund unter mir zur Langsamkeit ermutigen. Die Dolomiten haben in ihrer Entwicklungsgeschichte besonders viele schroffe Klippen hervorgebracht, doch dank des hellen Gesteins wirken diese nicht gar so düster und bedrohlich wie andererorts in den Alpen. Durch die gute Ausleuchtung hat man zumindest nicht dieses unangenehme Gefühl, im Ernstfall von einem schwarzen Loch verschluckt zu werden. Das sollte aber noch lange kein Grund sein, übermütig zu werden.
Endlich kommt der Gipfel in Sicht, rund wie ein Pudding und umsäumt von einem steilen Felsband. Die Seilsicherung nutzt mir herzlich wenig, denn meine Kletttersteigtakelage liegt beinahe 1000 Meter tiefer im Kofferraum des Wagens. Doch die abgewetzten Felsen verraten mir, dass die Ideallinie sowieso um ein gutes Stückchen links vom Seil liegt. Vorsichtig ziehe ich mich die wenigen Meter hinauf, laufe erstaunt noch eine kleine Wiese hinauf und stehe alsbald auf dem Gipfel des Herrstein.

Ein Blick auf die Uhr: exakt eine halbe Stunde habe ich gebraucht. Ich entlocke meiner ausgedörrten Kehle einen krächzenden Jodler als Gruß an den Zurückgebliebenen und gebe mir selbst 10 Minuten Zeit für das Gipfelglück-Management. BeweisfotoDie Aussicht ist schnell abgehakt, zu waschküchig ist die Atmosphäre, als dass ich mir irgend etwas genauer betrachten wollte. Wenigstens ist von dem befürchteten Gewitter weit und breit nichts zu sehen. Das Gipfelkreuz ist relativ neuwertig, aus Metall, sehr schön, auch ein Sponsorenschild fehlt nicht. Das Beweisfoto mit Selbstauslöser ist obligatorisch. Ebenso das Zigarettchen, sobald der Puls nicht mehr gar so sehr flattert.
Schließlich kann ich der Versuchung nicht widerstehen, meinen Namen in den hölzernen Sitzbalken zu kratzen, der wohl einst der Längsbaum des ursprünglichen Kreuzes war. Viele Markierungen habe ich während der letzen Tage in den Dolomiten hinterlassen. Sie alle zeugen von meiner Existenz, meinen Hoffnungen, meinen Wünschen und meinen Taten. Doch wird nur diese eine länger bestehen als bis zum nächsten Regenschauer. Während des Abstieges habe ich zwanzig Minuten Zeit, meinen überstürzten Aufbruch vom Gipfel zu bereuen. Das ging alles viel zu hektisch vonstatten, eigentlich hätte ich den Michael ein wenig schmoren lassen sollen. Gelohnt hat sich der kleine Abstecher jedoch allemal. Ein interessanter Gipfel, nicht zu einfach, nicht zu schwer. Wie für mich und den heutigen Tag gemacht.
Im Mitteldrittel der Südwand stolpere ich beinahe meiner eigenen Schotterlawine hinterher. Erst im letzten Augenblick finde ich Halt und Gleichgewicht wieder. Das Schicksal meint es bekanntlich gut mit Helden, Kindern und Dummköpfen.

(iv) Das Ende
Michael hat sich während der letzten Stunde im Basislager ausgiebig erholt und angeödet. Wir meditieren noch ein wenig über der Frage, ob der formlose Klotz weit im diesigen Osten vielleicht unsere gute alte Schusterplatte sein könne. Im Südosten machen wir eine Gestalt auf dem nahegelenen Gipfel des Großen Rosskofl (2559m) aus. Dieser wäre vielleicht auch ein lohnenswertes Ziel für uns gewesen, doch jetzt hören wir kein Rufen mehr.
Wir brechen auf. Der Abstieg führt uns über den 26er durch ein nicht enden wollendes Schotterfeld. Ein Bach rettet uns vor der Dehydration und nach zahlreichen Serpentinenkilometern begrüßen wir einen Senioren-Highway, der uns um den Seewald herumführt, uns kurz einmal in St.Veith ausspuckt und uns endlich bleierner Beine zum Pragser Wildsee zurückbringt. An dessen Ufer ist es mittlerweile einsam geworden, sechseinhalb Stunden nach unserem Abmarsch heute mittag. Auch auf die Gefahr hin, ein katastrophales Artensterben anzustoßen, lassen wir es uns nicht nehmen, unsere Stinkfüße im kalten Wasser zu baden. Was kümmert’s uns, schon morgen hat uns die Realität wieder und das Wunderland wird nur noch in unserer Vorstellung weiter existieren.

Mein spezieller Dank gilt Michael und der Kontinentalverschiebung, denn ohne die beiden wäre dieser Urlaub so nicht möglich gewesen.

© Stefan Maday 13.08.2001