Tofana di Roces (Versuch)

Tofana di Roces (Versuch)

25.07.2003

Hätten wir uns besser nochmal den Kreuzkofel vorgenommen! So müssen wir – bei 1a Kaiserwetter -Tofana di Rotzi den Versuch, die südliche der drei Tofanen (3235m) über die Ferrata Lipella zu erklimmen, bereits nach drei Stunden abbrechen.

Etwa 500 Hm unterhalb des Gipfels beginnt eines der Expeditionsmitglieder zu schwächeln. Der Rest der Crew möchte den Gipfel nicht allein besteigen, sondern begleitet den Kaputten wieder hinab. Bei der Gelegenheit sucht man in der Südwand des Giganten vergeblich nach der berühmten „Grotta“ – einem 800m langen Tunnel – und erspäht sie erst von weit unten, als es zu spät ist.

Da ich in Zukunft mit einem erneuten Besteigungsversuch rechne, verzichte ich an dieser Stelle auf eine detaillierte Berichterstattung. Am Rande sei nur erwähnt, dass wir einem Murmeltier, mehreren Gämsen (den unschuldigsten Opfern der Rechtschreibereform) und unzähligen Körperfresserblumen (die möglicherweise harmlose Klettpflanzen sind) begegneten. Zudem war der Apfel, den ich beim Frühstück geklaut habe, in seinem Herzen vollkommen faul – eine Tatsache, die sich im Nachhinein leicht als schlechtes Omen interpretieren lässt.

Fazit: wir kommen wieder!

6.Tag: Drei-Gipfel-Tour am Falzarego-Pass

© Stefan Maday 05.09.2003

Drei-Gipfel-Tour am Falzarego-Pass

Drei-Gipfel-Tour am Falzarego-Pass

26.07.2003

Für unseren finalen Tourentag haben wir uns realistische Ziele gesteckt. In der Nähe des Falzarego-Passes westlich Cortina d’Ampezzo haben wir in den letzten Tagen einige interessante, jedoch nicht bombastisch hohe Berggipfel entdeckt, die wir besteigen möchten.

Als erstes soll der Hexenstein (Sasso di Stria, 2477m) vor uns auf die Knie fallen. Seine Südostwand ist ein schaurig-schönes Postkartenmotiv und bei Kletterern sehr beliebt. Als Fußgänger versuchen wir es über die entgegengesetzte Flanke, die direkt vom Valparola-Pass (2192m) ausgeht und nurmehr ein Krabbelfelsen ist. 

Schon dem parkplatzgebundenen Beobachter springt der blaue, etwa automobilgroße Felsbrocken ins Auge und man fragt sich unwillkürlich: ist das eine Laune der Natur? Wahrscheinlich nicht. Wirkt zu artifiziell. In diesem Fall muss ihn jemand blau gemacht haben. Aber wer und warum? Sollte jemand seriöse Antworten auf diese Fragen kennen (kein „UFO verlor Kühlflüssigkeit“ o.ä.), möge er mir bitte schreiben.

Der Aufstieg erweist sich anfangs als unproblematisch. An einer Stelle verlieren wir Zeit, als wir einem falschen Pfad nach links folgen, der uns beinahe zurück zum Parkplatz bringt. Unvermutet stehen wir schließlich vor einem großen Transparent. Eine Inschrift klärt uns über die Tatsache auf, dass Mitglieder des italienischen Alpenvereins hier derzeit alte Schützengräben freischaufeln und restaurieren. Offenbar fanden auch die österreichischen Truppen im 1. Weltkrieg den Hexenstein strategisch günstig gelegen. Der Wanderer sei jedenfalls herzlich eingeladen, seinen Beitrag zur archäologischen Forschung in Form freiwilliger Arbeit beizusteuern, heißt es.
Wir versuchen der Vorstellung, bei diesem warmen, fast schwülen Wetter unseren letzten Urlaubstag Hacke und Schippe schwingend herumzubringen irgend etwas abzugewinnen, beschließen dann aber, die arbeitenden Kolonnen möglichst diskret und weiträumig zu umgehen.

Wie angekündigt, treffen wir unterwegs auf viele Gräben und Unterstände. Etwa 50m unterhalb des Gipfels beginntDer Weg… ein ungesicherter Klettersteig, später führen Leitern einen engen Kamin hinauf und schon sind…das Ziel wir oben. Selbst hier findet sich noch Kriegsarchitektur. Über dem Eingang einer kleinen Grotte prangt ein Schild mit einer Inschrift. Ich kann zwar kein Italienisch, aber ein wenig Spanisch und Latein. Der Schrieb erweist sich als schwülstiges Liebesgedicht zu Gunsten einer gewissen Roberta.

Wir genießen das Privileg, allein hier oben zu stehen. Sehr geräumig ist der Gipfel auch gar nicht.Marmolada Zu dieser frühen Stunde – wir haben gerade mal siebzig Minuten für den Aufstieg gebraucht – ist die Aussicht phänomenal. So klar habe ich beispielsweise die majestätische Marmolada noch niemals gesehen. Ich mag mich irren, doch der Gletscher auf dem Nordhang scheint in den letzten drei Jahren merklich zurückgegangen zu sein – wohl Parodontose.

Beim Abstieg, der über die gleiche Route erfolgt, kommen uns Scharen von Menschen entgegen. Welch ein Glück, dass wir heute einigermaßen früh aus den Federn in die Puschen gekommen sind. Auf jeden Fall sind wir uns einig, dass der Hexenstein zu den interessanteren Gipfeln zählt, weil er uns bergsteigerisch einigermaßen inspiriert und kulturhistorisch gar immens befruchtet hat.

Nach wie vor voller Tatendrang fahren wir zum 1500m entfernten Falzarego-Pass (2105m). Hier herrscht Hochbetrieb und wir finden nur mit Mühe einen Parkplatz. Zwei Hauptattraktionen hat der Pass zu bieten: die Motorrad- und Bustouris gehen zum Powershopping in den Souvenirladen und die etwas unternehmungslustigeren Zeitgenossen pflegen mit der Seilbahn zur Lagazuoi-Hütte (2756m) hinauf zu schweben.

Wir hingegen sind der Mainstream-Aktivitäten müde und haben eine Wanderung durch das namenlose Gebiet südlich der Fahrstraße beschlossen, das einigeAbmarsch am Passo Falzarego: Monte Averau (links) und Punta Gallina (r.) interessant aussehende Gipfel bereithält. Mit Namen wie Punta Gallina, Monte Averau oder La Gusela können wir daheim zwar nicht protzen, aber mal ehrlich: die wirklichen Abenteuer erlebt man nicht auf der Tofana Soundso oder dem Monte Cristallo, wo man mit dutzenden von Sandalentouristen en fila marschieren muss, sondern auf dem Weg zu den Underdogs.

Hier bekommt der Bergwanderer, was er von einer Gebirgstour wirklich erwartet: schlecht oder gar nicht markierte Wege und die dadurch bedingte Orientierungslosigkeit, ungesicherte Klettersteige und vor allem Abgeschiedenheit, so dass man wenigstens unbehelligt pinkeln kann, wann und wo man will.

Über sattgrüne Grasmatten, die dann und wann von Skinarben unterbrochen werden, ackern wir uns den Hang in Richtung Punta Gallina („Hühnerspitze“, 2518m) hinauf. Von Norden erscheint der Gipfel wie ein Soufflet, vom Hexenstein aus wie eine Rampe. Ein Pfad verlässt den Hauptweg und führt uns teilweise eng um die Westflanke des Berges herum.

Wir treffen auf eine nette, junge Italienerin, die zusammen mit ihrem Bruder einen recht unorthodoxen Abstieg vom Gipfel durch einen rutschigen Schotterkamin hinter sich hat. Anscheinend haben die beiden vollkommen die Orientierung verloren. Auch wir wissen nicht genau, wie es weitergehen soll. Der Pfad, den wir gekommen sind, windet sich weiter um den Berg herum, doch wir entdecken eine Farbmarkierung am Fels, direkt neben einer schmalen Spalte, die es offenbar hinauf zu klettern gilt.

Es sind nur wenige Meter. Michael lässt seinen Rucksack zurück, da wir glauben, danach so gut wieAuf der Punta Gallina. Im Hintergrund das Lagazuoi-Massiv auf dem Gipfel zu sein. Doch da haben wir uns gründlich verhauen. Jetzt kommt die Rampe ins Spiel, die wir vom Hexenstein erblickt haben und es folgt ein grausamer, nicht enden wollender Aufstieg durch blendenden Schotter.

Da heißt es pumpen. Nur Steinhaufen weisen zuverlässig den Weg. Endlich auf dem Gipfel angekommen, sind wir nicht die einzigen. Wir haben ein italienisches Pärchen aus seiner Siesta aufgeschreckt. Das Gipfelkreuz ist nur circa 30cm hoch und hat auch keinen Blitzableiter eingebaut.

Als nächstes ist der Monte Averau (2648m) dran, ein steiler Zahn im wahrsten Sinne des Wortes und kaum einen Kilometer Luftlinie von uns entfernt. Michael hat leider das Pech, dass er wieder absteigen muss, um seinen Rucksack zu bergen. Denn der kürzeste Weg zum Averau führt über den Südosthang der Punta Gallina. Der Arme muss also etwa das dreifache meiner Wegstrecke bis zu unserem Treffpunkt, der Forcella Gallina, zurücklegen, wenn er sich nicht wieder die Rampe hochquälen möchte. Ich beneide ihn ehrlich darum, denn bestimmt lernt er dabei eine ganze Menge.

Ich gebe ihm eine Viertelstunde Vorsprung, dann gehe auch ich den Abstieg an. Bis auf ein kurzes Krabbelstück und eine einzige unangenehm enge Stelle, auf die eine etwas ältere italienische Dame gar nicht gut zu sprechen ist, verläuft der vollkommen analog zur Aufstiegsroute. Kaum sitze ich zwei Minuten unterhalb des Treffpunktes, der steilen Schuttrinne, als bereits der Michael angestampft kommt. Ich tue gelangweilt, als warte ich schon seit einer halben Stunde.

Wir stolpern die besagte Rinne hinauf und erreichen einen Pass am Fuße des Monte Averau. Die Sonne brennt erbarmungslos zwischen den Quellwolken hernieder und unsere Wasservorräte sind fast erledigt. Der Pfad bringt uns um denAverau-Hütte mit Abschussrampe halben Gipfel herum und schließlich zur heiß ersehnten Averau-Hütte (2416m), wo wir erstmal unsere Zellen erfrischen. Hinter der Hütte dürfen wir ein absolutes Kuriosum bestaunen, denn dort neigt sich eine gigantische, steinerne Abschussrampe himmelwärts, an deren Oberkante eine weitere Berghütte thront – die Nuvolau-Hütte. Doch nach so viel Japserei in der schwülen Julihitze sind wir weder für eine Rampenbesteigung noch für eine Besteigung des Averau über die Via Ferrata an der Ostwand länger motiviert.

Wir steigen unterhalb der Ostflanke des Hüttenberges ab, werfen noch einen Blick auf die zu Unrecht unberühmten Cinque Torri, die wie Gichtfinger aus dem Boden ragen, treten einen gut befestigten Highway hinab, stapfen durch Wald und Wiese, machen kindische Spielchen an einem Bach und landen letzten Endes unversehrt am Wagen.

Das war es auch beinahe schon fast wieder für dieses Jahr. Heute abend werden wir uns nochmal Riesenpizza inklusive Umtrunk in San Cassianos Dorfkneipe „Da la Vedla“ gönnen und morgen abend sitzen wir schon wieder zu Hause in Good Ole Germany, salben unsere geschundenen Füße und überlegen, ob wir die stinkenden Wanderklamotten nicht besser sofort verbrennen.
Bei Licht besehen hat diese Urlaubsform mit Vernunft und Bequemlichkeit nicht viel zu tun. Eher mit einer Art von unbestimmter Sehnsucht, die sich immer nur für den Augenblick stillen lässt. Und so beginnt schon bald das Warten auf den nächsten Sommer…

Fazit: die Buchhaltung meint, es seien dann doch nur zwei Gipfel gewesen.

© Stefan Maday 05.09.2003