23.07.2003

Der frühe Morgen bringt Ernüchterung: irgend etwas stimmt nicht mit dem Wetter. Der TagesanbruchAntermoia-Hütte vor der Croda del Lago lässt die gewohnte Jungfräulichkeit vermissen, diese sonst so beruhigende Klarheit und Unschuld, die einem Zuversicht verleiht und spricht: „egal was war und was noch sein wird, lauft erst mal los und fürchtet euch nicht“. Kaum haben wir nach erfolgreichem Colazione den See in Richtung Kesselkogel passiert, fängt es an zu pieseln. Leicht zunächst, doch der Himmel zieht sich sukzessive zu.

Die Hoffnung auf Dreitausenderspaß ist damit zunichte gemacht, denn bei Regen wollen wir den Kesselkogel-Klettersteig nicht angehen. Stattdessen stapfen wir zum Antermoiapass hinauf. KaumDie Höhle des Wolpertingers oben, beginnt es kräftig zu regnen. Flugs rennen wir zu der kleinen Grotte, die wir gestern entdeckt haben. Die erweist sich als obergemütlich. Wie immer versucht Michael, mir mit seinen albernen Wolpertinger- Gruselgeschichten Angst einzujagen. Zunächst mit Erfolg. Doch nach dem Brunch hellt sich der Himmel draußen wieder auf und der Gipfelhunger erwacht erneut in mir. Wir befinden uns unweit der Cima Scalieret (2887m), jenes Berggipfels, den wir gestern von der Gartlhütte aus erspäht haben.

Auch wenn es keinen offiziellen Pfad auf die Spitze gibt, konnten wir gestern dort oben LeuteCoolman vor dem Gipfel der Cima Scalieret und ein Gipfelkreuz ausmachen. Unser Entschluss ist gefasst. Ein erkennbarer Trampelpfad führt Blick auf Rosengartenspitze und Gartlhütte von der Höhle zum Passo Scalieret (2768m) hinüber, von dort arbeiten wir uns auf den Grat in Richtung Süden vor. Nun gerät die eigentiche Spitze ins Visir. Sie kommt für einen Dolomitengipfel ziemlich unspektakulär daher – quasi „alpin“ – ein Horn, welches man über den mäßig ansteigenden Grat ohne irgendwelche Kletterhilfsmittel erwandern kann – selbstsicheres Auftreten vorausgesetzt.

Oben (2887m) bemerken wir, wie hoch dieser unbedeutende Berg in Wahrheit ist, denn wir genießen einen fantastischen ?El Barto, qué haces allá?Ausblick auf den Rosengarten, insbesondere aber auf die Wolken, die aus Richtung Rosengartenspitze kommend wie Ejakulat im Wasser auf uns zu schießen. Geschwind steigen wir wieder ab und suchen die Nähe unserer heimeligen Höhle. Doch der befürchtete Kübelguss bleibt aus. Vielmehr verkrümeln sich die Wolken und die Sonne kommt immer häufiger zum Vorschein, als wir die Grasleitenpasshütte erreichen (zur Erinnerung: das war dieser Fahrradschuppen). Hier sollte man sich keinesfalls den Blick hinab in den berüchtigten Grasleitenkessel entgehen lassen, jene bodenlose Höllengrube, die uns vor drei Jahren soviel schmerzhaftes Lehrgeld abgezollt hat.

Wir beobachten einige Leute, die in den westlichen Teil des Kesselkogel-KS einsteigen, der unmittelbar über dem Pass beginnt. Für uns fällt dieser Spaß flach, denn wir wollen heute abend zurück im Fassatal sein und haben daher einen langen Weg vor uns. Der führt uns wieder einmal zur Vajolethütte, die uns noch einen Drink auf der Sonnenterrasse wert ist. Von den zwei Wegen, die uns unwiderruflich aus dem Vajolettal hinausführen, wählen wir den oberen (Nr.541), da er uns landschaftlich interessanter erscheint. Zu unserem Entsetzen führt er nach kurzem Abstieg wieder mehrere hundert Meter bergauf. Der Colle Barbolada (2375m) ist ein am Weg liegendes Gipfel-Sonderangebot.

Der Weg – so schön und abwechslungsreich er angelegt ist – beginnt sich allmählich zu ziehen.Murmeltiere bei der Paarung! Unter unzähligen kleinen Spitzen und Türmchen geht es – mal eng, mal großzügig – auf und ab, bis uns die Füße schmerzen, der Verstand einschläft und ich nur noch diese monotone, geisterhafte Stimme vernehme, die mir brutal „Vorwärts!“ befiehlt und dann mit zartem Unterton hinterher haucht: „Sonst ist bald die letzte Gondel ins Tal weg.“ Schließlich treffen wir auf den vertrauten Weg, den wir am Sonntag hinaufgekommen sind. Der schmerzhafte Abstieg über 300Hm ist unausweichlich und irgendwann erreichen wir die Bahnstation. Die letzte Gondel ist noch lange nicht weg, geschwind sind wir unten und kurven mit dem Auto in Richtung Gadertal, auf der Suche nach einem Zimmer für die Nacht.

Fazit: Der Rosengarten ist ein ganz großer, auch wenn er nach vier Tagen ein wenig zusammengeschrumpft ist.

4.Tag: Heiligkreuzkofel (Versuch)

© Stefan Maday 05.09.2003