30.06.2000
(iii) Pass des Schmerzes
Der Einstieg in den Klettersteig ist nicht zu übersehen, denn er spuckt peu a peu die Mitglieder einer Reisegruppe aus. Eine interessante Gesellschaft, bestehend aus einem jungen Mädchen und einigen älteren Herren. Einer fragt uns über den sagenhaften König Laurin ab, der einst im Rosengarten residiert haben soll, doch zu diesem Thema haben wir nicht viel beizusteuern.
Ein wenig mulmig ist uns schon zumute, als wir mit angelegten Gurten den Eisenweg betreten. Was wird uns dort erwarten? Nach den ersten Metern wird schnell klar, daß er auch nur ein Klettersteig wie viele andere ist. Leider führt er abwärts, unangenehm zu klettern, weil man nicht genau sieht, wo man hintritt. Aber Sicherungen gibt es reichlich und in den oft engen Spalten kann man auch nicht sehr tief stürzen. Highlight ist ein rutschiger kleiner Gletscher, der sich wie ein erstarrter Sturzbach über den Fels ergießt. Am über Kopf gespannten Seil hangeln wir uns hinüber ans andere Ufer.
Immer wieder kommen uns Wanderer entgegen, dann wird es eng. Zwischendurch einmal ein kurzer Anstieg, doch dann geht es wieder gnadenlos abwärts. Die Knie fangen allmählich wieder an zu schmerzen. Jeder kleine Hüpfer, jede kleine Drehung der Gelenke wird schließlich zur Tortur. Wer kennt nicht das Gefühl, bei jedem Schritt einen Eispickel durch die Kniescheiben gestoßen zu bekommen, der dann noch ordentlich in der Wunde herumgerührt wird. War der Klettersteig bisher ganz unterhaltsam, beginne ich nun das Ende herbeizusehnen. Das rückt in Gestalt der Rosengartenhütte immer mal wieder in Sicht, scheint jedoch nicht näher zu kommen. Mein Bewußtsein beginnt sich zu trüben, ich kann bald an gar nichts mehr denken und funktioniere einfach nur noch. Erinnerungen an enge Spalten und Rattenlöcher, durch die wir uns mit den riesigen Rucksäcken irgendwie hindurch zwängen. Immer weiter und kein Ende. Schließlich halluziniere ich, Sachsen kämen mir entgegen und fragten, wann die Action endlich losgehe.
Letztlich endet die Kletterei, der Pfad verläuft seichter und ich kann mit durchgedrückten Knien einigermaßen voranhumpeln. Sicherlich ein Anblick für die Götter. Nach vielen Pausen erreichen wir den Absatz, der genau oberhalb der Hütte liegt. Noch ein steiler, schmerzhafter und doch hoffnungsvoller Abstieg. Kaum sind wir endlich aus der Wand, purzelt eine Steinlawine wenige Meter hinter uns hernieder. Oben winkt jemand und vergewissert sich, daß wir noch leben. Ein Bergführer, er hat die Steine wohl absichtlich losgetreten, um den Leuten, die nach uns kommen, einen ähnlichen Schrecken zu ersparen. Das war ganz schön knapp. Ob der uns wirklich vorher gesehen hat?
(iv) Rosengartenhütte und das Ende
Wie dem auch sei, wir stehen vor der Rosengartenhütte — auch Kölner Hütte genannt — und ich bin von meinem Leid erlöst. Erfreulich zu sehen, daß die hier einen Sessellift haben, der ins Tal hinunter führt. Wir sind anscheinend die einzigen Gäste. Warme Dusche, Wiener Schnitzel mit Pommes, ein paar Bierchen und zu guter Letzt der Aufstieg in das kleine Turmzimmer. Um zehn Uhr geht das Licht aus.
Vor dem Einschlafen habe ich eine Vision: ich werde morgen nicht mehr laufen können. Karer Pass oder Durchsteigung der Rotwand lösen sich in Nebel auf. Ich sehe eine Fahrt mit dem Lift ins Tal und eine fünfstündige Odyssee mit den Südtiroler Verkehrsbetrieben nach St. Christina. Ich sehe Straßenschuhe, eine lange Autofahrt, Rotlicht und Antiphlogistika. Schade, daß es so enden mußte. Immer noch besser, als von Diarrhoe und Langeweile am Strand der Dominikanischen Republik dahingerafft zu werden.
PS: Der Schnarcher war einer der Fünf Freunde.
Das wars. Mehr kommt nicht. Vielleicht nächstes Jahr.
© Stefan Maday 16.08.2000